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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 35.1930, (Nr. 1-52)

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J U G

35. JAHRGANG

END

1930 / N R. 4 3



VON PETER SCHER

Leopold ist klug und frei,

Leopold ist ein Genießer;
niemand haßt wie er den Spießer
und den so beliebten Bildungöbrei.

Nicht einmal für Thomas Mann
kann er sich so recht erwärmen,
weil auch welche von ihm schwärmen,
die er nur mit „Puh!" erwähnen kann.

Höchstes Glück ist ihm „der Stil"
und hier trifft er sich mit solchen;
doch er könnte sie erdolchen,
wenn die andern reizt, was ihm gefiel.

Leo also, wie wir sehn,

ist so weit von Häkeldecken

wie von Gipssiguren in den Ecken ...

Lassen wir ihn jetzt ins Cafe gehn.

Angezogen mit Geschmack,

Zigarette schön im Möndchen,
mustert er ein Mertelstündchen
höchlich amüsiert das Spießerpack.

Einer setzt sich an den Tisch;

Leopold sinkt in den Boden:

Welch ein Bursche, püh, in Loden!
Welch ein rüdes menschliches Gemisch!

Dieser Sorte bin ich hold!
denkt mit innerem Erblaßen,
denkt, als könne erS nicht fassen,
der so sein gemixte Leopold.

Jener kehrt sich nicht daran,
sondern schlappert seinen Kaffee
und benimmt sich wie ein Affe.

Da erscheint ein zweiter Mann.

Unterhaltung findet statt;
der und jener tauschen Worte
von der allerfeinsten Sorte,
wo man heute in Bereitschaft hat.

Philosophisch, gut im Stil,

hört' sie Leo sich entfalten;

diese spießigen Gestalten

sprachen manches, was ihm sehr gefiel.

Tief erblassend stellt' er fest:

Die verstreun hier zur Erbauung
meine schöne Weltanschauung —
ganz so denk ich selber auch — projt Rest!

An sich zweifelnd und verstört,
ist er eilig fortgeschritten;
in der Stadt hat es ihn nicht gelitten
und er ist verschwunden, wie man hört.
Register
Wilhelm Thöny: Zeichnung ohne Titel
Peter Scher: Ballade von Leopold und den Spießern
 
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