Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 35.1930, (Nr. 1-52)

DOI issue:
Nr. 9 (Das gute Leben)
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.6762#0135
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
— inzwischen schiebt er rille Kartoffeln auf
seine Seite, frißt mit weit ausgedehnten
Backen und verschluckt sich am Ende, so -daß
ihm ein halber Kartoffeltaler durch >die Nase
kommt. Diese Gelegenheit benutzt der Bäcker
und kann zwei Taler erwischen. Aber, o weh,
der Betrunkene kommt zu sich, ergreift die
Pfanne, taumelt damit und schlägt, während
der Verrückte nach der Tür springt, damit
im Bogen durch die ©uff. Die Pfanne prallt
am Hinterkops des Verrückten ab, und die
Taler spritzen über den Backsteinboden. Also
brüllen draußen die Zuschauer Beifall.

Jetzt sucht der Betrunkene seine Peitsche,
nimmt aber erst vom Tabak des Gastgebers
zwei Ladungen, steckt sie sich wie Moos hinter
die Backen, welche aufguellen, und rülpst wie
ein Ochse. Nun bloß noch die Peitsche! Er
findet sie und ffndet auch die Tür. Draußen
dann beginnt eine Jagd zwischen den Haupt-
personen, wobei der Bäcker wiederholt an einer
Mauerecke von der Peitsche getroffen wird.

Nachdem die Leute sich sattgesehen haben,
schleifen sie den Betrunkenen nach Hause.
Der Bäcker aber kriecht durchs Fenster (wie
auch sonst) in seine Küche und schläft im
Nu auf seinem Sack ein.

Das ist die Geschichte, die Siegfried mir
gestern mitteilte. Als ich sie las, hätte ich
sogleich fortreisen mögen in die liebe Heimat.

/•

\Oin

ourmancl fchreibi

'ourma
VON HERBERT

STRÜTZ

Ich liebe einen gut gedeckten Tisch,

Besteck aus Silber, Wein in stachen Schalen
und teure Speisen, zart garniert und frisch.
WaS hat man denn von andren Idealen?

Ich liebe Blumen in den Servietten,
ein bißchen Torte und ein Gläschen Sekt.
Zum Nachtisch dann noch gute Zigaretten.
(Man muß nur wissen, wie das herrlich

schmeckt.)

Peitsche und brüllt, daß er Hunger hat. Ich
muß hier einschalten, daß zwischen dem Bäcker
und dem Betrunkenen gewisse Beziehungen
bestehen: der letztere ist der einzige Mann im
Dorfe, vor dem der verrückte Bäcker Respekt
hat, weil er von ihm gelegentlich — so be-
hauptet man — in den Backtrog gequetscht
worden i st.

Jetzt also steht der Betrunkene vor ihm
und verlangt Essen. Übrigens sind vor dem
Fenster schon Zuschauer erschienen. Der
Bäcker, dieser Apfelkuchen, springt von seinem
Sack auf und holt fertiggeschälte Kartoffeln
herein, die er in einer Pfanne mit Regenwap er
auf dem Ziegelsteinfußboden zu Talern
schneidet. Der Betrunkene sitzt sehr bequem
ini Lehnstuhl, er kommandiert: Speck!

Sofort springt der Verrückte auf den Tisch
und schneidet irgendwo unter der Decke ein
großes Stück ab. Es kommt in die Pfanne.
Nächstes Kommando: Zwiebeln! Der
Verrückte liegt im Nu auf den Knien vor-
dem Schrank und schneidet welche.

Endlich stehen die halbgaren Kartoffeln vor-
dem Betrunkenen. Der stopft sich das Maul
übervoll. Oer Bäcker — schüchtern nimmt

er sich eine Gabel und will auch essen, doch
der Gast verbietet es. Der Bäcker versucht
eS ein zweites Mal. Darauf sticht der Gast
nn't der Gabel nach ihm und droht sogar,
ihm mit der Pfanne über den Kopf zu hauen

bind nachher eine Frau — ein schlankes

Wesen —

mit der man sich beglückt die Zeit verkürzt.
Denn schön ist nur das Leben (trotz der

Spesen),

das man sich mit pikanten Dingen würzt.

A u s l e g u n g

und so lassen Sie uns denn, meine Herren, in der Not dieser Zeit so recht des schönen
Wortes gedenken: ,Unser tägliches Brot gib uns heute!'"

134
Index
Herbert Strutz: Ein Gourmand schreibt
Karl Holtz: Auslegung
Ernst Wallenburger: Das Schlemmerparadies
 
Annotationen