linkte, er solle gehen, da ließ er sie um die Hälfte, um ein Drittel, ein
Viertel, ja er bot sie mir umsonst an, ich möge ihm nur ein Trinkgeld
zahlen, ich schrie, er schrie, ich wollte schon weinen, ich war doch krank
und schwach, ich konnte doch gar nicht, da fuhr aber auch schon Hansen
im Auto heran, der Chauffeur und Hansen, beide baumstarke Gesellen,
hoben mich in daS offene Auto und wir fuhren in die Stadt, durch viele
Straßen, über Hügel hinauf und hinab. Endlich waren wir angelangt.
Ich wankte hinaus und Hansen drückte auf die Klingel des Herrn Dr.
Schatte, des einzigen deutschen Arztes in Lissabon. Mein Freund schien
es plötzlich sehr eilig zu haben, er sah mich an und arbeitete an der
Klingel wie ein Besessener, und richtig, nach kaum zehn Minuten öffnete
uns auch schon das landesübliche Zimmermädchen, erschrak etwas über
uns, wich etwas zurück (sollte ich doch zu warm angezogen sein für den
August in Lissabon?), führte unö aber doch ins Wartezimmer, worauf
sie und eine halbe Stunde hingingen. Dann kam sie eilends wieder und
wies uns die Türe am andern Ende des Korridors. Wir gingen hinein,
mit raschem, behendem Schritt mein Freund Hansen voran, ich ächzend
unter Fieber, Kleidern, Mänteln, Decke und der Mühe, schon seit
mehreren Stunden so gut wie zu sterben, hintennach.
Gleichzeitig mit uns, durch eine andere Türe, trat ein eleganter dicker
Mann ein, Schatte, der deutsche Doktor. Ich war auf einen Stuhl, der
an einer Wand sich bereitgehalten hatte, gesunken, und erwartete den
üblichen Angriff des Arztes. Ich polierte schon meine Zunge an den
Zähnen, damit sie doch recht reinlich erscheine, wenn ich sie gleich vor-
weisen mußte, handelte Coue vollkommen zuwider, denn ich dachte nichts
als: Ich muß sterben! und sagte mir die Symptome meiner Leiden noch-
mals rasch auf.
Aber ich hatte mich sichtlich übereilt. Mein Freund, der offenbar fest
entschlossen war, die Verhandlungen zu führen, hatte sich soeben vor-
gestellt: Dr. Hansen, als auch schon der Dr. Schatte, der vielleicht noch
gezweifelt, in welchem der Herren er seinen Patienten zu suchen habe,
entschiedenen Schrittes sich meinem Freunde zuwandte, so direkt auf ihn
losging, mit so kennerischem Behagen, daß ich schon zu stöhnen anheben
wollte, um auf diese zarte und natürliche Weise dem Arzte seinen Irrtum
anzudeuten. Doch ich war es, der sich geirrt hatte! Freude im Ton,
Rührung im Blick, Bewegung im Körper, mit halb hingebreitetem Arm
Pand er, zu meinem Freunde gewendet, und überließ mir und meiner
Krankheit nichts als den Trost, den der Rücken eines Arztes uns bieten
kann.
„Ein deutscher Doktor", schrie Schatte, „willkommen Kollege!"
„Nein, nein", entgegnete Hansen, „ich bin kein Mediziner, nur Doktor
der Philosophie."
„Sie sind es noch nicht lange?" fragte Schatte, der Arzt, „wo wurden
Sie es?"
„In Heidelberg", erwiderte Hansen, „bei IasperS, ich bin fein Schüler."
„Jaspers Schüler! Das ist ja vorzüglich!" rief Schatte. „Kennen Sie
die Anekdote, die man über ihn berichtet? Sie wollen sie hören, ich sehe
es! Gut! Also IasperS empfängt im Examen einen Studenten. Sagen
Sie mir, fragt er ihn ...."
„Herr Doktor", sage ich, „bitte, Herr Doktor, ich habe 4° Grad
Fieber, im Kopfe ein Mühlrad, im Bauch die Wehen, möchten Sie nicht
mich fragen ..."
Doktor Schatte wendet sich um, Doktor Schatte lächelt freundlich. Er
fragt mich: „Und was sind Sie für ein Doktor, junger Herr?"
„Im Gegenteil", stammle ich wilden Blicks, „ich brauche einen Doktor."
„Haha", so schallt es nun, „Hoho!" braust es durch das tiefe Zimmer.
Es erhebt sich ein gewaltiger Lärm. Dr. Schatte lacht.
„Sie studieren also noch, mein Lieber", ruft er, „und was denn aber?"
Ich denke des trefflichen deutschen Dichters, der fang: Steh still, o
Wanderer! Hier ruht ein Arzt, der Gutes stiftete, und sich vergiftete, statt
anderer. Ach, denke ich, Dichter lügen, nehme meinen fiebergeschwächten
Verstand zusammen, stoße die Pelzdecke von mir ab, recke mich stolz und
murmele: „Ich bin Germanist."
„Bravo!" rief Schatte, „und doch, welche häßliche Vokabel! Ich
erkenne an diesem Wort den Wandel der Jahrhunderte! Vor hundert
fahren noch, Herr Germanist, hätten Sie sich einen Germanen geheißen!
Vor hundert Jahren hieß man sich noch Mensch und errötete nicht über
dieses Wort: Mensch, und schämte sich seiner noch nicht, heute ward der
Mensch zum Spezialisten, der Germane zum Germanisten, leben Sie noch
hundert Jahre und alle Juden werden Christen. Wie einförmig ist doch
Phantastische Komposition Ch. Girod
dieses Jahrhundert, mechanisiert, spezialisiert, vertiert, ich liebe diese
Menschen nicht mehr. Leben Sie noch hundert Jahre..."
„Herr Doktor", rief ich, „deshalb kam ich ja zu Ihnen, um noch
länger leben zu dürfen, heilen Sie mich zuvor, ich bin krank!"
„Ja, krank", rief Dr. Schatte, „dies Jahrhundert ist krank, Und die
Medizin, ich wüßte sie wohl. Der Strenge bedarf diese Menschheit, nicht
der Sanftmut."
Recht! Daö war das Wort. Sanftmut bedurfte es, diesen Arzt an-
zuhören, der statt an seinem leidenden Patienten an der Menschheit
pfuschen wollte. Sanftmut! Ich bin ein friedfertiger Mensch. Mein
Temperainent ist ruhig. Aber die gequälte Kreatur in mir erhob sich und
ich sprach die uralten Bannworte der Teufelsbeschlvörer, das „Exorcisco
te“. Aber Dr. Schatte hörte mir gar nicht zu, er war ins andere Zimmer
gegangen, das mit Büchern tapeziert, von Büchern bewohnt war, an
Büchern erstickte, und schon kehrte er triumphierenden Blickes zurück und
legte vor mich hin Naumann: Althochdeutsche Grammatik. „Erklären
Sie mir", sagte er, „diese Stelle! Sie sind, wie ich höre, Mittelfranke,
Ihr Freund ist Oberpfälzer, Naumann behauptet, im Oberschwäbischen
sei die Beugung des Stammes..."
„Doktor", rief ich, „ich leide. Geben Sie acht, ich sterbe!"
„Also Sie sind der Patient?" fragte Schatte. „Was fehlt Ihnen?"
