Winterlandschaft
Richard Hallgarten
sitzenden zurechtgewiesen und nimmt wiederum mit zynischem Lächeln
Platz.
Der Vorsitzende zu Herrn Noah: „Gut, Herr Noah. Aber es handelt
sich noch um etwas anderes. Haben Sie nie an dem Angeklagten Zeichen
geistiger Störung bemerkt?"
Zeuge: „Ich kann Ihnen versichern, daß Cham von vollkommen
gesunden Eltern stammt. Sein Großvater Methusalem hat noch mit
sechshundertsiebzig Jahren bei vollständig gesundem Verstände den
Himalaja bestiegen. WaS meine Frau anlangt, ist sie ebenfalls vollständig
gesund und hat ihn mit dreihundertachtundzwanzig Jahren, ebenfalls im
Vollbesitze ihrer Geisteskraft, geboren."
Hierauf wird das Verhör Chams fortgesetzt.
Vorsitzender: „Hören Sie mal, Angeklagter, das vierte Gebot ist ja
noch nicht so alten Datums, daß Sie sich s nicht hätten merken können!
Die Polizei hat doch die zehn Gebote auf Plakaten kundgemacht. In
der Voruntersuchung haben Sie angegeben, daß Sie lesen können, da es
Sie Ihre Mutter aus Langeweile (Bewegung) gelehrt hat, und jetzt
schütteln Sie verneinend den Kopf und behaupten, das vierte Gebot
nicht gelesen zu haben. Sie verwickeln sich überhaupt in sonderbare
Widersprüche. Antworten Sie kurz: Haben Sie Ihrem Vater, Herrn
Noah, das Hemd über den Kopf gestülpt?"
Cham: „jawohl, ich habe es getan, weil mein Vater ein unver-
besserlicher Alkoholiker ist." (Mächtige Bewegung.)
Herr Noah bedeckt sein Haupt und ruft: „Meine grauen Schläfen!"
Vorsitzender: „Hören Sie, Angeklagter, selbst wenn Herr Noah ein
fremder Mensch wäre, würde er es nicht verdienen, Alkoholiker genannt
zu werden, bim so weniger, da er Ihr Vater ist." (Bewegung.)
Frau Noah ruft von der Galerie dem Angeklagten zu: „Du Gauner!"
Vorsitzender (fortfahrend): „Nun, Angeklagter, erzählen Sie wahr-
heitsgemäß den Hergang der Sache. Was haben Sie eigentlich dabei
gedacht, als Sie Ihrem Vater das Hemd über den Kopf zogen?"
Cham: „Nichts!"
Vorsitzender: „Hören Sie, Angeklagter, den eigenen Vater entblößt
man nicht so mir nichts dir nichts, das liegt doch auf der Hand. Gewiß
haben Sie es mit Überlegung und Absicht getan. Gestehen Sie aufrichtig
alle Ihre Gedanken ein und Sie werden sich damit nur nützen. Ncan
kann sich doch nicht vorstellen, daß Sie ohne Grund Ihrem Vater unter
Mißbrauch seines tiefen Schlafes das Hemd über den Kopf ziehen."
Cham: „Jawohl."
Verteidiger: „Hören Sie, Herr Cham, waren Sie damals nicht
betrunken?"
Cham: „Nein, aber dafür der Vater. Die Sache hat sich schon zu
häufig wiederholt und ich fürchtete, der Wind könnte das Hemd meines
Vaters wegwehen, deshalb wollte ich es ihm vollständig vom Leibe
ziehen." (Heiterkeit.)
Vorsitzender: „Angeklagter, Sie haben nicht den geringsten Grund,
noch schlechte Witze zu machen. Ihr Vater hat durch sein Werk sicher
nicht solche Infamien verdient. Sie sollten stolz sein auf Ihren Vater."
Frau Noah ruft dem Angeklagten zu: „Das alles wird noch in die
Bibel kommen, du Lausbub!"
