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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 35.1930, (Nr. 1-52)

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Nr. 48
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enssin

örinern tun. Und das ist eine Ausdrucksweise, deren ich mich nur aus-
nahmsweise zu bedienen pflege.

Das Aukv, das uns nach den Loire-Schlössern entführte, hatte sechs
Personen an Bord ... Wir haben drei Tage zusammen gelebt und wir
kennen einander nun f£ ebenso gut, als Härten wir sechs ll^eonate
gemeinsam in einer mit Eisbärfellen verkleideten Bretterhütte überwintert.

Bis dahin wußten die sechs Reisenden voneinander gar nichts, obzwar
sie einander regelmäßig in der Gesellschaft begegnet waren. Wenn man
zusammen eine Stunde in einem Salon oder zwei Stunden bei Tisch
verbringt, spielt man einander eine Komödie vor und übernimmt eine
Rolle, die dreimal vierundzwanzig Stunden durchzuhalten beinahe un-
möglich ist.

Da war vor allem der Chauffeur, dem ich schon wiederholt am
Wagen meines Freundes G. D. Gödeon begegnet war. Dieser Chauffeur
machte mir stets den Eindruck eines untadeligen, fügsamen Dieners...
Heute weiß ich, daß es keinen eigensinnigeren Menjchen gibt. Sein „Ja,
gnädiger Herr!" das ich häufig aus feinem Munde gehört hatte, und
das mir stets als die respektvolle Unterordnung des gehorsamen Dieners
erschienen war, sein „Ja, gnädiger Herr", hatte plötzlich seine wahre
Bedeutung bekommen.

— Ja, gnädiger Herr, du bist mein Herr, du zahlst mir monatlich
so und so viel und glaubst, mir deinen Willen aufzwingen zu können.
Ich tue dir den Gefallen und sage: „Ja, gnädiger Herr", aber ich wahre

Reflexion

„Volk bleibt ewig Kanaille — man braucht et nur for
die Arbeit und for die Fortpflanzung."

„Sie brauchen ja nur dieses Gebäude anzuschauen, ganz flüchtig,
äußerlich, um zu erkennen, daß sich hier der Geist einer Zeit ein Denkmal
gesetzt hat, die das Individuum völlig verschwinden läßt, um nur noch
die Wucht und zugleich die blnpersönlichkeit deS KollektivumS zu dulden!"

Wie nach einer schweren Arbeit lehnte sich Gerd zurück und zündete
sich scheinbar nachdenklich eine Zigarette an.

„Ein moderner, geistreicher Mensch", dachte Thea und nahm gern
Gerds Anerbieten an, sich von ihm nach HauS begleiten zu lasten.

„Ich liebe es nicht, lange vor Haustüren zu stehen", sagte Gerd zum
Schluß und reichte ihr die Hand. „Darf ich mich verabschieden und
die glückliche Gewißheit mitnehmen, daß ich Sie am Freitag abend am
bl-Bahnhof Zoo um 9 blhr sehe?"

„Es wird mir eine Freude fein", erwiderte Thea; und als sie die
Haustür geschlossen hatte und allein zu ihrer Wohnung hinaufstieg,
hatte sie das glückhafte Gefühl, einen Freund gesunden zu haben-

Dank dem Auto brechen, wenn das Wetter schön wird, die ambulanten
Kolonnen auf und bevölkern die Hotels der kleinen Städte bis hinunter
zu den ländlichen Herbergen. Dank dem Auto herrscht selbst in den
bisher wildesten Gegenden eine entzückende Zivilisation, bim die Motoren
herum, die einst die Schafhirten gleich blngeheuern geschreckt hatten,
sieht man jetzt ländliche Maulafsen herbeiströmen, und so mancher, noch
etwas unbeholfene Chauffeur, der verzweifelt nach der birsache einer
Panne sucht, nimmt sehr gerne die Hilfe eines der ländlichen Fachleute
in Anspruch.

Die kleinen Gänsehirten haben nur die eine Sehnsucht, die Fahrschule
besuchen zu dürfen und der alte Hirt, in seinem weiten Kittel, träumt
davon, sich in seine Hütte einen Motor einbauen zu lasten.

Aber ich will heute nicht lange über das schöne Thema vom Auto,
das die Zivilisation verbreitet, sprechen; das könnte man nur in Alexan-

( +~

Reliquien

„Wissen se, Kamerad, mit dem K 0 p p muß man et ja nu leider
mit der Republik halten, aber meine Beene jehören ewig Es Em!"

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Register
Anton Leidl: Reliquien
Tristan Bernard: Benzin
Karl Rössing: Reflexion
 
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