Knit Werth
Aufklärung
„llnb meinem Mann geben Sie recht viel Cayenne-Pfeffer in die Bouillon!"
„Verstehe, Jnädige, aber det iS doch bloß n Aberglaube!"
ruhig sehen lassen mit dir. Also
eigentlich konntest du meine Freun-
din werden, aber es hat keinen
Zweck, kleine Thea. Was soll ich
mit einer Freundschaft, deren Ver-
lauf ich genau kenne, bevor sie
begonnen hat? Jawohl, ich kenne
ihn ganz genau sogar. Glaubst
du nicht? Also: In einer Stunde,
von jetzt ab gerechnet, werde ich
dich nach Hause geleiten und mich
verabschieden, nachdem wir uns
für Freitag oder Sonnabend ver-
abredet haben. Am Freitag dann,
oder am Sonnabend werden wir
in einem stillen Lokal eine Flasche
Wein trinken und ich werde dir
den ersten Kuß geben, Und wenn
die Flasche fast leer ist, wirst du
bestimmt sagen, daß du mich lieb
hast und immer mit mir leben
möchtest. Nach einigen weiteren
Abenden werde ich dich zu einer
Wochenendfahrt einladen und du
wirst dich wundern, daß man im
Hotel auch zweibettige Zimmer
bekommt, ohne verheiratet zu sein.
Du wirst dich genieren, dich vor
mir auszuziehen und verlangen, daß
ich das Licht vorher ausdrehe.
Dann wirst du dich sträuben und
dich schließlich ergeben mit dem
Gefühl, ein unschätzbares Ver-
mögen zu verschenken. Nach zwei
Stunden wirst du konstatieren,
daß du der glücklichste Mensch
bist, der je gelebt hat, und mich
nichtsdestoweniger am anderen
Morgen weinend auffordern, dich
zu verachten, wirst kurz darauf den
Verlobungsring von mir fordern
lind ewige Liebe, wirst Angst haben,
daß du ein Kind bekommst und überlegst, ob es
ratsamer ist, sich vor die U-Bahn zu werfen
oder in den Landwehrkanal zu springen. Aber
tun wirst du keines von beiden, denn wenn nach
zwei Wochen pünktlich eine gewisse Natur-
erscheinung einsetzt, wirst du wissen, daß du
kein Kind bekommst, weil bn in irgendeinem
^Ztlichen Ratgeber verbotenerweise gelesen hast,
daß diese Erscheinung aufhöre, wenn eine Frau
sich vorbereite, Mutter zu werden. Darauf
wirst du vor Sehnsucht vergehen, mit mir
wieder im Hotel zu sein und aus dem schönen
Erlebnis ein Gewohnheitsrecht machen wollen.
Und schließlich wirst du eines Tages deine
sämtlichen Taschentücher verweinen, weil ich
dir gesagt habe, daß du mich langweilst. Siehst
du, das alles weiß ich, es steht fest, und nur
die Dauer des Geschehens kann schwanken,
weil sie abhängig ist von meinem Geld, der
Zeit, die mir mein Beruf läßt, meiner Laune
und der Veränderungsfähigkeit deiner Einfälle.
Also — meine Liebe, was sollen wir erst ein
Spiel beginnen, dessen Verlauf und Ende ich
kenne?'
Während Gerd den Gedanken bis zum Ende
gesponnen hatte, war er auch mit seiner Rede
fertig geworden, nur der Schlußsatz fehlte noch.
Öie Kartoffel B.Gutensohn
CJ)ie ^eiflesgegenivart
„Die Geistesgegenwart, liebe Freunde", sagte Alphonso
Allais, „ist eine der größten Tugenden auf dieser Welt.
Eines Tages brach in einem überfüllten Theatersaal ein
Brand aus. Don Unruhe ergriffen, verließen die Leute sofort
ihre Sitze und drängten nach den Türen hin in einer erschrecken-
den Unordnung.
Da stieg ein Herr, der seine Geistesgegenwart nicht verloren
hatte, auf einen Stuhl und hielt folgende Ansprache an die
Menge: „Meine Damen und Herren, es liegt keine Gefahr
vor. Ich bitte Sie alle, Ihre Plätze in größter Ruhe wieder
einzunehmen."
Seine Sicherheit machte Eindruck. Beruhigt kamen die Leute zu-
rück und fetzten sich wieder auf ihre Plätze. Sie verbrannten alle."
^Jrunclc
Barbey d'Aurevilly traf eines Tages im Cafe
des Vosges den Lyriker Coppee.
„Wissen Sie das Neuste, Coppee?" sagte er,
„man erzählt überall, ich sei ein Päderast."
Coppee machte ein bestürztes Gesicht.
„Ich ein Päderast!" fuhr Barbey d'Aure-
villy lachend fort, „gewiß, mein Geschmack,
meine Natur, meine Freude an der Welt und
meine Religion würden mir dergleichen nicht
verbieten — aber meine Zeitgenossen >ind so
häßlich — so schrecklich häßlich!"
