„Das Geld liegt auf der Straße", ist des
Friseurs Sartorius Lieblingswort.
„Immer noch?" fragt ihn manchmal ein
Kunde.
„Es liegt vielleicht etwas versteckter unter
dem Dreck als früher", sagt Sartorius dann,
„aber wer wird sich daran stoßen, wenn er es
aufheben will?"
Sartorius' Laden geht gut, er kann sich solche
Sprüche leisten. Den ganzen Tag sitzen die
Kunden bei ihm in einer Reihe vor der großen
Spiegelwand, lesen Zeitungen oder witzeln mit
der Bedienung und lassen sich rasieren, frisieren
und die Haare schneiden. Die Firma ist als fein
bekannt, Sartorius gilt als tüchtiger Mann, er
unterhält auch nebenbei Beziehungen zu einem
Zahnarzt, einem Dermatologen, einem Woh-
nungsmakler und zwei Vergnügungsetablisse-
ments; von allen diesen kriegt er Provisionen
für die Kunden, die er schickt. Wer je mit ihm
zu tun hatte, rühmt seinen Stil und seine
Kulanz, ^gelegentlich auch seine Geschicklichkeit;
Sartorius ist mit einem Wort ein Kavalier, er
kann es noch zu Großem bringen.
Run hat er einen neuen Gehilfen eingestellt,
der seine Sache zu verstehen scheint; Sartorius
hat sich mit ein paar Blicken überzeugt. Der
VON RUDOLF SCHNEIDER-SCHELDE
Neue ist nur ein wenig nobel für ein Friseur-
geschäft, fast nobler als die Kundschaft. Soeben
schneidet er einem Baron die Haare — Baron
vermutlich, da eine Krone sehr sichtbar in sein
Taschentuch eingestickt ist —, der diffizil zu sein
scheint. Er hat eine Ünmenge von Wünschen
betreffs des Haarschnittes angegeben; vor allem
darf eine Strähne am Schopf nur um fünf
Millimeter gekürzt werden, weil sie sonst ab-
steht. „Ich werde rasend, wenn sie absteht",
betont der Baron verschiedentlich, „verstanden?"
Der Neue lächelt zuvorkommend, dann nimmt
er seine Schere und schneidet von der Strähne
am Schopf etwa drei Zentimeter ab; er macht
das mit kühler Überlegenheit. Die Strähne steht
jetzt wie ein Pinsel in die Luft.
ARME LEUTE ZIEHEN UM . . .
Ein Wagen hält vor dem Haus.
Hier müssen Leute ziehen.
Die Möbel sehen nach gar nichts aus.
Der Wagen ist geliehen.
Die Möbel sind ja wirklich nichts wert.
Doch schimpft jemand: Vorsichtig tragen!
Mißtrauisch äugt das einzige Pferd
Vor dem hochbepackten Wagen.
Man bleibt ein bißchen neugierig stehn
bind bedauert die armen Leute.
In den Spiegel hat schon die Großmutter gesehn.
Nur die Lampe, die ist von heute.
Die Bettstelle ist aus rohem Holz.
Der Mann hat sie selbst gezimmert.
Auf den Schrank, der jetzt kommt, ist die Frau
aber stolz.
Sie trägt einen Säugling, der wimmert...
Die Frauen blicken zum Fenster hinaus.
Sie schätzen die Fracht auf dem Wagen.
Bald schafft man das letzte Stück aus dem Haus.
Dann kann man Aufwiedersehn! sagen.
Sie kommen aber niemals zurück.
Wer weiß, wo die Leute wohnen!
Vielleicht haben sie Pech, vielleicht haben sie Glück
In den neuen, fremden Zonen.
KURT RUDOLF NEUBERT
a u s e n
:2l.zD7Tann, der mit
erlaubtet Ißort ge-
l, bei der dreihundert
i eine geheim-jüdische
-i gefauffe jüdische
en Dankeslieder und
Krach der Explosion
Traume auf ... die
te es. Ächzend und
?te ich mich in den
'ingeworfen ...
53
Friseurs Sartorius Lieblingswort.
„Immer noch?" fragt ihn manchmal ein
Kunde.
„Es liegt vielleicht etwas versteckter unter
dem Dreck als früher", sagt Sartorius dann,
„aber wer wird sich daran stoßen, wenn er es
aufheben will?"
Sartorius' