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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 35.1930, (Nr. 1-52)

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Nr. 47
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https://doi.org/10.11588/diglit.6762#0742
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Schiff. Sie stand im Badetrikot
auf der Mole und winkte mir
seltsam erregt lange, lange zu.

Erst nach Monaten war die
Sehnsucht vorüber. Ich aber
weigerte mich, ihr Bild anzusehen.

Das, was ich ahnte, traf auch
ein: Als ich nach einem Jahr die
Photographie betrachtete, erschrak
ich über ineine Illusion. Die
Dame mit meinem Gesicht hatte
nie existiert. Nicht ein Zug ihres
Gesichts glich dem meinen. Ihre
Nase war dünn und sein, meine
ist kurz und dick. Ihre Augen
groß und tief, meine sind klein
und schal. Ihr Mund war fein-
geschwungen, meine Lippen sind
derb und negroid. Ihr Kinn ist aus-
gesprochen sanft, meines ist derb
wie das eines Boxers, bind schließ-
lich war sie oval und blond, ich bin
kugelrund und rabenschwarz.

So sah ich die Dame mit meinem Gesicht nach
zwölf Monaten.

Mit zwei Reißnägeln heftete ich in der Kajüte
die Photographie neben die Heiligenbilder.

COxcenfnc /^)i;mne
VONPETERSCHER

Ich singe mein Lied den Excentrics mit beschmierten Fratzen und

schlotternden Hosen,

Gott ist in ihrem Geschrei und Geist läßt ihre Purzelbäume gelingen,
daß wir, hell lachend, uns entfliehn und einmal zu uns selber dringen,
wiehernd wie Pferde, denen der Reiter kühn die Sporen eingestoßen.

Ich rufe die Gläubigen aus und die mit hängenden Schwermutsnasen:
Charlie ist eurer Seele holder, weil eurem Zwerchfell näher
als eine wallende Versammlung würdiger Gedankenspäher. . .

Schön ist der Trauermarsch von Chopin erst ans dem Saxophon geblasen.

Wir haben der tönenden Propheten genug und all der Führenden —
heil den Excentrics, den würdelos ihren Popo Zeigenden,
heil uns nach Tränengelächter Entspannten und selig Schweigenden —
unsere schwärmende Liebe ist bei den Excentrics, den erlösenden, rührenden.

(fJLLli Liefe auf C^J^emLrancli

VON WALTHER PETRy

Die eigentlichen Voraussetzungen dieser Ge-
schichte waren der Platz, den ich zufällig neben
dem berühmten Sammler M. aus Holland
erhielt, und die Schätzungsliste, ein Papier, dem
Katalog beiliegend, mit den Schätzwerten der
Bilder. Es sollte um 4 blhr beginnen; um Z lllhr
schon war der Saal überfüllt; langsam liefen
die Gänge voll; kurz vor Beginn steuerten die
großen Käufer aus ihre reservierten Plätze.
Ehrwürdiger Anblick, sie alle zu sehen, die Hüter
und amtlichen Verwalter der Kunst aus Dres-
den, München, aus Holland, Spanien, grau-
haarig und fachmännisch mit Augen, die über
dem unablässigen Prüfen der Echtheit kurz-
sichtig geworden waren. Dazwischen gruppier-
ten sich die Damen, saßen sehr beengt da, öff-
neten die Pelze, dufteten und ließen sich von den
eisgrauen Millionären, die mit goldenem Blei-
stift im Katalog herumkritzelten, kleine Gegen-
stände ausheben, die sie zur Abwechslung ans
ihren Taschen fallen ließen.

blm 4 blhr, mit dem Gongschlag, erschien die
Polizei, sperrte die Eingänge, hinter denen sich
die Zuspätgekommenen, die Kartenlosen, furcht-
bar interessiert drängten, und erschien, über die
Stufen des Ausbaus heraussteigend, die Map-
pen unter den Armen, die Versteigerungskom-
mission. Man rüstete sich, flüsterte die Namen,
glättete die Listen und versank, jeder einzelne
die Weihe der großen Zahlen erwartend, in
hochachtungsvolles Schweigen, als der beauf-
tragte Auktionär die Bedingungen vorlas.

Der Katalog hatte 107 Nummern. Es be-
gann mit kleinen Stücken der holländischen
Schule, die, angesagt, von weitem gezeigt, ein
wenig in die Höhe geboten, nach vier Sätzen

ihren Mann fanden. Das war
unbeträchtlich und ging ohne Auf-
regung vorüber. Die Preise, wie
ich mich überzeugte, lagen fast
genau in der Höhe der geschätzten
Werte. Langsam rückte indessen
der Auktionator vor. Ein paar
Niederländer, einige Italiener; man
war bei der Nummer 12; die
Bilder wurden bereitwillig herum-
gezeigt; manchmal, der Größe
wegen, von zwei Männern, die sie
jedem Interessenten noch besonders
zuwandten. Ich sah nur, um be-
fugter zu scheinen, als ich war,
aus nächster Nähe eine Kuh unter
Bäumen an, treu gemalt, schon
eingedunkelt, ein Objekt von
30 000 Mark, das ich nach

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Register
Peter Scher: Excentric-Hymne
Otto Dix: Dompteuse
Walther Petry: Ich biete auf Rembrandt
 
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