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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 35.1930, (Nr. 1-52)

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Nr. 47
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https://doi.org/10.11588/diglit.6762#0745
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„So reell bin iek nu mal eben: for zehn Em Sachlichkeit, for fünfzehn
Leidenschaft und von zwanzig ufswärtS beginnt die Liebe."

VON GINA KAUS

Evelyne faß mit Theodor im Restaurant und schälte ihm zum Nach-
tisch eine Birne. Sie tat es mit der demutvollen Hingabe einer reuigen
Sünderin, denn sie hatte ihm sehr wehe getan. Allerdings hatte sie
nicht wissen können, daß er so eifersüchtig war, und noch dazu aus
ihren Mann. Manchmal hielt sie in ihrer Arbeit inne und warf Theodor
einen tiestraurigen, flehenden Blick zu, der aber nicht erwidert wurde.
Dann ließ sie sich ein Weilchen gehen und ihre Lippen lösten sich zu
einem heiteren, fast glückseligen Lächeln.

Zehn Jahre lang hatte sie eine unglückliche Ehe geführt, denn ihr
Mann hatte sie vernachlässigt. Er hatte sich dabei ganz wohl gefühlt
und wenn Evelyne es ihm nicht alle Tage gesagt hätte, wäre ihm
gar nicht ausgefallen, daß die Ehe unglücklich war. Aber schließlich
hatte er sich von ihr überzeugen lassen und dann war auch plötzlich
Theodor dagewesen, wie eine Gewitterwolke aus grauem Himmel. So
hatte der Ntann selbst die Scheidung beantragt und war in eine andere
Wohnung gezogen.

„Warum hast du ihn überhaupt empfangen?" fragte Theodor, als die
Jazzmusik Atem holte, „du hättest dich doch können verleugnen lassen?"

Evelyne schob ihm die geschälte Birne zu und sagte sanft: „Warum
hätte ich das tun sollen? Er sagte, daß er wegen seiner Bücher und
Bilder käme, blnd ich habe doch selbst ein Interesse daran, daß alles
friedlich und freundschaftlich geordnet wird . .."

Wahrscheinlich war er auch wirklich nur wegen der Bücher und der
Bilder gekommen und alles weitere war ihm ebenso unerwartet wie ihr
geschehen. Es war vielleicht nur die seltsame Situation schuld gewesen,

dieser zeremonielle Besuch im altoertrauten Heim, was^ beide in eine
nervöse, fast fieberhafte Ausgelassenheit versetzt hatte. Jedenfalls war
ihr Mann viel netter und aufmerksamer gewesen, als je zuvor, er hatte
ihr den Hof gemacht, von den Büchern war gar nicht mehr die Rede
gewesen.

„Warum hast du daö getan?" fragte Theodor. Seine Stimme klang
leise, aber unnatürlich leise, fast wie ein Schreien hinter Polstertüren.
„Ich will dir ja keine Vorwürfe machen. Ich möchte nur, daß du es
mir erklärst!"

Evelyne dachte nach. Sie hatte Theodor die Wahrheit gesagt, weil
sie einander volle Aufrichtigkeit zugeschworen hatten und weil — weil
er ein Psychologe war. Es hatte keinen Sinn, ihn anzulügen, er kam
schließlich doch hinter alles. Er fragte so viel und so geschickt, daß man
ganz müde und zermürbt wurde. Deshalb hatte sie gleich die volle
Wahrheit gesagt, um Ruhe zu haben.

Er gab aber trotzdem keine Ruhe. Er wollte auch den Grund wissen.
„Warum hast du das getan?" Am liebsten hätte sie gesagt: „Es ist
von selbst geschehen", wie die Dienstmädchen sagen, wenn eine Vase
heruntergefallen ist. Aber als Hausfrau wußte sie, daß man sich damit
nicht zufrieden gibt, so suchte sie angestrengt nach einem Grund und sagte
schließlich:

„Ich wollte mir beweisen, daß er mir gar nichts mehr bedeutet!"

„Ober!" brüllte Theodor und hielt den glatzköpfigen Kellner an, der
ein Wägelchen mit Vorspeisen an ihm vorüberführte. „Eine Portion
Rheinlachs!"

„Bist du verrückt? Jetzt, nach dem Obst?"

„Ich will mir beweisen, daß ich keinen Hunger mehr habe!"

Evelyne legte begütigend ihre Hand aus die seine, blnd der glatzköpfige
Kellner, ein milder Freund seiner Gäste, meinte kopfschüttelnd: „Wenn
der Herr nicht weiß, ob er Hunger hat, ist er eben noch nicht satt."

„Du hast gehört?" fragte Theo traurig, als der Kellner gegangen
war. „Du hast gehört?" Sonst nichts.

Walther Herzberg

Daterglück

„Wia S oft der Zufall will, könnt' dös Kinderl ja vielleicht sogar
mei eigens sein!"

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Index
Walter Herzberg: Vaterglück
Gina Kaus: Beweise
Otto Schoff: Tarife
 
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