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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 35.1930, (Nr. 1-52)

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Nr. 49 (Rauchen und rauchen lassen)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6762#0771
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J U G

35. JAHRGANG

END

1 9 3 0 / NR. 49

Raucherphi losophie

„Wia a Frau iS so a Ziehgar n: Balst 'S Deckblatt abidrahst, iS G'lump drunter."

„Ja, und balst's n e t abidrahst, woaßt net, was d'runter iS."

DAS TABAKTIER

EINE SELTSAME GESCHICHTE VON WILLy SEIDEL

Es ist nicht so sehr lange her, da brachte ein
fanatisch wahrheitsliebendes, durch knappste
Berichterstattung bekanntes Blatt unter seinen
Lokal-Katastrophen eine in ihrer Wirkung über
Wien hinauSreichende Einzelheit. Ich gebe die
Zeilen wieder. „ In der MaiSedergasse, Ottakring "
— so hieß eS da — „wurde ein reichsdeutsches
Individuum sistiert und als der aus einer Pro-
paganda-VortragSreise befindliche Turnlehrer
ArminiuS Höfele, Inhaber von verschiedenen
Verdienstmedaillen zur Hebung der DolkS-
gesundung, Ehrenpräsident deS Vereins „Dienst
am Volkskörper", agnosziert. Derselbe gab zu
Protokoll, sein dasigeS, benommenes Befinden
sei durch fremde Einwirkung verursacht worden.
Der amtshandelnde ehem. k. k. Bezirksarzt Dr.
Sebastian DubS bewirkte die Abgabe des Oben-

genannten an die bundesstaatlich privilegierte
Vervenklinik ,zum Steinhost. AmtSortlich neigt
man zur Annahme, sistierter P. P. halluziniere
unter einer Giftbeibringung. An der Erlangung
seines völligen Verstandes zweifelt man. Unter-
suchung durch Wachtassistenz ist anberaumt."

Vicht so sehr die leuchtende Klarheit dieses
Berichts als vielmehr die Tatsache, daß Ar-
miniuS Höfele mir gut bekannt war, weckte
mein tatkräftiges Interest e. Die „fremde Ein-
wirkung" war durch mehrfach angewandte
Psychoanalyse, verbunden mit ZelleiS scher
Wechselstrom-Schocktherapie, nicht auskultiert
worden, und so entließ man den mit Amnäsie
behafteten Dulder, da die Diagnose eine „an-
sonsten unveränderte Einstellung" ergab. Ich
nahm mich seiner an. Noch saß ihm ein großes

Staunen im Blick. Was die Wiener Seelen-
kundigen nicht zu deuten vermocht — das
brachte ein zunächst gräßlicher Zufall, der sich
heilsam erwies, ans Licht.

Wir saßen im Cafe MooSgruber. Er trank
Orangensaft. Da ließ sich an unserem Mar-
mortisch ein dicker Mann mit einem schwarzen,
gewichsten Schnurrbart nieder, der nach einem
gegrunzten „Sö gestatten" mißbilligende Blicke
auf meines Freundes Getränk warf, dann mit
einer schleichenden Geste in die Jackentasche fuhr
und ein Etui hervorzog. Es war ein großes
Etui. Er öffnete es mit klauenartigen Fingern.
Drinnen, auf einem schwarz-gelb gestreiften
Seidenpolsterchen, lag ein seltsam knorriger,
brauner Gegenstand, einer Wurzel ähnelnd. Er
hob ihn heraus; es war eine mächtige Bern-
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Otto Herrmann: Raucherphilosophie
Willy Seidel: Das Tabaktier
 
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