fcie Stimme des Volkes, die Stimmen der Presse
— kurz alles, was überhaupt man wünschen
kann und all das nur aus eine einfache telepho-
nische Bestellung hin, billig, pünktlich und in
größter Auswahl.
Wenn es Anstalten zur Besorgung von
Leichenbegängnissen gibt, warum sollte es nicht
eine Anstalt zur Besorgung verschiedenster
Lebensäußerungen geben?
(Deutsch von Anna Aurednicek)
( ) ( e 11i n a [ii ts h a
aume
ol
r
aiurgeireu !
VON MYNONA
Nicht riechen . .. Also ich erkläre Ihnen:
— ich kann Tannenbäume nicht riechen, ich
habe dagegen eine Aversion, Idiosynkrasie, das
würzigste Fichtennadelgrün macht mir übel.
Um alle Erken, wo diese herrlichen Gebüsche
aufgestellt waren, machte ich Bogen. Und ge-
riet dadurch in maßlose Verlegenheit, ich sollte
nämlich den Weihnachtsbaum einkaufen. Mit
zugehaltener Nase — schon drohte mir Mi-
gräne — wollte ich mich einer Tannengruppe
nähern, da siel mein verwunderter Blick aus
daS Ladenschild mit der obigen Aufschrift. „Ein-
malige Anschaffung" hieß eS obendrein.
Voller Glücksgefühl überschritt ich die
Schwelle der Verheißung und befand mich nicht
etwa in einem Laden, sondern auf einer Lauf-
treppe, der ich mich überließ, und die mich in
einen Raum landen machte, der mich durch
seine gedämpfte Farbenlichtsülle zugleich be-
ruhigte und erregte. Hier glühte, blitzte, phos-
phoreszierte ein einziger Tannemvald, der nicht
im mindesten duftete, sondern angenehm nur die
Augen erquickte. Vergebens sah ich mich nach
Personal um, aber als ich fast auf den Ge-
danken der gaunerischen Selbstbedienung geriet,
sagte ein Riesenbaum telephonographisch in
meiner Nähe: „Moment, mein Herr!"
Und aus der Ferne, durch eine Allee von
Bäumen schreitend, erschien, in einen Mantel
aus grünen Zweigen gehüllt, ein Mann, der
statt des Kopfhaars eine Tannennadelperücke
trug: „Sie wünschen?" Er lächelte sonderlich:
„Nicht wahr, Sie sehen im natürlichen Immer-
grün nur einen Hinweis auf das weit dauer-
haftere künstliche. Wünschen Sie bloß eine
zum Verwechseln ähnliche, mit natürlichem
Duft imprägnierte Imitation? Oder darf ich
Ihnen zauberhafte Patente zeigen? Natur wird
von der Kunst übertroffen, wie es ja auch des
Menschen würdiger ist." Ich bat ihn vor
allem, mich mit dem Naturgeruch zu ver-
schonen, mit diesem Nasenkitsch, gegen den ich
krankhafte Abneigung fühlte. Darüber freute
er sich unbändig: „Famos! Sie sind mein rich-
tiger Kunde! Duft und Farbe meiner Bäume
sind un-, sind übernatürlich ... Der hier riecht
wie Zimt, der wie Bratgans. Sie sehen hier
knallgelbe, rote, blaue Bäume, auch schottisch
karierte. Was hilft's! Die meisten Leute sind,
bis in die allerhöchsten Kreise hinein, Natur-
burschen. Als ob die Natur nicht nur eine
andere Gewohnheit wäre. Man boykottiert
mich, der Bankerott bricht über mich herein.
Ausverkauf, mein Herr! Ich zeige Ihnen mal
meine Patente, Sie werden schon irgendwas
finden."
Tatsächlich kriegte ich Dinge zu sehen, die
alle Natur hinter und unter sich lassen. Ich
habe die meisten vergessen, erwähne nur einige
Unvergeßliche: Alles Licht war elektrotechnisch,
aller Stoff alles, aber nichts Tanne. Ich sah
Bäume aus gefärbtem Elfenbein, aus Alumi-
nium und Nierosta, sogar aus Tragant, Kan-
dis, Marzipan und Pistazien zusammen-
gebackene. Baukästchen gab es, nach Art der
Ankersteinbau und Matador, aus deren Klötz-
chen man sich die Bäume selbst nach eigenem
Geschmack auferbauen konnte; sogar welche
mit magneteisernen Stäbchen, über und über
mit aus einer Taschenlampenbatterie gespeisten
winzigen Glühbirnchen besetzt. Sehr komisch
war ein Gummischläuchlein, das man zum
hohen Baum aufputzen konnte, dessen Zweig-
enden leuchteten. Ebenso ein Fußbänkchen, aus
dem vermittels einer Spirale der Baum in die
Höhe schnellte. Auch das japanische Pflanzen-
wachötumSwunder loar auf den Weihnachts-
baum übertragen, ich konnte Zusehen, wie aus
dem Keim im Blumentopf der prächtigste
Weihnachtsbaum mit allem Schmuck und
Kerzenlicht emporwuchs. „Auch den Fischen",
sagte der magische Händler mysteriös, „ist ge-
predigt worden." Er führte mich zu einem
Aquarium mit scheinbar lebendigen Gold- und
Silberfischen und schraubte einen Glasbaum mit
lila Lichtern unter die Wasseroberfläche. „Sie
kennen doch", fragte er, „die Fahrradlampen,
die ohne Batterie schon durch die Bewegung der
Räder ausglühen?" Und er zeigte mir Fahr-
räder, an deren Lenkstange statt der Lampen
schimmernde Weihnachtsbäumchen angebracht
waren: „Denken Sie sich mal eine Herrenpartie
llil
L
Weihnachtspuppen
Alfred K u b i n
821
— kurz alles, was überhaupt man wünschen
kann und all das nur aus eine einfache telepho-
nische Bestellung hin, billig, pünktlich und in
größter Auswahl.