Richard Hallgarten
sitzenden zurechtgewiesen und nimmt wiederum mit zynischem Lächeln
Platz.
Der Vorsitzende zu Herrn Noah: „Gut, Herr Noah. Aber es handelt
sich noch um etwas anderes. Haben Sie nie an dem Angeklagten Zeichen
geistiger Störung bemerkt?"
Zeuge: „Ich kann Ihnen versichern, daß Cham von vollkommen
gesunden Eltern stammt. Sein Großvater Methusalem hat noch mit
sechshundertsiebzig Jahren bei vollständig gesundem Verstände den
Himalaja bestiegen. WaS meine Frau anlangt, ist sie ebenfalls vollständig
gesund und hat ihn mit dreihundertachtundzwanzig Jahren, ebenfalls im
Vollbesitze ihrer Geisteskraft, geboren."
Hierauf wird das Verhör Chams fortgesetzt.
Vorsitzender: „Hören Sie mal, Angeklagter, das vierte Gebot ist ja
noch nicht so alten Datums, daß Sie sich s nicht hätten merken können!
Die Polizei hat doch die zehn Gebote auf Plakaten kundgemacht. In
der Voruntersuchung haben Sie angegeben, daß Sie lesen können, da es
Sie Ihre Mutter aus Langeweile (Bewegung) gelehrt hat, und jetzt
schütteln Sie verneinend den Kopf und behaupten, das vierte Gebot
nicht gelesen zu haben. Sie verwickeln sich überhaupt in sonderbare
Widersprüche. Antworten Sie kurz: Haben Sie Ihrem Vater, Herrn
Noah, das Hemd über den Kopf gestülpt?"
Cham: „jawohl, ich habe es getan, weil mein Vater ein unver-
besserlicher Alkoholiker ist." (Mächtige Bewegung.)
Herr Noah bedeckt sein Haupt und ruft: „Meine grauen Schläfen!"
Vorsitzender: „Hören Sie, Angeklagter, selbst wenn Herr Noah ein
fremder Mensch wäre, würde er es nicht verdienen, Alkoholiker genannt
zu werden, bim so weniger, da er Ihr Vater ist." (Bewegung.)
Frau Noah ruft von der Galerie dem Angeklagten zu: „Du Gauner!"
Vorsitzender (fortfahrend): „Nun, Angeklagter, erzählen Sie wahr-
heitsgemäß den Hergang der Sache. Was haben Sie eigentlich dabei
gedacht, als Sie Ihrem Vater das Hemd über den Kopf zogen?"
Cham: „Nichts!"
Vorsitzender: „Hören Sie, Angeklagter, den eigenen Vater entblößt
man nicht so mir nichts dir nichts, das liegt doch auf der Hand. Gewiß
haben Sie es mit Überlegung und Absicht getan. Gestehen Sie aufrichtig
alle Ihre Gedanken ein und Sie werden sich damit nur nützen. Ncan
kann sich doch nicht vorstellen, daß Sie ohne Grund Ihrem Vater unter
Mißbrauch seines tiefen Schlafes das Hemd über den Kopf ziehen."
Cham: „Jawohl."
Verteidiger: „Hören Sie, Herr Cham, waren Sie damals nicht
betrunken?"
Cham: „Nein, aber dafür der Vater. Die Sache hat sich schon zu
häufig wiederholt und ich fürchtete, der Wind könnte das Hemd meines
Vaters wegwehen, deshalb wollte ich es ihm vollständig vom Leibe
ziehen." (Heiterkeit.)
Vorsitzender: „Angeklagter, Sie haben nicht den geringsten Grund,
noch schlechte Witze zu machen. Ihr Vater hat durch sein Werk sicher
nicht solche Infamien verdient. Sie sollten stolz sein auf Ihren Vater."
Frau Noah ruft dem Angeklagten zu: „Das alles wird noch in die
Bibel kommen, du Lausbub!"