Abendunterhaltung
Recht habn's ja, aber nur allwei sag n »Deutschland erwache!' werd a langweili!"
.Hab i heut Abend net a scho zwoamal g sagt »Inda v e r r e ck e'?"
cy(foLlied auf eine C>LiöareUe
VON KARL GREIS
Oft hat man Lust, die Frage auszuwerfen.
Wozu man eigentlich daS Leben braucht.
Der Glaube stirbt, es bleiben nur die Nerven.
Man zieht sich an, man ärgert sich und raucht.
Drum überschätze nicht daS bißchen Leben
lllnd sage nie: „Ich habe viel gelitten."
Am besten ist, du stehst gefaßt daneben:
„Verzeihen Sie, darf ich um Feuer bitten?"
WaS dir passiert, passiert in allen Ländern,
Die Menschen essen, schlafen und betrügen.
Man kann das Leben ohnehin nicht ändern:
Genieß es drum in vollen Lungenzügen!
Dann merkst du, bald, daß sich das Rauchen lohnt,
Und werden auch die Fingerspitzen gelber:
Hauptsache ist: die Seele wird geschont
Und übrigens: man altert ja von selber.
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eselhaften Störrigkeit war, so daß er längere
Auslandsreisen machen konnte, ohne dem freun-
den Boden das wiederzugeben, was ihm ent-
sprossen war. Ich beschloß, ihm gleich am
ersten Sage jenen befreienden Toscano zu ver-
setzen, der uns so oft auS der Besuchsklemme
geholfen hatte, An der Tat wirkten schon die
ersten Züge Wunder, mit leisem Ächzen wie ein
ins tiefste Mark getroffener Stamm sank das
Männchen in sich zusammen und begehrte fort-
getragen zu werden, beileibe aber nicht in das
Fremdenbettlein, das meine besuchserfahrene
Frau schon fürsorglich bereitet hatte, sondern
nach jenem Orte, nach dem er sonst so selten
begehrte. DaS war acht Uhr morgens, ich
schrieb bis Mittag einige zart hingehauchte
„Liebesgedichte an Maud", da tauchte der Gast
wieder aus, etwas schlotternd noch, aber mutig
und frisch, verzehrte unser hahnebüchen derbes
Mittagsmahl mit regem Appetit und zog sich
nach dieser Mittagspause auf nochmals vier
Stunden in die Einsamkeit zurück, die er gegen
Abend, seines Leidens endgültig geheilt, als ein
neuer Mensch verließ und, wie ein Krüppel
nach der Heilung seine Krücken, warf er seinen
hektographierten Nicht-Speisezettel weit von sich,
maßlose Erleichterung und frischeste Lebenslust
bekundend. Wir haben ihn später nur durch
Einträufelung von Belladonnatinktur in den
Schlaftrunk aus dem Hause vertreiben können.
Das ist aber, wie gesagt, auch das einzige
Mal, wo der ToScano bei meinen Gästen
seinen Zweck verfehlte. Seien wir mild und
verzeihend und sehen wir von einem Straf-
antrag gegen die Tabakregie ab — man kann
nicht immer gewährleisten, daß ein und dasselbe
Mittel bei allen Individuen denselben Erfolg
habe.
wird. In der Regel findet bereits nach fünf
Minuten ein leichter Schweißausbruch statt, der
sich bei hektischer Röte unter konvulsivischem
Speichelfluß zu Krampferscheinungen steigern
kann, unter gleichzeitigem Aufsteigen eines
Knäuels im Halse und Fahrstuhlgefühl in der
Magengegend. In schätzungsweise einer Viertel-
stunde begehrt der Gast ins Bett gelegt zu
werden, in besonders günstigen Fällen wünscht
er sofort abzureisen, wozu man ihm auch unter
klug abgezirkeltem Widerspruch verhelfen kann.
In den weitaus meisten Fällen hat sich dies
Hausmittel glänzend bewährt, nur in einem
Falle brachte es Nebenerscheinungen, die nicht
der beabsichtigten Schädigung des lieben Gastes,
sondern seinem Wohlbefinden dienten.
Das Männlein, irgendein angeheirateter
Stiefvetter, von einer verheißungsvoll schwäch-
lichen Konstitution, hatte uns bereits am ersten
Tage seines Besuchs mit einem kleinen hekto-
graphierten Zettel erfreut, auf dem alle jene
Speisen standen, die er nicht essen durfte,
indem sein DerdauungSapparat von einer maul-
Recht habn's ja, aber nur allwei sag n »Deutschland erwache!' werd a langweili!"
