einigen Augenblicken stirnrunzelnder Prüfung, mit kleinem
Kopfschütteln passieren ließ.
Mein Nebenmann, wie ich plötzlich mit Erstaunen sah,
schlief. DaS Kinn war nach vorn auf eine untadelige Hemd-
brust gesunken und warf drei Falten. Der Mann sah nicht
ermüdet auS und schien in dieser Gesellschaft schwerwiegender
Kunstfreunde an seinem Platz; ich blieb, wie ich ihn so be-
trachtete, durchaus unwissend darüber, daß ich ihn noch näher
kennen lernen und sogar einen, kleinen Schriftwechsel mit ihm
tauschen sollte. —
Man kam in die Nähe der großen Objekte; der Mann
wachte auf. Bei Frans Hals war er vollends munter; bot
nicht mit, aber notierte sich am Rande des KatalogeS die
neuen Besitzer. Ich hatte von Anfang an meinen Katalog
bei Nummer 26 aufgeschlagen; daS war der Rembrandt,
das Hauptstück der Versteigerung. Sein Schätzungswert
war 600 000, aber er hatte, vor vier Jahren in Paris, wie
sich Eingeweihte mitteilen, schon 900 000 gebracht. Ich muß
jetzt, da wir uns dem Kern der Geschichte nähern, ein wenig
psychologisch werden, darf nicht verschweigen, daß ich, trotz
aller gespannten Aufmerksamkeit, von meinem Nachbarn
irritiert war. Er, was weit schwieriger zu erklären, schien
auch an meiner Person interessierter, als aus den Umständen
erklärlich; denn ich saß, meinen Katalog auf den Knien,
mitteleuropäisch artig, geheimnisvoll da. Jetzt beginnen die
einleitenden Merkwürdigkeiten.
Er ließ einen Silberstift fallen, hatte Mühe, ihn zu finden
und dankte mir, als ich ihn aufhob, mit großartiger Freund-
lichkeit. Eine Minute später, sich zu mir herüberbeugend,
vertraute er mir, daß er den Rembrandt kaum für echt halte.
Darüber äußerte ich in einer Weise mein Erstaunen, die ihn
erschreckte; meine Behauptung, das Bild würde sicher seinen
Schätzungswert übersteigen, machte ihn nachdenklich. Die
Auktion stand bei Nummer 20. Es ging eine kleine Zeit leer
und langweilig hin. Nummer 25 war verhandelt; auf der
Staffelei erschien der Rembrandt. Es wogte leise im Saal,
eine gewisse Unruhe kam auf. DaS Bild, ein Porträt, ziemlich
groß, unverkennbar die Handschrift des Meisters, wurde mit
100 000 angeboten. Die Beteiligung war lebhaft. Mein
Nebenmann saß, seltsamerweise, ohne den Fortgang zu
beobachten, versunken und nach innen gewendet dabei. DaS Bild ging, über
Stufen von 10 bis 20000, seinen Weg aufwärts, war bei 400 angekommen,
stockte ein wenig, als eine Stimme in meiner nächsten Nähe 500 000 ansagte.
Ich war über diesen Sprung
nicht weniger aufgeregt, als die
andern, verlor übrigens ein
wenig die Fassung, als ich fest-
stellen mußte — was mir bis-
lang nicht klar war — daß
dies Angebot von mir kam.
Ergeben, mit ernstem Gesicht,
ertrug ich die Aufmerksamkeit
des Saales, und machte mir
meine fatale Anlage bewußt,
die mich in Augenblicken der
Spannung, der Gefahr, zu
gewaltsamem Antrieb brachte,
— überdies war dieser Fall
nicht halsbrecherisch, einfach
ein Aussprechen von Ziffern,
O'jedcinicen von fjules C^^enard
In seiner Bescheidenheit wagt Gott es nicht,
sich der Erschaffung der Welt zu rühmen.
*
Sie sind noch Christen, weil sie glauben, daß
ihre Religion alles entschuldigt.
*
Entgegen dem, was in der Bergpredigt steht,
wirst du, wenn du nach Gerechtigkeit dürstest,
ewig dürsten.
In unserer Zuneigung zu den Juden liegt ein
gewisser Stolz. Man sagt sich: Wie edel von
wir, sie zu lieben. (Übersetzt von OlgaSigall)
Verdacht
„Ich brauche den Paß für meine Hochzeitsreise/
„Fräuleinchen, Fräuleinchen, wenn Ihnen det man bloß ooch der
Zimmerkellner jloobt."
