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D

931 ' Nr. ,

)fe der Deutsche mit
)ruck. Der Alte er-
ändespiel und unver-
S schien, er sei nicht
preizte er in Abwehr
'remden, der erbittert
Im kritischen Mo-
fleine Geschöpf mit
m den Alten, redete
Artigkeit auf ihn ein
ßmutig Zustimmung
r möge nähertreten.
Mädchengesicht; die
-1 Augen nicht von

und noch einiges, das
. Ihm schien aber,



er drohe ihr und ihm war nicht
sehr gemütlich, als er ihnen ins
Haus folgte.

Gina! dachte er, als er auf
der verfallenen Treppe ihr folgte,
während der gespenstische Alte
asthmatisch hüstelnd langsam nach-
kam. DaS Mädchen ging zierlich
wie eine Eidechse; ihr kurzes Fähn-
chen ließ den braunen Körper bis
zum Mieder frei. Ein Kind,
dachte der Handwerksbursche, wie
ein Tierchen könnte man ste hoch-
werfen und auffangen; ihm schien,
er höre ihr helles Gelächter bei
diesem Spiel. Dann dachte er
nicht mehr daran, denn seine
Därme kollerten vor Hunger.

In einem Raum, dessen Dach
fast zur Hälfte den Himmel durch-
sehen ließ, war es einigermaßen
wohnlich. Auf einer leeren Kiste
lag dürftiges Schusterhandwerks-
zeug herum, was den jungen Gast
bewog, dem Alten seine defekten
Schuhe vorzuzeigen und ihm pan-
tomimisch einen Auftrag zu er-
teilen. Durch diesen unerwarteten
Vorgang etwas besänftigt, deutete
die phantastische Erscheinung an,
daß sie gleich an die Arbeit gehen
wolle. Der Handwerksbursche,
deutsch und ordentlich, kramte
ein paar Hausschuhe aus seinem
Ranzen und während der Alte
sachkundig die bedürftigen Schuhe
beschnüffelte, sah die kleine Gina
fasziniert immer wieder bald die
blonden Haare des Jungen, bald
seine Habseligkeiten an, die er

sauber auf einer alten Zeitung
ausbreitete. Mittendrin griff er

sich an den Magen und schnitt
eine Grimasse, die das Mädchen sogleich
richtig deutete. Im Nu hatte sie etwas Ziegen-
käse, ein Stück Brot und ein paar Zwiebeln
auf einem Teller, und als er gierig zu essen
begann, warf sie rasch noch eine Handvoll

Kastanien aus das winzige Kohlenfeuer und
nahm ohne Rücksicht auf den Alten, der die
Augen rollte und wie ein Nußknacker mit den
Kiefern malmte, eine Chiantiflasche aus der
Ecke, schenkte ein und sah, am Boden hockend,
mit funkelnden Augen zu, wie eS dem Fremden
schmeckte.

Der Alte, schon mit der Reparatur beschäf-
tigt, mummelte dann und wann vor sich hin,
es wurde allmählich dämmrig, das Rohr umS
Haus raschelte im Wind, der Handwerksbursche
war nun fürs erste satt. Der Wein wärmte
angenehm, die heißen Kastanien knackten in der
Asche, der blonde Mensch hätte gern einen
kleinen Schwatz mit ihnen gehalten, woher und
wohin, wie sie sich durchschlügen, ob Großvater
und Enkelin und so. Auch von sich hätte er gern
einiges erzählt, ihm war mit einem Mal sehr,
als ob er von daheim erzählen möchte; aber
was half es, wenn die Sprache nicht herhielt.
Er nahm seine Mundharmonika aus der
Tasche, sägte ein paarmal darauf hin und her,
daß die beiden ganz verblüfft waren, dann

blieS er ein Lied nach dem andern, wie es ihm
gerade einsiel, herunter. Es war ein richtiges
kleines Konzert, das zugleich sein Gemüt er-
leichterte und sein Publikum entzückte. Denn
nicht nur Gina, deren Augen glänzten und die
vor Vergnügen schnurrte, auch der würdige
Greis mit der patriotischen Bauchbinde wiegte
überraschend lebhaft den Kopf; ein paarmal
schlug er den Takt mit dem Schusterhammer,
dann wieder ließ er den Kopf mit geschlossenen
Augen hintenüber fallen und vergaß völlig die
grollende Haltung.

Es wurde nun dunkel. Gina zündete eine
Kerze an, der Mond, nahezu vollgerundet und
stark leuchtend, schien durchs Dach, die Kasta-
nien wurden gereicht; sie knackten heftig und
schmeckten gut. Als er eine Handvoll geknab-
bert hatte, setzte der Bursche sein Instrument
wieder an den Mund und nun erzählte er den
versunken vor sich hin Dösenden, auf dem kleinen
Instrumente frei phantasierend, doch noch
einiges aus seinem Leben.

Ich bin gelernter Gärtner — blieS er, die
Augen ernsthaft auf die hungrigen Augen des
kleinen Mädchens gerichtet — ich verdiente
zwölf Mark fünfzig die Woche, wenig genug,
aber zur Not mußte eö gehn, wenn man
sparsam nn't der.Wäsche war und nicht rauchte.

Ich kann sparsam sein, aber Arbeit muß man
haben. Eines Tages wirst du ausgestellt und
hast einen Dreck — was ist schon mit der
Unterstützung! Zum Faulenzen ist dir die Zeit
zu gut, du packst deinen Tornister und gehst
auf Wanderschaft. Habt ihr eine Ahnung, wie-
viel junge Deutsche heute so auf Wanderschaft
gehen, weil sie nicht wissen, was sie daheim
anfangen sollen! In der Schweiz bin ich ge-
wesen — hier ging die Melodie wie von selbst
in eine Art Jodler oder Kuhreigen über; die
Zuhörer hielten den Atem an, so sonderbar
blies der Handwerksbursche — in der Schweiz
kriegst du für kurze Zeit Arbeit, dann ist wieder
Schluß und du tippelst nach Italien. Oho —
Italien! Ein schönes Land. Im dunklen Laub
die Goldorangen glühn, das Maultier geht im
Nebel — das ist von Schiller — wir ^a^>en
es in der Schule gehabt, das war in Heilbronn
am Neckar in der Volksschule, unser Lehrer
war in jungen Jahren auch in Italien ge-
wesen, Herr Braun, ein netter Mann, er soll
pensioniert worden sein, weil er ein Sozi war —
ich bin auch einer oder vielleicht bin ich gar
Kommunist; wenn ich nach Hause komme,
werden wir ja sehen... du bist niedlich, kleine
Dschina, was für komische Namen die hier
haben und wie der Alte immer wieder von

ö s s i n g
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Elisabeth Springer: Schlittschuhlauf
 
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