.Hab i heut Abend net a scho zwoamal g sagt »Inda v e r r e ck e'?"
cy(foLlied auf eine C>LiöareUe
VON KARL GREIS
Oft hat man Lust, die Frage auszuwerfen.
Wozu man eigentlich daS Leben braucht.
Der Glaube stirbt, es bleiben nur die Nerven.
Man zieht sich an, man ärgert sich und raucht.
Drum überschätze nicht daS bißchen Leben
lllnd sage nie: „Ich habe viel gelitten."
Am besten ist, du stehst gefaßt daneben:
„Verzeihen Sie, darf ich um Feuer bitten?"
WaS dir passiert, passiert in allen Ländern,
Die Menschen essen, schlafen und betrügen.
Man kann das Leben ohnehin nicht ändern:
Genieß es drum in vollen Lungenzügen!
Dann merkst du, bald, daß sich das Rauchen lohnt,
Und werden auch die Fingerspitzen gelber:
Hauptsache ist: die Seele wird geschont
Und übrigens: man altert ja von selber.
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eselhaften Störrigkeit war, so daß er längere
Auslandsreisen machen konnte, ohne dem freun-
den Boden das wiederzugeben, was ihm ent-
sprossen war. Ich beschloß, ihm gleich am
ersten Sage jenen befreienden Toscano zu ver-
setzen, der uns so oft auS der Besuchsklemme
geholfen hatte, An der Tat wirkten schon die
ersten Züge Wunder, mit leisem Ächzen wie ein
ins tiefste Mark getroffener Stamm sank das
Männchen in sich zusammen und begehrte fort-
getragen zu werden, beileibe aber nicht in das
Fremdenbettlein, das meine besuchserfahrene
Frau schon fürsorglich bereitet hatte, sondern
nach jenem Orte, nach dem er sonst so selten
begehrte. DaS war acht Uhr morgens, ich
schrieb bis Mittag einige zart hingehauchte
„Liebesgedichte an Maud", da tauchte der Gast
wieder aus, etwas schlotternd noch, aber mutig
und frisch, verzehrte unser hahnebüchen derbes
Mittagsmahl mit regem Appetit und zog sich
nach dieser Mittagspause auf nochmals vier
Stunden in die Einsamkeit zurück, die er gegen
Abend, seines Leidens endgültig geheilt, als ein
neuer Mensch verließ und, wie ein Krüppel
nach der Heilung seine Krücken, warf er seinen
hektographierten Nicht-Speisezettel weit von sich,
maßlose Erleichterung und frischeste Lebenslust
bekundend. Wir haben ihn später nur durch
Einträufelung von Belladonnatinktur in den
Schlaftrunk aus dem Hause vertreiben können.
Das ist aber, wie gesagt, auch das einzige
Mal, wo der ToScano bei meinen Gästen
seinen Zweck verfehlte. Seien wir mild und
verzeihend und sehen wir von einem Straf-
antrag gegen die Tabakregie ab — man kann
nicht immer gewährleisten, daß ein und dasselbe
Mittel bei allen Individuen denselben Erfolg
habe.
wird. In der Regel findet bereits nach fünf
Minuten ein leichter Schweißausbruch statt, der
sich bei hektischer Röte unter konvulsivischem
Speichelfluß zu Krampferscheinungen steigern
kann, unter gleichzeitigem Aufsteigen eines
Knäuels im Halse und Fahrstuhlgefühl in der
Magengegend. In schätzungsweise einer Viertel-
stunde begehrt der Gast ins Bett gelegt zu
werden, in besonders günstigen Fällen wünscht
er sofort abzureisen, wozu man ihm auch unter
klug abgezirkeltem Widerspruch verhelfen kann.
In den weitaus meisten Fällen hat sich dies
Hausmittel glänzend bewährt, nur in einem
Falle brachte es Nebenerscheinungen, die nicht
der beabsichtigten Schädigung des lieben Gastes,
sondern seinem Wohlbefinden dienten.
Das Männlein, irgendein angeheirateter
Stiefvetter, von einer verheißungsvoll schwäch-
lichen Konstitution, hatte uns bereits am ersten
Tage seines Besuchs mit einem kleinen hekto-
graphierten Zettel erfreut, auf dem alle jene
Speisen standen, die er nicht essen durfte,
indem sein DerdauungSapparat von einer maul-