J U G E
3 5. JAHRGANG
N D
1 9 3 0 / NR. 5 1
Phanta s i e Max M ayrshofer
TOTENfACHT AUF PARLEITEN
Die einzige Winterfliege der Wirtsstube sauste
in irrsinnigen Schleifen um die rotglühende
Kohlenfadenlampe, hockte sich auf das nasse
Bierfilzl und soff sich voll. Der Parleitner, die
Arme auf dem Tisch, stierte sie erst an, dann
schlug er mit der Hand hin. Das Skifahrerpaar
auf der Ofenbank, sentimental-wollüstig in-
einander vergraben, schreckte aus seinem Halb-
schlaf. Die Fliege zog wieder schwarze Faden-
schleifen um die Lampe.
Der Parleitner griff nach dem Krug, trank
aus. „Bring mir noch eine", sagte er. AuS
der dunklen Ecke, wo eS gesessen und gierig dem
warmen Beieinander des Paares zugesehen
hatte, tauchte ein schmächtiges Mädchen, ver-
schwand in der Schenke, erschien wieder und
stellte sich neben den Bauern. Er griff an die
magere Hüfte, die sich sofort an sein Bein
schmiegte. „Hast auch schon einen, Nandl?"
fragte er rauh. Das Mädchen lächelte in die
Ferne: „Der Sepp hätt mich mögen." Der
Parleitner stieß sie weg: „Mein Knecht?" BoS-
V O N WILLI REINDL
Haft, mit schmalem Hohn, blickte ihn daS Mädel
an: „Der will nicht bloß mich, meinst net auch,
Bauer?" Der langte nach dem Krug. Nandl
sah, daß er sie erschlagen würde und trat in
ihren Winkel zurück, von wo sie wieder hungrig
nach dem verliebten Paar am Ofen schaute.
Der Bauer soff sich voll wie die Fliege.
Die LIhr rasselte elf schnelle Schläge. Wieder
rührt sich das Paar. Der Bauer blinzelte hin,
sah die zierliche Büste der Städterin aufrecht
unter der weißen Wolljacke stehen. Da war sein
Weib schon anders: lachend, bös, mächtig an
Armen, Brust und Schenkeln. Im weißen Hemd
war sie über den Flur in die Schlafkammer
gelaufen, als er neulich heimgekommen war.
Das Stierkalb hätte sich losgerissen gehabt,
hatte sie gesagt. Der Bauer schielte nach der
weißen Sünde hinüber. Der Krug sprang, so
krachte seine Faust auf den Tisch: „Sepp, laß
das Weib aus!" Kerzengerade ging er auf die
zwei am Ofen loS. Das weiße Mädchen glitt
erschrocken von der Bank, der Skifahrer straffte
sich auf. Mitten im Weg hielt der Bauer.
„Ach so!" und strich mit der Hand über die
Stirn. Nandl war herbeigerannt: „Sauf net
so viel! Dort hängt dein Hut!" Gutmütig
nahm er den Hut vom Nagel, wankte zur Tür,
ging hinaus. Das Mädchen entzündete eine
Kerze und folgte ihm. Als er die HauStüre
öffnete, stand der Nebel dick und elastisch wie
eine Gummiwand da. Nandl, mit dem Licht
hinter ihm, schrie laut. Eine riesige, übermensch-
liche Gestalt wuchs dem Bauern schwarz ent-
gegen wie ein teuflisches Nachtgespenst. Auch
der Bauer prallte zurück, dann lachte er: „Bist
auch da, alter Teufel?" Nandl warf die Tür
zu, bekreuzte sich, erzählte drinnen, der Teufel
habe auf den Parleitner gewartet.
