guter
VON ALFRED GRÜNEWALD
Herr Dankmar sprang mit beiden Füßen
aus dem Bett. Die Morgensonne schien hell
in sein komfortables Schlafzimmer. Es hatte
eine Woche lang faß ununterbrochen geregnet,
und Herr Dankmar, der schlechtes Wetter wie
eine persönliche Beleidigung empfand, betrachtete
die plötzliche Wendung zum Guten gleicher-
weise als Privatsache.
Mit Eifer und jugendlichem Schwung ab-
solvierte der Fünfzigjährige sein gymnastisches
Pensum und war alsbald, rascher als sonst,
in den Kleidern. Bevor er sich ins Neben-
zimmer an den Frühstückstisch begab, warf er
noch einen befriedigten Blick aus die gewaschene
Straße hinunter und sah dann angelegentlich
zum Himmel empor, der nicht den kleinsten
Makel einer Wolke aufwies.
Herr Dankmar — eine etwas sensitive Natur,
wie man aus obiger Andeutung vielleicht er-
raten hat — war wirklich rosiger Laune. Er
befand sich, wie er es selber nannte, „in freu-
diger Bereitschaft". Dieser Dag, so dünkte es
ihn, mußte Überraschungen bringen.
An gewohnter Stelle neben dem Deebrett
lag die Morgenpost. Herr Wankmar liebte es,
Briefe zu empfangen. Dieser gutsituierte Mann,
der ein sozusagen automatisch funktionierendes
Einkommen besaß — er war Teilhaber einer
Fabrik, die sich in einer entfernten Stadt ba
fand und ihm weiter kaum zu schaffen machte
— war Junggeselle und lebte ziemlich einsam.
Eine gewisse Schüchternheit und der Hang zur
Eigenbrödelei hatten zur Folge, daß sein gesel-
liger Verkehr immer ein beschränkter blieb.
Er besaß wohl Freunde, unter ihnen aber keinen
sogenannten Intimus.
Dieses, freilich selbstverschuldete Außenseiter-
tum empfand er mitunter recht quälend, und da
konnte es geschehen, daß irgendein lieber Brief
QTlonolog
eines mageren GScnweins
VON PETER SCHER
Ich bin auf einem Rittergut geboren,
an meiner Wiege tönte polnischer Gesang;
zu edler Mast bestimmt, ein Schwein von Rang,
trug ich den Rüssel hoch und steif die Dhren.
„l 83g' ha11 aso: Die Herren- und Damentoilette z'sammg'legt, die Wasserspülung
ab'baut, der Papierverbrauch unter Kontrolle und die Abortfrau ehrenamtlich, — dös
war’ für den Betrieb und den Konsumenten eine wirtschaftliche Erleichterung!"
Denk ich des KofenS in der Jugend Glanze,
wie er von Schlempe quoll und Kleie schwer,
dann fühl ich meine Magerkeit nicht mehr
und juble lyrisch mit dem Ringelschwanze.
Doch ach, es kam die Zeit der magern Linie
im Kosmos, in der Landwirtschaft, im Sein;
die dürftige Schlankheit bürgerte sich ein —
selbst bei der fetten Saumagd Euphrosynie.
bind was ergab sich aus der bittern Krise?
Fett ward verpönt, Verachtung traf den Speck...
was man als Ideal mich lehrte — weg!
Das magre Schwein! heißt jetzt die Marktdevise.
Zur Mast geboren, sitz ich hier — entfettet,
ein adlig Schwein einst, nun ein Gegenstand,
ein magrer Mensch beklopft mich mit der Hand —
fürwahr, auf Rosen bin ich nicht gebettet!
Der Menschheit blnsinn ist des Schweins
Verderben —
wo ist noch Adel, wenn nicht Fett mehr gilt!
Mein Durst nach Welterleben ist gestillt,
ich wünsche nichts, als schinkenlos zu sterben.
ihm daS uns allen nötige Gefühl deS Eingeordnet-
seins wiedergab.
Ein solcher Brief, von werter Freundes-
hand, befand sich auch unter der eben ange-
kommenen Post und bewirkte diesmal, daß der
schon ohnehin Vergnügte in einen Zustand ge-
linden Entzückens geriet. Erst nach einer guten
Weile — immer wieder las er die willkommenen
Zeilen — erinnerte er sich, daß noch zwei
weitere Briese eingelaufen waren. Kein Zweifel,
auch diese würden frohe Nachrichten bringen!
Herr Dankmar erwies sich als Prophet. In
dem einen Schreiben verständigte ihn sein Ad-
vokat von dem glücklichen Ausgang eines langen
und leidigen Prozesses. Diese kaum mehr er-
wartete Lösung brachte Herrn Dankmar nicht
nur beträchtliche materielle Vorteile, sondern
bedeutete ihm auch in hohem Grade eine mora-
lische Genugtuung. Der dritte Brief endlich
enthielt eine halb amtliche Nachricht, die auf
eine Wohltätigkeitsaktion Bezug hatte. In herz-
lichen Dankesworten wurde feiner Großmut
§08
VON ALFRED GRÜNEWALD
Herr Dankmar sprang mit beiden Füßen
aus dem Bett. Die Morgensonne schien hell
in sein komfortables Schlafzimmer. Es hatte
eine Woche lang faß ununterbrochen geregnet,
und Herr Dankmar, der schlechtes Wetter wie
eine persönliche Beleidigung empfand, betrachtete
die plötzliche Wendung zum Guten gleicher-
weise als Privatsache.