742
Kopfschütteln passieren ließ.
Mein Nebenmann, wie ich plötzlich mit Erstaunen sah,
schlief. DaS Kinn war nach vorn auf eine untadelige Hemd-
brust gesunken und warf drei Falten. Der Mann sah nicht
ermüdet auS und schien in dieser Gesellschaft schwerwiegender
Kunstfreunde an seinem Platz; ich blieb, wie ich ihn so be-
trachtete, durchaus unwissend darüber, daß ich ihn noch näher
kennen lernen und sogar einen, kleinen Schriftwechsel mit ihm
tauschen sollte. —
Man kam in die Nähe der großen Objekte; der Mann
wachte auf. Bei Frans Hals war er vollends munter; bot
nicht mit, aber notierte sich am Rande des KatalogeS die
neuen Besitzer. Ich hatte von Anfang an meinen Katalog
bei Nummer 26 aufgeschlagen; daS war der Rembrandt,
das Hauptstück der Versteigerung. Sein Schätzungswert
war 600 000, aber er hatte, vor vier Jahren in Paris, wie
sich Eingeweihte mitteilen, schon 900 000 gebracht. Ich muß
jetzt, da wir uns dem Kern der Geschichte nähern, ein wenig
psychologisch werden, darf nicht verschweigen, daß ich, trotz
aller gespannten Aufmerksamkeit, von meinem Nachbarn
irritiert war. Er, was weit schwieriger zu erklären, schien
auch an meiner Person interessierter, als aus den Umständen
erklärlich; denn ich saß, meinen Katalog auf den Knien,
mitteleuropäisch artig, geheimnisvoll da. Jetzt beginnen die
einleitenden Merkwürdigkeiten.
Er ließ einen Silberstift fallen, hatte Mühe, ihn zu finden
und dankte mir, als ich ihn aufhob, mit großartiger Freund-
lichkeit. Eine Minute später, sich zu mir herüberbeugend,
vertraute er mir, daß er den Rembrandt kaum für echt halte.
Darüber äußerte ich in einer Weise mein Erstaunen, die ihn
erschreckte; meine Behauptung, das Bild würde sicher seinen
Schätzungswert übersteigen, machte ihn nachdenklich. Die
Auktion stand bei Nummer 20. Es ging eine kleine Zeit leer
und langweilig hin. Nummer 25 war verhandelt; auf der
Staffelei erschien der Rembrandt. Es wogte leise im Saal,
eine gewisse Unruhe kam auf. DaS Bild, ein Porträt, ziemlich
groß, unverkennbar die Handschrift des Meisters, wurde mit
100 000 angeboten. Die Beteiligung war lebhaft. Mein
Nebenmann saß, seltsamerweise, ohne den Fortgang zu
beobachten, versunken und nach innen gewendet dabei. DaS Bild ging, über
Stufen von 10 bis 20000, seinen Weg aufwärts, war bei 400 angekommen,
stockte ein wenig, als eine Stimme in meiner nächsten Nähe 500 000 ansagte.
Ich war über diesen Sprung
nicht weniger aufgeregt, als die
andern, verlor übrigens ein
wenig die Fassung, als ich fest-
stellen mußte — was mir bis-
lang nicht klar war — daß
dies Angebot von mir kam.
Ergeben, mit ernstem Gesicht,
ertrug ich die Aufmerksamkeit
des Saales, und machte mir
meine fatale Anlage bewußt,
die mich in Augenblicken der
Spannung, der Gefahr, zu
gewaltsamem Antrieb brachte,
— überdies war dieser Fall
nicht halsbrecherisch, einfach
ein Aussprechen von Ziffern,
O'jedcinicen von fjules C^^enard
In seiner Bescheidenheit wagt Gott es nicht,
sich der Erschaffung der Welt zu rühmen.
*
Sie sind noch Christen, weil sie glauben, daß
ihre Religion alles entschuldigt.
*
Entgegen dem, was in der Bergpredigt steht,
wirst du, wenn du nach Gerechtigkeit dürstest,
ewig dürsten.
In unserer Zuneigung zu den Juden liegt ein
gewisser Stolz. Man sagt sich: Wie edel von
wir, sie zu lieben. (Übersetzt von OlgaSigall)
Verdacht
„Ich brauche den Paß für meine Hochzeitsreise/
„Fräuleinchen, Fräuleinchen, wenn Ihnen det man bloß ooch der
Zimmerkellner jloobt."
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