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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 35.1930, (Nr. 1-52)

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https://doi.org/10.11588/diglit.6762#0421
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diese Erklärung nicht abgab. Riko war an-
gezogen wirklich das Ideal von einem Mann.
Sein Schneider war ein Zauberkünstler. Aber
ohne Matte waren seine Herkulesschultern
schmal wie die eines Tertianers, was zu seinem
großen Kopf mit der Mähne wirklich nicht
paßte. Er sah im Badeanzug in seiner mitleid-
erregenden Schmalheit ungefähr so aus wie die
Reklamephotos für Stärkungsmittel — „v o r
der Kur". Außerdem waren seine Beine sanft
gebogen, was aber in den besonders weiten
Beinkleidern, die er trug, nie auffiel. Carla
hatte sich grad am Strand über so einen bln-
glücklichen, der seine O-Beine ungeniert zur
Schau trug, lustig gemacht. Carla wird nie
erfahren, warum Riko lieber eine tägliche Szene
auf sich nahm, als ins Familienbad zu gehen.

Riko und Carla lagen also acht Stunden am
Tag angezogen unter der heißen Sonne von
Binz. Aber die Sonne brachte ein neues bln-

glüek über den armen Riko. Sein raben-
schwarzer Schnurrbart begann, rötlich zu
schimmern. Riko hatte wie viele Dunkelhaarige
einen rötlichen Bart. Konnte man Carla, die
auf die Echtheit ihres eigenen blonden Haares
so stolz war, und außerdem rothaarige Männer
haßte, erklären, daß man sich den Bart färben
ließ? Die Katastrophe war unvermeidlich. Am
Tage zum Friseur gehen konnte er nicht. Carla
ließ ihn keine Minute allein. Den Bart rot
werden lassen konnte er auch nicht; er fand also
einen Friseur, der sich bereit erklärte, ihm gegen
ein gutes Trinkgeld am späten Abend den Bart
zu färben.

Als er vorsichtig, wie ein Indianer auf dem
KriegSpsade, in sein Zimmer zurückkam, saß
dort Carla im Pvjama und erklärte, sofort ab-
reisen zu wollen. „Entschuldige, Carlchen",
erklärte er sanft, „ich war beim Friseur."
Carlchen lachte wie eine ganze Versammlung

sich betrogen fühlender Frauen. Fürchterlich.
„Zeßt beim Friseur, etwas Besseres fällt dir
nicht ein?" Riko versuchte einen besänftigenden
Kuß. „Aber dein Schnurrbart ist ja ganz naß",
schrie Carla, Atzt war alles klar: er kam von
einein Sektgelage mit anderen Frauen. Riko
trocknete sich verzweifelt den Schnurrbart, der
im Taschentuch ein schwarzes Muster hinterließ,
während Carla noch in der Rächt ihre Koffer
packte und abfuhr.

Seit acht Tagen, die wir in Binz sind, predige
ich Riko mit der Geduld eines Heilsarmee-
soldaten, die Illusion seiner falschen Schnürr-
bartfarbe und seines ebenso falschen Schwere-
nötercharakters aufzugeben. „Ohne Illusionen
gibt es keine Liebe", sagt Riko und bohrt seinen
Kopf in den Sand.

„Wenn du unter Liebe das Rendezvous auf
der höchst zerbrechlichen Brücke, die aus den
beiderseitigen Illusionen erbaut ist, verstehst,
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Frans Masereel: Badestrand
 
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