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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 35.1930, (Nr. 1-52)

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Nr. 9 (Das gute Leben)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6762#0136
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P r o c\ v a m in

„Schmeckt Sahna die Haren, Herr Machbar?"

„3 woaß na net, die erste Stund friß i bläst Kalorien, und erst die zweite nach mei m Gusto."

1 | Vie schön sie ißt,- gierig und voll leben-
diger Lust, erstrahlend in restloser Be-
friedigung animalischen Behagens! Ihre Augen
funkeln, wenn sie vom Teller ausblickt, und
sie legt die Gabel hin, um laut zu lachen;
und wiederum stürzt sie sich auf die gesunden
Fleischbissen, und unter ihrer glatten Gejichts-
haut schlvellen kaum merklich die Muskeln,
diese starken Kauwerkzeuge, die einem Män-
nergesicht so wohl anstehen und «ihm einen
Ausdruck von Kraft ,und zorniger Energie
verleihen. Sie aber speist entzückend und
zerreißt mit wundersamem Appetit -das vor
einer Weile noch blutende und lebende Fleisch
mit ihren gesunden Zähnen, in diesem Moment
durchaus einem superioren Tiere gleichend.

Geben Sie acht! Zerbissen von Ihren weißen
Zähnen und mit Speichel genetzt, der aus
seinem Versteck unterhalb der Zunge hervor-
getreten ist, steigt soeben jener Bissen in die
Tiefe hinab, llnd nun hebt ein Kampf an:
wie ein stummes Raubtier, im düsteren Hinter-
halt lauernd, einem dummzahmen Tier in den
Racken springt, genau so angriffslustig fallen
die im Hintergrund der Magendrüsen lauern-
den Säfte über den trägen Bissen her und
verbeißen sich mit ihren Pepsinzähnen in ihn.
llnd dann naht dicke Galle, bitter und zähe
wie die Melancholie, die aus ihr geboren
wird, ätzend gleich der Ironie der Choleriker,
die sie erzeugt, und zerfrißt in den Bissen
das Fett, den stillen, friedliebenden Trägheits-
stoff; und schließlich, zerfressen vom Trypsin,
zergeht der Fleischbissen zu Speisesaft.

le gute ?nn

VtON KAREL UND J|0 SJTF C A[P E K

llnd während sich der herrliche Mechanis-
mus dieses stummen GuerillakampfeS voll-
zieht, werden Sie der Ruhe pflegen in der
Trägheit der Siesta, durchaus gutartig und
versöhnlich gestimmt, hingegeben dem gewal-

tigen Behagen gesunder Sattheit, Ihre Zähne
werden matt erglänzen in müdem Lächeln
lang anhaltender Befriedigung; Ihre Lider
werden sinken, beinahe schläfrig; lind Sie
lverden still beglückt sein.

llnd unterdessen durchströmen die kräftigen
Säfte Ihren ruhenden Leib. Sie durchhasten
den regelmäßigen pulsschlag der Adern,
dringen durch die Kapillaren hindurch und
lverden Blut; das Blut wird Wärme, und
die Wärme wird Leben, und das Leben wird
wiederum Weib.

Dann lverden Ihre Bewegungen wieder
wellenhafter und voll Rhythmus! Ihre
Glieder runden sich zu geschwungenen, lieb-
kosenden Gesten; und Ihre Haut wird warm.
Ihre Augen flammen auf in verstärktem
Glanze; Ihre Wangen erlangen die dunklere,
appetitliche Färbung wieder.

Da finden wir, von Ihrem Rhythmus,
Ihrer Lebendigkeit, Ihrem Glanze und Ihren
Augen inspiriert, ein schöneres Tempo für
unsere Gedanken, eine lichtere Heiterkeit der
Worte und die reiche Mitteilsamkeit goldener
Einfälle. Wir finden jenen Augenblick, wo
der Mensch, von belebender Schönheit er-
griffen, zum beredten Dichter lverden möchte.

llnd daher ist der Stoff sehr heilig, da er-
den dichterischen Gedanken zu zeugen vermag.

Aber es gibt viele Menschen, die weniger
heilig sind als der Stoff, denn es gibt Frauen,
die niemals auch nur einen einzigen Gedanken

entstehen lassen.

(Deutsch von Otto Pick.)

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Register
Wilhelm Thöny: Programm
Klaus Salomon: Bargeldloser Barverkehr
Josef Capek: Die gute Esserin
 
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