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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 35.1930, (Nr. 1-52)

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35. JAHRGANG

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1 9 3 0 / NR. 44

en una ein C

VON KARL KINNDT

Direktor Benekens ist sehr vergnügt. Mit
Grund, denn er hat aus dem Ball ein ent-
zückendes junges Mädchen gesunden, daS nicht
nur ausnehmend gut mit ihm tanzen kann,
sondern auch jedes Witzwort von ihm herzlich
belacht—: und er spielt besonders gern den
scharmanten Causeur. Aber glauben Sie nur
nicht, hochverehrter Leser, daß Herr BenekenS
in dies Mädchen verliebt sei oder daß er sie
betören wolle! Sonst würde er doch nicht
immer wieder mit ihr an der Loge vorbei-
tanzen, in der seine Frau sitzt, und ihr jedesmal
schelmisch zuzwinkern! Nein, verliebt ist Herr
BenekenS einzig in seine Frau. Lind daS ist
begreislich, denn sie ist schöner als die Morgen-
röte (die ich persönlich allerdings nicht be-
sonders schätze) und daS Ziel der Blicke aller
Männer, die etwas von Frauen
und Abendkleidern verstehen. Herr
BenekenS dagegen ist starker Vier-
ziger, hat ein Embonpoint,daS man
schon Bäuchlein nennen könnte,
und kann den Scheitel unmöglich
in der Mitte tragen. Llm es kurz
zu erklären: Herr BenekenS freut
sich, seiner Frau zeigen zu kön-
nen, daß er noch immer ein Mann
ist, der junge entzückende Mädchen
bezaubern kann — selbst wenn
sie nichts von der Höhe seines
Bankguthabens wissen. Er para-
diert gewissermaßen vor ihr in
der Rolle des stotten Tänzers und
des geistvollen Plauderers.

Ja, darum ist er so vergnügt
— und sein Herz ist von Dank-
barkeit erfüllt für seine kleine
Tänzerin, die ihm diese Triumphe
ermöglicht. Lind da er sie doch
nicht gut an seinen Tisch führen
kann, lädt er sie zu einem Coctail
in der Bar ein. Mit einem aus-
gelassenen Hopser springt die
Kleine aus den hohen Hocker und
fächelt sich mit ihrem Taschentuch
Luft zu.

Warum erstarrt nun plötzlich
Herrn BenekenS Gesicht — wa-
rum ist alle Heiterkeit von ihm
gewichen? Warum wirst er dem
Mixer gleichgültig-mürrisch seine
Bestellung hin, um dann heiser

mit verzerrtem Lächeln seine Begleiterin zu
fragen:

„Darf ich daS Taschentuch einmal sehen?"
Lind dabei reißt er eS ihr fast aus der Hand!

„Es tut mir leid —" keucht er nun flüsternd,
„aber ich muß Sie fragen, wie Sie zu diesem
Taschentuch kommen?"

Die Kleine sieht ihn erstaunt an:

„Wie ich zu dem Tuch komme?" Sie lacht:
„DaS habe ich vorhin einem Herrn abgenom-
men — als Pfand dafür, daß er mich zum
nächsten Tango holt. Der kann nämlich ein
paar neue Schritte, die ich unbedingt lernen
muß!" Sie horcht nach unten: „Jetzt spielen
sie gerade einen!" Schon ist sie vom Hocker
heruntergeglitten: „Ich komm bestimmt wieder!
Aber so geben Sie mir doch das Taschentuch!"

Frauen studie

Karl H u b b u ch

„Ich komme mit Ihnen", sagt Herr Bene-
kenS eisern, legt ein Geldstück auf den Tisch
und nimmt ihren Arm.

„Aber waS ist denn los?" fragt sie ängstlich.

„Sie werden ja sehen!" meint BenekenS.
„Kommen Sie!"

Als die beiden die Treppe heruntergehen,
winkt die Kleine schon einem jungen und recht
eleganten Herrn zu, der ein wenig ärgerlich
die aus den Stufen sitzenden Paare mustert.

„Verzeihen Sie, mein Herr", sagt BenekenS
steif-kühl, nachdem er sich vergewissert hat, daß
dies der Besitzer des Taschentuches ist, „ich
sehe eben bei dieser jungen Dame ein Taschen-
tuch, daS Ihnen gehören soll —: darf ich
fragen, woher Sie dieses Taschentuch haben?"

Der Herr mißt BenekenS mit erstaunt-indi-
gniertem Blick:

„Ich verstehe nicht, waS Sie
von mir wollen?? Ich kenne Sie
nicht — —"

„Benekens!" — sagt BenekenS
schneidend in der bestimmten Er-
wartung, der andere müsse nun
jäh erröten oder erbleichen. Nichts
davon — er hebt die Schultern
und lächelt ziemlich blöde.

„Dr. Wolf", stellt er sich vor
und meint mit ratlosem Blick zu
der Kleinen und Benekens: „Wenn
Sie es unbedingt wissen wollen:
eine befreundete Dame, mit der
ich hier bin, hat mir das Taschen-
tuch — ihr Taschentuch nämlich
— in die äußere Fracktasche ge-
steckt. Ich liebe nämlich diese affigen
Tüchelchen bei Herren nicht —
ah, verzeihen Sie, Sie tragen ja
auch eins — gewiß, es ist mal
so Mode — und wenn eine schöne
Frau eS nun unbedingt will, fügt
man sich — —"

„Ist es indiskret, zu fragen,
wie die Dame heißt? Im Notfall
genügten die Anfangsbuchstaben
von Vor- und Zunamen."

Der Herr lächelt:

„Es ist die Schauspielerin Hertha
Bach."

Ein tiefer, erlösender Seufzer
entringt sich Herrn Benekens.
„Dann verzeihen Sie vielmals,
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Karl Kinndt: Katastrophen um ein Taschentuch
Karl Hubbuch: Frauenstudie
 
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