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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 35.1930, (Nr. 1-52)

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https://doi.org/10.11588/diglit.6762#0387
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35. JAHRGANG

G E N D

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VON HEINZ MITLACHER

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Stirnband, ihr mattblaues Stirnband
war schuld gewesen. Bisher hatte Heiner in ihr
nur einen lieben Kameraden gesehen, mit dem
zusammen er schwamm, paddelte und Tennis
spielte. Denn herzhafter Mädeljunge, der sie
war, machte sie alles mit; und ihre tapfere
kleine Hand war, seiner gleich, hart und. fest.
Seitdem sie aber von ihrem Geburtstag ab,
dem vierzehnten, das Stirnband anhatte, war
es auf grazilste Weise anders geworden. D wie
entzückend das gedämpfte Blau des schmalen
SeidenstreisenS dem zärtlichen Blond ihres
Haares schmeichelte. Mädi selber hatte des
öfteren vor dem Spiegel gestanden und sich
nicht ganz ohne Eitelkeit in ihrer neuen Tracht
beaugenscheinigt: Profil nach rechts neigend,
Profil nach links neigend, einen kleinen Bausch
Blond mehr in die Stirn zupfend, sich sachte
wiegend, einen kleinen Fuß vorschiebend, zierliche
Tangosiguren vor sich hinschwebend... Wochen-
lang trug sie nun schon das Stirnband, überall,
beim Tanz, beim Sport und in der Schule.

Heiner war seit jenem Anblick tiefst ver-
wandelt. Zum erstenmal sah er sie, sah sie
in all ihrer Süße, sah das Wiegsame ihres
schmiegen TanzkörperS, den unberührten Sam-
met ihrer noch kindlichen Wangen, das unge-
duldig oder spöttisch Zuckende in ihrer schmalen
Schulterlinie, den drolligen Wimperwink ihrer
seltsamen Augen, die blaugrau waren mit
schwarzen Tupfen. Zum erstenmal bemerkte er,
wie wundervoll eigentlich das dunkle Sonnen-
braun ihrer straffen Haut sei; wie köstlich das
zierliche Wellenspiel ihrer nackten Schulter-
blätter in dem tief ausgeschnittenen, nackenfreien
Sommerkleidchen; wie süß das feuchte kleine
Blinken in ihrem Augeneck. Wie sonst nie spürte
er jetzt in ihrer Nähe den seinen Duft ihres
warmen Mädchenkörpers und ihres Haares,
erblickte er den goldigen Flaum in ihrem Nacken,
genoß er das atemnahe Vibrieren ihrer äderchen-
durchbebten lebendigen Glieder. Scheu, zitternd
vor Glück gingen seine Blicke über sie hin. Wie
schön sie war, o, wie schön!

Hatte er früher Mädi mit kollegialer Derb-
heit wie einen gleichaltrigen Freund und Jungen
behandelt, so suchte er jetzt im Verkehr mit ihr
den Kavalier hervorzukehren. Gingen sie durch
eine Tür, gab er ihr den Vortritt; machten sie
einen Wettlauf, ließ er sie aus Höflichkeit ge-
winnen; und hatten sie Obst gemopst, gewährte
er ihr den größern Teil der Beute, blnd nun
gar erst hu Theater! Im Theater bezahlte er
ihr die Garderobe, während er sie sonst immer
angepumpt hatte. Woher er das Geld besaß, war
Mädi ein Rätsel; wahrscheinlich aber hatte er
von VaterS Zigarren an Freunde verkauft. Nach
Schluß der Vorstellung rannte er wie ein Wilder
zur Garderobe, drängelte sich rücksichtslos durch
die schimpfenden Menschen, eroberte MädiS
Stücke und brachte sie ihr im Triumph. Ja, er
half ihr vor dem großen Spiegel des Foyers in
ihr Mäntelchen schlüpfen — waS er allerdings
so ungeschickt anstellte, daß in dein einen Ärmel
das Futter entzweiratschte. Wie er aber mi
Übereifer ihr gar daS Mützchen auf den Kopf
Register
Carl Schwalbach: Badende
Heinz Mitlacher: Mädchenerweckungs-Novellchen
 
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