J. II. R.
759
Aufklärung
„llnb meinem Mann geben Sie recht viel Cayenne-Pfeffer in die Bouillon!"
„Verstehe, Jnädige, aber det iS doch bloß n Aberglaube!"
ruhig sehen lassen mit dir. Also
eigentlich konntest du meine Freun-
din werden, aber es hat keinen
Zweck, kleine Thea. Was soll ich
mit einer Freundschaft, deren Ver-
lauf ich genau kenne, bevor sie
begonnen hat? Jawohl, ich kenne
ihn ganz genau sogar. Glaubst
du nicht? Also: In einer Stunde,
von jetzt ab gerechnet, werde ich
dich nach Hause geleiten und mich
verabschieden, nachdem wir uns
für Freitag oder Sonnabend ver-
abredet haben. Am Freitag dann,
oder am Sonnabend werden wir
in einem stillen Lokal eine Flasche
Wein trinken und ich werde dir
den ersten Kuß geben, Und wenn
die Flasche fast leer ist, wirst du
bestimmt sagen, daß du mich lieb
hast und immer mit mir leben
möchtest. Nach einigen weiteren
Abenden werde ich dich zu einer
Wochenendfahrt einladen und du
wirst dich wundern, daß man im
Hotel auch zweibettige Zimmer
bekommt, ohne verheiratet zu sein.
Du wirst dich genieren, dich vor
mir auszuziehen und verlangen, daß
ich das Licht vorher ausdrehe.
Dann wirst du dich sträuben und
dich schließlich ergeben mit dem
Gefühl, ein unschätzbares Ver-
mögen zu verschenken. Nach zwei
Stunden wirst du konstatieren,
daß du der glücklichste Mensch
bist, der je gelebt hat, und mich
nichtsdestoweniger am anderen
Morgen weinend auffordern, dich
zu verachten, wirst kurz darauf den
Verlobungsring von mir fordern
lind ewige Liebe, wirst Angst haben,
daß du ein Kind bekommst und überlegst, ob es
ratsamer ist, sich vor die U-Bahn zu werfen
oder in den Landwehrkanal zu springen. Aber
tun wirst du keines von beiden, denn wenn nach
zwei Wochen pünktlich eine gewisse Natur-
erscheinung einsetzt, wirst du wissen, daß du
kein Kind bekommst, weil bn in irgendeinem
^Ztlichen Ratgeber verbotenerweise gelesen hast,
daß diese Erscheinung aufhöre, wenn eine Frau
sich vorbereite, Mutter zu werden. Darauf
wirst du vor Sehnsucht vergehen, mit mir
wieder im Hotel zu sein und aus dem schönen
Erlebnis ein Gewohnheitsrecht machen wollen.
Und schließlich wirst du eines Tages deine
sämtlichen Taschentücher verweinen, weil ich
dir gesagt habe, daß du mich langweilst. Siehst
du, das alles weiß ich, es steht fest, und nur
die Dauer des Geschehens kann schwanken,
weil sie abhängig ist von meinem Geld, der
Zeit, die mir mein Beruf läßt, meiner Laune
und der Veränderungsfähigkeit deiner Einfälle.
Also — meine Liebe, was sollen wir erst ein
Spiel beginnen, dessen Verlauf und Ende ich
kenne?'
Während Gerd den Gedanken bis zum Ende
gesponnen hatte, war er auch mit seiner Rede
fertig geworden, nur der Schlußsatz fehlte noch.
Öie Kartoffel B.Gutensohn
CJ)ie ^eiflesgegenivart
„Die Geistesgegenwart, liebe Freunde", sagte Alphonso
Allais, „ist eine der größten Tugenden auf dieser Welt.
Eines Tages brach in einem überfüllten Theatersaal ein
Brand aus. Don Unruhe ergriffen, verließen die Leute sofort
ihre Sitze und drängten nach den Türen hin in einer erschrecken-
den Unordnung.
Da stieg ein Herr, der seine Geistesgegenwart nicht verloren
hatte, auf einen Stuhl und hielt folgende Ansprache an die
Menge: „Meine Damen und Herren, es liegt keine Gefahr
vor. Ich bitte Sie alle, Ihre Plätze in größter Ruhe wieder
einzunehmen."
Seine Sicherheit machte Eindruck. Beruhigt kamen die Leute zu-
rück und fetzten sich wieder auf ihre Plätze. Sie verbrannten alle."
^Jrunclc
Barbey d'Aurevilly traf eines Tages im Cafe
des Vosges den Lyriker Coppee.
„Wissen Sie das Neuste, Coppee?" sagte er,
„man erzählt überall, ich sei ein Päderast."
Coppee machte ein bestürztes Gesicht.
„Ich ein Päderast!" fuhr Barbey d'Aure-
villy lachend fort, „gewiß, mein Geschmack,
meine Natur, meine Freude an der Welt und
meine Religion würden mir dergleichen nicht
verbieten — aber meine Zeitgenossen >ind so
häßlich — so schrecklich häßlich!"
J. II. R.
759