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O<^ieei von vielen
VON ERICH GERD SCHÜTZE
Nach einem -Tage, der zwischen zermürbenden Büro-
stunden, einem gedankenlosen Gang zum Mittagesien
und weiterer Büroarbeit seinen Verlaus genommen
hatte, schlenderte Gerd am Abend durch die Straßen
des Westens, in denen sich schreiende Lichtreklamen,
zischend-unruhig brennende Bogenlampen, schnarrende
Autohupen und blasse, stereotype Gesichter erlebnis-
hungriger Menschen sich zu einer müden Symphonie
kultivierter Dekadenz einten.
„Einer von den Dielen", stellte er sachlich fest, indem
er sich in einem großen Schausensterspiegel musterte
und die Krawatte nachzog. Dann trat er in ein Cafe
Der Sellerie
B. Gutensohn
ein, in dem gedämpfte Musik und abgeblendete Lampen
das gleiche Leben atmeten wie die Welt der Straßen
da draußen. An dem Ecktischchen, an dem er immer
gern saß, weil man dort die Musik gut hören und
zugleich den Eingang übersehen konnte, ohne gleich selbst
gesehen zu werden, saß eine auffallend hellblonde, ge-
schmackvoll gekleidete Dame. -Obwohl oder vielleicht
gerade weil Gerd den Eindruck hatte, daß diese Frau
eigentlich nicht recht unter diese Fasiadenmenschen paßte,
die hier ringsum saßen, redeten, rauchten, tanzten, setzte er
sich zu ihr, und schon nach wenigen allgemeinen Phrasen
vertieften sich beide in ein Gespräch über Theater, Kino
und Literatur, um schließlich bei der modernen
Architektur zu landen. Thea hatte viel Wissen
und einen sicheren Geschmack, stand aber doch,
wie sie selbst sagte, der neuen Geschmacks-
richtung der Architektur etwas hilflos gegen-
über. Sie sah sich einer festen, organisch ge-
wachsenen Ausdrucksform gegenüber, ohne jedoch
verstehen zu können, was diese Formen auS-
drücken wollten. Gerd dagegen war in seinem
Element.
Sofort begann er und reproduzierte den In-
halt eines Artikels, den er kürzlich über dieses
Thema geschrieben hatte. Es war ihm sehr-
recht so, denn dazu brauchte er höchstens die
Hälfte seiner Gedanken. Die andere Hälfte
konnte er verwenden, um über sich und Fräu-
lein Thea — als solche hatte sie sich vorhin
vorgestellt — nachzudenken.
,Du gefällst mir eigentlich, kleine Thea',
dachte er, während er ihr seinen Lehrvortrag
hielt, ,du könntest meine Freundin werden. Du
siehst gut aus, deine Kleidung zeugt von Ge-
schmack, und die Art, wie du die Zigarette
rauchst, sagt, daß du den Genuß, den dieses
gelbliche Gift feinnervigen Menschen zu geben
hat, zum mindesten ahnst. Man kann sich
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ammerie
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Es ist im Politikgeschäft
genau wie in der Konfektion:
So reißerisch der Aushang kläfft —
geh nur und kauf. .. dann siehst du schon.
Wenn eS im Ladenfenster strahlt,
ist es ein Wunder und Gedicht,
doch mitgenommen und bezahlt,
bringt es dich rasch vorS Selbstgericht:
Die Jacke nicht, die Hose nicht,
die Weste nicht einmal hat Schnitt;
wenn es mich drosselt, zwickt und sticht —
wozu erwarb ich solchen Kitt?
D Liebling, du erwarbst ihn drum,
daß du dein eignes Maß erfaßt;
du warst ein Schaf und herzlich dumm,
damit du einen Prüfstein hast.
Wenn dir der nächste Pofel winkt,
bist du nicht halb so rasch verliebt.. .
und denk mal, wie es erst beschwingt,
daß es nach dir noch Dümmere gibt!
Praxis
„Nein, Fräulein, Sie wirken noch immer zu wenig als Sujet der Wollust!"
„I woaß net, als G'schpusi Hab i mit der Stellung guate Erfahrungen g'macht."
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