Das war mein Stichwort. Ich begann mit der Aufzählung der
Symptome. Aber es war schon wieder zu spät. Schatte hörte schon
nicht mehr zu. Er trug gerade arabische Liebesgedichte vor, schaffte
wundervolle persische Miniaturen herbei, zitierte ApulejuS, paraphrasierte
Homer, las ein Gedicht Puschkins in der Ursprache vor, oder war eS ein
Gedicht LitaipeS in der Ursprache? Es können auch Negerghsänge ge-
wesen sein, in meinen Ohren brauste eS, als trüge ein Sachse das Nibe-
Viertel, ja er bot sie mir umsonst an, ich möge ihm nur ein Trinkgeld
zahlen, ich schrie, er schrie, ich wollte schon weinen, ich war doch krank
und schwach, ich konnte doch gar nicht, da fuhr aber auch schon Hansen
im Auto heran, der Chauffeur und Hansen, beide baumstarke Gesellen,
hoben mich in daS offene Auto und wir fuhren in die Stadt, durch viele
Straßen, über Hügel hinauf und hinab. Endlich waren wir angelangt.
Ich wankte hinaus und Hansen drückte auf die Klingel des Herrn Dr.
Schatte, des einzigen deutschen Arztes in Lissabon. Mein Freund schien
es plötzlich sehr eilig zu haben, er sah mich an und arbeitete an der
Klingel wie ein Besessener, und richtig, nach kaum zehn Minuten öffnete
uns auch schon das landesübliche Zimmermädchen, erschrak etwas über
uns, wich etwas zurück (sollte ich doch zu warm angezogen sein für den
August in Lissabon?), führte unö aber doch ins Wartezimmer, worauf
sie und eine halbe Stunde hingingen. Dann kam sie eilends wieder und
wies uns die Türe am andern Ende des Korridors. Wir gingen hinein,
mit raschem, behendem Schritt mein Freund Hansen voran, ich ächzend
unter Fieber, Kleidern, Mänteln, Decke und der Mühe, schon seit
mehreren Stunden so gut wie zu sterben, hintennach.
Gleichzeitig mit uns, durch eine andere Türe, trat ein eleganter dicker
Mann ein, Schatte, der deutsche Doktor. Ich war auf einen Stuhl, der
an einer Wand sich bereitgehalten hatte, gesunken, und erwartete den
üblichen Angriff des Arztes. Ich polierte schon meine Zunge an den
Zähnen, damit sie doch recht reinlich erscheine, wenn ich sie gleich vor-
weisen mußte, handelte Coue vollkommen zuwider, denn ich dachte nichts
als: Ich muß sterben! und sagte mir die Symptome meiner Leiden noch-
mals rasch auf.
Aber ich hatte mich sichtlich übereilt. Mein Freund, der offenbar fest
entschlossen war, die Verhandlungen zu führen, hatte sich soeben vor-
gestellt: Dr. Hansen, als auch schon der Dr. Schatte, der vielleicht noch
gezweifelt, in welchem der Herren er seinen Patienten zu suchen habe,
entschiedenen Schrittes sich meinem Freunde zuwandte, so direkt auf ihn
losging, mit so kennerischem Behagen, daß ich schon zu stöhnen anheben
wollte, um auf diese zarte und natürliche Weise dem Arzte seinen Irrtum
anzudeuten. Doch ich war es, der sich geirrt hatte! Freude im Ton,
Rührung im Blick, Bewegung im Körper, mit halb hingebreitetem Arm
Pand er, zu meinem Freunde gewendet, und überließ mir und meiner
Krankheit nichts als den Trost, den der Rücken eines Arztes uns bieten
kann.
„Ein deutscher Doktor", schrie Schatte, „willkommen Kollege!"
„Nein, nein", entgegnete Hansen, „ich bin kein Mediziner, nur Doktor
der Philosophie."
„Sie sind es noch nicht lange?" fragte Schatte, der Arzt, „wo wurden
Sie es?"
„In Heidelberg", erwiderte Hansen, „bei IasperS, ich bin fein Schüler."
„Jaspers Schüler! Das ist ja vorzüglich!" rief Schatte. „Kennen Sie
die Anekdote, die man über ihn berichtet? Sie wollen sie hören, ich sehe
es! Gut! Also IasperS empfängt im Examen einen Studenten. Sagen
Sie mir, fragt er ihn ...."
„Herr Doktor", sage ich, „bitte, Herr Doktor, ich habe 4° Grad
Fieber, im Kopfe ein Mühlrad, im Bauch die Wehen, möchten Sie nicht
mich fragen ..."
