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3 5. JAHRGANG
END
1930 / NR. 37
Fischerdorf in Süds rankreich
Karl Rabus
DIE FRAU DES SEEMANNS
VON AFINOGENOV
Es waren ihrer zwei, — zwei Schiffer, zwei Freunde, die ihre Kreuze
gegenseitig austauschten, damals, während des Orkans, in dem Augen-
blick, da sie untergingen. Sie hatten gleichzeitig — in ihrer Kindheit —
die Sonne erblickt, als sie drüben, hinter der in blaueni Dunst versinkenden
Steppe ausstieg und abends, eine blutrote Kugel, im Gischt der Meeres-
wogen versank. Zusammen waren sie den steinigen Pfad zum Meer
hinabgewandert, um fortzugehen, weit fort über die großen Wasser, —
um den Weg vom Schiffsjungen bis zum Kapitän zurückzulegen, um die
Dreimastbrigg über die Meere zu führen. Gleichzeitig erhielten sie ihre
Wassertaufe, — und gleichzeitig gingen sie in den Tod.
Der eine von ihnen hieß Nikolai, der andere Andrei.
Man kann vom Leben eines Menschen sagen, daß es simpel sei; und
doch darf man eS nicht sagen. Andrei hatte eine wunderschöne Frau; sie
war die Tochter eines Seemanns, die Enkelin eines Seemanns, frei wie
das Meer und ihre Väter, sturmzerzaust und sturmgefestigt. Sie besaßen
einen Sohn.
Andrei zog hinaus auf das Meer, auf die blauen Wogen des
MarmarameereS, des Ägäischen, des Mittelländischen Meeres, nach
Konstantinopel, in den PiräuS, nach Port Said, für die Dauer von
Monaten, um Geld zu verdienen, um Feigen, Datteln, Teppiche und
Gewebe einzukaufen.
Nikolai kam zurück vom Meer, mit Geld, mit Stoffen und Farben.
Er schritt schaukelnden Ganges, wie die Seeleute gehen, die den Erdboden
für ein Schiffsdeck halten, von Haus zu Hauö; ein Kapitän, ein Ehren-
gast, ging er inS Wirtshaus, um eine Taffe Kaffee zu trinken und die
Kameraden mit einem Glase Rum zu bewirten. Und er sprach gewaltige
Worte über Stambul und den Tschanak, über Mytilene und die Tavernen
in Smyrna; sprach darüber, wie das Sternbild, das man den Gürtel
Jakobs nennt, auf dem Mittelländischen Meer nachts sich nur um ein
weniges über den Horizont erhebt und nach kaum zwanzig Minuten
wieder verschwindet; wie die ffiegenden Fische über das Deck hüpfen, und
wie blau dort drunten alles ist: der Himmel, daS Master, die Berge. Die
Frau Andreis, Marja, schreitet, ihr Kind auf dem Arm, zum Meer
hinab; der Wind bläht ihre Röcke, die Zöpfe ffattern um ihre Schläfen;
ihre Augen sind blau, blau wie die Augen der Szythen, und ihre vom
Salzhauch des Meeres benetzten Lippen sind eigensinnig geschlossen.
Abends kam Nikolai zu Marja; Marja legte ihr Söhnchen schlafen,
und dann tranken sie gemeinsam den Abendtee, wobei sie sich geruhsam
unterhielten.
bind einst, spät in der Nacht, als die Fischerboote längst auf den
Strand gezogen und vertäut waren, als sogar die Hunde sich zur Ruhe
begeben hatten, da sagte Marja, daß ste nicht ihren Mann liebe, sondern
Nikolai. Im Zimmer stand ein rundes Tischchen mit einer türkischen,
gestickten Decke darauf vor dem kleinen Diwan mit den weichen Kissen.
3 5. JAHRGANG
END
1930 / NR. 37
Fischerdorf in Süds rankreich
Karl Rabus
DIE FRAU DES SEEMANNS
VON AFINOGENOV
Es waren ihrer zwei, — zwei Schiffer, zwei Freunde, die ihre Kreuze
gegenseitig austauschten, damals, während des Orkans, in dem Augen-
blick, da sie untergingen. Sie hatten gleichzeitig — in ihrer Kindheit —
die Sonne erblickt, als sie drüben, hinter der in blaueni Dunst versinkenden
Steppe ausstieg und abends, eine blutrote Kugel, im Gischt der Meeres-
wogen versank. Zusammen waren sie den steinigen Pfad zum Meer
hinabgewandert, um fortzugehen, weit fort über die großen Wasser, —
um den Weg vom Schiffsjungen bis zum Kapitän zurückzulegen, um die
Dreimastbrigg über die Meere zu führen. Gleichzeitig erhielten sie ihre
Wassertaufe, — und gleichzeitig gingen sie in den Tod.
Der eine von ihnen hieß Nikolai, der andere Andrei.
Man kann vom Leben eines Menschen sagen, daß es simpel sei; und
doch darf man eS nicht sagen. Andrei hatte eine wunderschöne Frau; sie
war die Tochter eines Seemanns, die Enkelin eines Seemanns, frei wie
das Meer und ihre Väter, sturmzerzaust und sturmgefestigt. Sie besaßen
einen Sohn.
Andrei zog hinaus auf das Meer, auf die blauen Wogen des
MarmarameereS, des Ägäischen, des Mittelländischen Meeres, nach
Konstantinopel, in den PiräuS, nach Port Said, für die Dauer von
Monaten, um Geld zu verdienen, um Feigen, Datteln, Teppiche und
Gewebe einzukaufen.
Nikolai kam zurück vom Meer, mit Geld, mit Stoffen und Farben.
Er schritt schaukelnden Ganges, wie die Seeleute gehen, die den Erdboden
für ein Schiffsdeck halten, von Haus zu Hauö; ein Kapitän, ein Ehren-
gast, ging er inS Wirtshaus, um eine Taffe Kaffee zu trinken und die
Kameraden mit einem Glase Rum zu bewirten. Und er sprach gewaltige
Worte über Stambul und den Tschanak, über Mytilene und die Tavernen
in Smyrna; sprach darüber, wie das Sternbild, das man den Gürtel
Jakobs nennt, auf dem Mittelländischen Meer nachts sich nur um ein
weniges über den Horizont erhebt und nach kaum zwanzig Minuten
wieder verschwindet; wie die ffiegenden Fische über das Deck hüpfen, und
wie blau dort drunten alles ist: der Himmel, daS Master, die Berge. Die
Frau Andreis, Marja, schreitet, ihr Kind auf dem Arm, zum Meer
hinab; der Wind bläht ihre Röcke, die Zöpfe ffattern um ihre Schläfen;
ihre Augen sind blau, blau wie die Augen der Szythen, und ihre vom
Salzhauch des Meeres benetzten Lippen sind eigensinnig geschlossen.
Abends kam Nikolai zu Marja; Marja legte ihr Söhnchen schlafen,
und dann tranken sie gemeinsam den Abendtee, wobei sie sich geruhsam
unterhielten.
bind einst, spät in der Nacht, als die Fischerboote längst auf den
Strand gezogen und vertäut waren, als sogar die Hunde sich zur Ruhe
begeben hatten, da sagte Marja, daß ste nicht ihren Mann liebe, sondern
Nikolai. Im Zimmer stand ein rundes Tischchen mit einer türkischen,
gestickten Decke darauf vor dem kleinen Diwan mit den weichen Kissen.