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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 35.1930, (Nr. 1-52)

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Nr. 52
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https://doi.org/10.11588/diglit.6762#0819
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Weil man vielleicht ein Weinen
oder hier und da
einen Schuß und noch einen
hörte, so stieß man die kleinen
Fenster auf, und sah:

Vor der Kirche die Spieße
stecken reihenweis',
und hörte, vom Nachbar her, dieses
Jammern und Gekreisch. —

Abgesessene Knechte
hatten das Haus erschreckt,
und plötzlich sah man einen
kommen, der hatte zwei kleine
Kinder wie häßliche Frösche
auf die Klinge gesteckt,

und da ging auch schon unten ein Gellen
in der Kammer an.

Kreischen und Aufrebellen,

und ein Niedertrommeln mit schnellen

Schlägen fing an, fing an. —

Eine weiße Wolke vom Schießen
flog den Markt entlang,

Blasen und Stechen und Spießen,
und Weiber mit bloßen Füßen
rannten im Schnee und rissen
den Knechten ihr Kind aus der Hand.

Ein Geschwader mit Speeren

hielt im Harnischgeleucht,

und ein andres, von welchem die schweren

Ober- und Untergewehre

baumelten, stand bei der hehren

Fahne, dem Adler des Reichs.

Auf dem Pferd vorn, das selbst noch den
toten

Kindern die Zähne gezeigt,
saß der Hauptmann im ziegelroten
Mantel, die Zügel im Knoten,
leicht vornübergeneigt,

weil ihn das Plärren störte,
und er sah an allem vorbei,
bis er jemanden melden hörte,
daß man jetzt fertig sei.

Da ließ er den Weg durch das Klagen
und Jammern Schritt vor Schritt
mit flachen Hieben schlagen,
und, die drängten, bekamen schwere
Klingen übergezogen, —
bunte Spieße wie Ähren
schwankten über dem Ritt
und auf den Fahnen flogen
oben die Adler mit.
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Karl Blocherer: Zeichnung ohne Titel
Alexander Lernet-Holenia: Der bethlehemitische Kindermord
 
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