Dieser ruderte, als schwämme er durch flie-
genden Ruß. Der gefrierende Nebel bewarf im
Nu sein Gewand, seine Augenbrauen, seinen
Bart mit Kristallen, der Wind trieb ihm spitze
Nadeln in Gesicht und Handrücken. Er steckte
die Hände in die Taschen. Die paar Häuser
3 5. JAHRGANG
N D
1 9 3 0 / NR. 5 1
Phanta s i e Max M ayrshofer
TOTENfACHT AUF PARLEITEN
Die einzige Winterfliege der Wirtsstube sauste
in irrsinnigen Schleifen um die rotglühende
Kohlenfadenlampe, hockte sich auf das nasse
Bierfilzl und soff sich voll. Der Parleitner, die
Arme auf dem Tisch, stierte sie erst an, dann
schlug er mit der Hand hin. Das Skifahrerpaar
auf der Ofenbank, sentimental-wollüstig in-
einander vergraben, schreckte aus seinem Halb-
schlaf. Die Fliege zog wieder schwarze Faden-
schleifen um die Lampe.
Der Parleitner griff nach dem Krug, trank
aus. „Bring mir noch eine", sagte er. AuS
der dunklen Ecke, wo eS gesessen und gierig dem
warmen Beieinander des Paares zugesehen
hatte, tauchte ein schmächtiges Mädchen, ver-
schwand in der Schenke, erschien wieder und
stellte sich neben den Bauern. Er griff an die
magere Hüfte, die sich sofort an sein Bein
schmiegte. „Hast auch schon einen, Nandl?"
fragte er rauh. Das Mädchen lächelte in die
Ferne: „Der Sepp hätt mich mögen." Der
Parleitner stieß sie weg: „Mein Knecht?" BoS-
V O N WILLI REINDL
Haft, mit schmalem Hohn, blickte ihn daS Mädel
an: „Der will nicht bloß mich, meinst net auch,
Bauer?" Der langte nach dem Krug. Nandl
sah, daß er sie erschlagen würde und trat in
ihren Winkel zurück, von wo sie wieder hungrig
nach dem verliebten Paar am Ofen schaute.
Der Bauer soff sich voll wie die Fliege.
Die LIhr rasselte elf schnelle Schläge. Wieder
rührt sich das Paar. Der Bauer blinzelte hin,
sah die zierliche Büste der Städterin aufrecht
unter der weißen Wolljacke stehen. Da war sein
Weib schon anders: lachend, bös, mächtig an
Armen, Brust und Schenkeln. Im weißen Hemd
war sie über den Flur in die Schlafkammer
gelaufen, als er neulich heimgekommen war.
Das Stierkalb hätte sich losgerissen gehabt,
hatte sie gesagt. Der Bauer schielte nach der
weißen Sünde hinüber. Der Krug sprang, so
krachte seine Faust auf den Tisch: „Sepp, laß
das Weib aus!" Kerzengerade ging er auf die
zwei am Ofen loS. Das weiße Mädchen glitt
erschrocken von der Bank, der Skifahrer straffte
sich auf. Mitten im Weg hielt der Bauer.
„Ach so!" und strich mit der Hand über die
Stirn. Nandl war herbeigerannt: „Sauf net
so viel! Dort hängt dein Hut!" Gutmütig
nahm er den Hut vom Nagel, wankte zur Tür,
ging hinaus. Das Mädchen entzündete eine
Kerze und folgte ihm. Als er die HauStüre
öffnete, stand der Nebel dick und elastisch wie
eine Gummiwand da. Nandl, mit dem Licht
hinter ihm, schrie laut. Eine riesige, übermensch-
liche Gestalt wuchs dem Bauern schwarz ent-
gegen wie ein teuflisches Nachtgespenst. Auch
der Bauer prallte zurück, dann lachte er: „Bist
auch da, alter Teufel?" Nandl warf die Tür
zu, bekreuzte sich, erzählte drinnen, der Teufel
habe auf den Parleitner gewartet.
Dieser ruderte, als schwämme er durch flie-
genden Ruß. Der gefrierende Nebel bewarf im
Nu sein Gewand, seine Augenbrauen, seinen
Bart mit Kristallen, der Wind trieb ihm spitze
Nadeln in Gesicht und Handrücken. Er steckte
die Hände in die Taschen. Die paar Häuser