Mit Eifer und jugendlichem Schwung ab-
solvierte der Fünfzigjährige sein gymnastisches
Pensum und war alsbald, rascher als sonst,
in den Kleidern. Bevor er sich ins Neben-
zimmer an den Frühstückstisch begab, warf er
noch einen befriedigten Blick aus die gewaschene
Straße hinunter und sah dann angelegentlich
zum Himmel empor, der nicht den kleinsten
Makel einer Wolke aufwies.
Herr Dankmar — eine etwas sensitive Natur,
wie man aus obiger Andeutung vielleicht er-
raten hat — war wirklich rosiger Laune. Er
befand sich, wie er es selber nannte, „in freu-
diger Bereitschaft". Dieser Dag, so dünkte es
ihn, mußte Überraschungen bringen.
An gewohnter Stelle neben dem Deebrett
lag die Morgenpost. Herr Wankmar liebte es,
Briefe zu empfangen. Dieser gutsituierte Mann,
der ein sozusagen automatisch funktionierendes
Einkommen besaß — er war Teilhaber einer
Fabrik, die sich in einer entfernten Stadt ba
fand und ihm weiter kaum zu schaffen machte
— war Junggeselle und lebte ziemlich einsam.
Eine gewisse Schüchternheit und der Hang zur
Eigenbrödelei hatten zur Folge, daß sein gesel-
liger Verkehr immer ein beschränkter blieb.
Er besaß wohl Freunde, unter ihnen aber keinen
sogenannten Intimus.
Dieses, freilich selbstverschuldete Außenseiter-
tum empfand er mitunter recht quälend, und da
konnte es geschehen, daß irgendein lieber Brief
QTlonolog
eines mageren GScnweins
VON PETER SCHER
Ich bin auf einem Rittergut geboren,
an meiner Wiege tönte polnischer Gesang;
zu edler Mast bestimmt, ein Schwein von Rang,
trug ich den Rüssel hoch und steif die Dhren.
„l 83g' ha11 aso: Die Herren- und Damentoilette z'sammg'legt, die Wasserspülung
ab'baut, der Papierverbrauch unter Kontrolle und die Abortfrau ehrenamtlich, — dös
war’ für den Betrieb und den Konsumenten eine wirtschaftliche Erleichterung!"
Denk ich des KofenS in der Jugend Glanze,
wie er von Schlempe quoll und Kleie schwer,
dann fühl ich meine Magerkeit nicht mehr
und juble lyrisch mit dem Ringelschwanze.
Doch ach, es kam die Zeit der magern Linie
im Kosmos, in der Landwirtschaft, im Sein;
die dürftige Schlankheit bürgerte sich ein —
selbst bei der fetten Saumagd Euphrosynie.
bind was ergab sich aus der bittern Krise?
Fett ward verpönt, Verachtung traf den Speck...
was man als Ideal mich lehrte — weg!
Das magre Schwein! heißt jetzt die Marktdevise.
Zur Mast geboren, sitz ich hier — entfettet,
ein adlig Schwein einst, nun ein Gegenstand,
ein magrer Mensch beklopft mich mit der Hand —
fürwahr, auf Rosen bin ich nicht gebettet!
Der Menschheit blnsinn ist des Schweins
Verderben —
wo ist noch Adel, wenn nicht Fett mehr gilt!
Mein Durst nach Welterleben ist gestillt,
ich wünsche nichts, als schinkenlos zu sterben.
ihm daS uns allen nötige Gefühl deS Eingeordnet-
seins wiedergab.
Ein solcher Brief, von werter Freundes-
hand, befand sich auch unter der eben ange-
kommenen Post und bewirkte diesmal, daß der
schon ohnehin Vergnügte in einen Zustand ge-
linden Entzückens geriet. Erst nach einer guten
Weile — immer wieder las er die willkommenen
Zeilen — erinnerte er sich, daß noch zwei
weitere Briese eingelaufen waren. Kein Zweifel,
auch diese würden frohe Nachrichten bringen!
Herr Dankmar erwies sich als Prophet. In
dem einen Schreiben verständigte ihn sein Ad-
vokat von dem glücklichen Ausgang eines langen
und leidigen Prozesses. Diese kaum mehr er-
wartete Lösung brachte Herrn Dankmar nicht
nur beträchtliche materielle Vorteile, sondern
bedeutete ihm auch in hohem Grade eine mora-
lische Genugtuung. Der dritte Brief endlich
enthielt eine halb amtliche Nachricht, die auf
eine Wohltätigkeitsaktion Bezug hatte. In herz-
lichen Dankesworten wurde feiner Großmut
§08