Wenn es Anstalten zur Besorgung von
Leichenbegängnissen gibt, warum sollte es nicht
eine Anstalt zur Besorgung verschiedenster
Lebensäußerungen geben?
(Deutsch von Anna Aurednicek)
( ) ( e 11i n a [ii ts h a
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aiurgeireu !
VON MYNONA
Nicht riechen . .. Also ich erkläre Ihnen:
— ich kann Tannenbäume nicht riechen, ich
habe dagegen eine Aversion, Idiosynkrasie, das
würzigste Fichtennadelgrün macht mir übel.
Um alle Erken, wo diese herrlichen Gebüsche
aufgestellt waren, machte ich Bogen. Und ge-
riet dadurch in maßlose Verlegenheit, ich sollte
nämlich den Weihnachtsbaum einkaufen. Mit
zugehaltener Nase — schon drohte mir Mi-
gräne — wollte ich mich einer Tannengruppe
nähern, da siel mein verwunderter Blick aus
daS Ladenschild mit der obigen Aufschrift. „Ein-
malige Anschaffung" hieß eS obendrein.
Voller Glücksgefühl überschritt ich die
Schwelle der Verheißung und befand mich nicht
etwa in einem Laden, sondern auf einer Lauf-
treppe, der ich mich überließ, und die mich in
einen Raum landen machte, der mich durch
seine gedämpfte Farbenlichtsülle zugleich be-
ruhigte und erregte. Hier glühte, blitzte, phos-
phoreszierte ein einziger Tannemvald, der nicht
im mindesten duftete, sondern angenehm nur die
Augen erquickte. Vergebens sah ich mich nach
Personal um, aber als ich fast auf den Ge-
danken der gaunerischen Selbstbedienung geriet,
sagte ein Riesenbaum telephonographisch in
meiner Nähe: „Moment, mein Herr!"
Und aus der Ferne, durch eine Allee von
Bäumen schreitend, erschien, in einen Mantel
aus grünen Zweigen gehüllt, ein Mann, der
statt des Kopfhaars eine Tannennadelperücke
trug: „Sie wünschen?" Er lächelte sonderlich:
„Nicht wahr, Sie sehen im natürlichen Immer-
grün nur einen Hinweis auf das weit dauer-
haftere künstliche. Wünschen Sie bloß eine
zum Verwechseln ähnliche, mit natürlichem
Duft imprägnierte Imitation? Oder darf ich
Ihnen zauberhafte Patente zeigen? Natur wird
von der Kunst übertroffen, wie es ja auch des
Menschen würdiger ist." Ich bat ihn vor
allem, mich mit dem Naturgeruch zu ver-
schonen, mit diesem Nasenkitsch, gegen den ich
krankhafte Abneigung fühlte. Darüber freute
er sich unbändig: „Famos! Sie sind mein rich-
tiger Kunde! Duft und Farbe meiner Bäume
sind un-, sind übernatürlich ... Der hier riecht
wie Zimt, der wie Bratgans. Sie sehen hier
knallgelbe, rote, blaue Bäume, auch schottisch
karierte. Was hilft's! Die meisten Leute sind,
bis in die allerhöchsten Kreise hinein, Natur-
burschen. Als ob die Natur nicht nur eine
andere Gewohnheit wäre. Man boykottiert
mich, der Bankerott bricht über mich herein.
Ausverkauf, mein Herr! Ich zeige Ihnen mal
meine Patente, Sie werden schon irgendwas
finden."
Tatsächlich kriegte ich Dinge zu sehen, die
alle Natur hinter und unter sich lassen. Ich
habe die meisten vergessen, erwähne nur einige
Unvergeßliche: Alles Licht war elektrotechnisch,
aller Stoff alles, aber nichts Tanne. Ich sah
Bäume aus gefärbtem Elfenbein, aus Alumi-
nium und Nierosta, sogar aus Tragant, Kan-
dis, Marzipan und Pistazien zusammen-
gebackene. Baukästchen gab es, nach Art der
Ankersteinbau und Matador, aus deren Klötz-
chen man sich die Bäume selbst nach eigenem
Geschmack auferbauen konnte; sogar welche
mit magneteisernen Stäbchen, über und über
mit aus einer Taschenlampenbatterie gespeisten
winzigen Glühbirnchen besetzt. Sehr komisch
war ein Gummischläuchlein, das man zum
hohen Baum aufputzen konnte, dessen Zweig-
enden leuchteten. Ebenso ein Fußbänkchen, aus
dem vermittels einer Spirale der Baum in die
Höhe schnellte. Auch das japanische Pflanzen-
wachötumSwunder loar auf den Weihnachts-
baum übertragen, ich konnte Zusehen, wie aus
dem Keim im Blumentopf der prächtigste
Weihnachtsbaum mit allem Schmuck und
Kerzenlicht emporwuchs. „Auch den Fischen",
sagte der magische Händler mysteriös, „ist ge-
predigt worden." Er führte mich zu einem
Aquarium mit scheinbar lebendigen Gold- und
Silberfischen und schraubte einen Glasbaum mit
lila Lichtern unter die Wasseroberfläche. „Sie
kennen doch", fragte er, „die Fahrradlampen,
die ohne Batterie schon durch die Bewegung der
Räder ausglühen?" Und er zeigte mir Fahr-
räder, an deren Lenkstange statt der Lampen
schimmernde Weihnachtsbäumchen angebracht
waren: „Denken Sie sich mal eine Herrenpartie
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Weihnachtspuppen
Alfred K u b i n
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