Doktor Schatte wendet sich um, Doktor Schatte lächelt freundlich. Er
fragt mich: „Und was sind Sie für ein Doktor, junger Herr?"
„Im Gegenteil", stammle ich wilden Blicks, „ich brauche einen Doktor."
„Haha", so schallt es nun, „Hoho!" braust es durch das tiefe Zimmer.
Es erhebt sich ein gewaltiger Lärm. Dr. Schatte lacht.
„Sie studieren also noch, mein Lieber", ruft er, „und was denn aber?"
Ich denke des trefflichen deutschen Dichters, der fang: Steh still, o
Wanderer! Hier ruht ein Arzt, der Gutes stiftete, und sich vergiftete, statt
anderer. Ach, denke ich, Dichter lügen, nehme meinen fiebergeschwächten
Verstand zusammen, stoße die Pelzdecke von mir ab, recke mich stolz und
murmele: „Ich bin Germanist."
„Bravo!" rief Schatte, „und doch, welche häßliche Vokabel! Ich
erkenne an diesem Wort den Wandel der Jahrhunderte! Vor hundert
fahren noch, Herr Germanist, hätten Sie sich einen Germanen geheißen!
Vor hundert Jahren hieß man sich noch Mensch und errötete nicht über
dieses Wort: Mensch, und schämte sich seiner noch nicht, heute ward der
Mensch zum Spezialisten, der Germane zum Germanisten, leben Sie noch
hundert Jahre und alle Juden werden Christen. Wie einförmig ist doch
Phantastische Komposition Ch. Girod
dieses Jahrhundert, mechanisiert, spezialisiert, vertiert, ich liebe diese
Menschen nicht mehr. Leben Sie noch hundert Jahre..."
„Herr Doktor", rief ich, „deshalb kam ich ja zu Ihnen, um noch
länger leben zu dürfen, heilen Sie mich zuvor, ich bin krank!"
„Ja, krank", rief Dr. Schatte, „dies Jahrhundert ist krank, Und die
Medizin, ich wüßte sie wohl. Der Strenge bedarf diese Menschheit, nicht
der Sanftmut."
Recht! Daö war das Wort. Sanftmut bedurfte es, diesen Arzt an-
zuhören, der statt an seinem leidenden Patienten an der Menschheit
pfuschen wollte. Sanftmut! Ich bin ein friedfertiger Mensch. Mein
Temperainent ist ruhig. Aber die gequälte Kreatur in mir erhob sich und
ich sprach die uralten Bannworte der Teufelsbeschlvörer, das „Exorcisco
te“. Aber Dr. Schatte hörte mir gar nicht zu, er war ins andere Zimmer
gegangen, das mit Büchern tapeziert, von Büchern bewohnt war, an
Büchern erstickte, und schon kehrte er triumphierenden Blickes zurück und
legte vor mich hin Naumann: Althochdeutsche Grammatik. „Erklären
Sie mir", sagte er, „diese Stelle! Sie sind, wie ich höre, Mittelfranke,
Ihr Freund ist Oberpfälzer, Naumann behauptet, im Oberschwäbischen
sei die Beugung des Stammes..."
„Doktor", rief ich, „ich leide. Geben Sie acht, ich sterbe!"
„Also Sie sind der Patient?" fragte Schatte. „Was fehlt Ihnen?"
Das war mein Stichwort. Ich begann mit der Aufzählung der
Symptome. Aber es war schon wieder zu spät. Schatte hörte schon
nicht mehr zu. Er trug gerade arabische Liebesgedichte vor, schaffte
wundervolle persische Miniaturen herbei, zitierte ApulejuS, paraphrasierte
Homer, las ein Gedicht Puschkins in der Ursprache vor, oder war eS ein
Gedicht LitaipeS in der Ursprache? Es können auch Negerghsänge ge-
wesen sein, in meinen Ohren brauste eS, als trüge ein Sachse das Nibe-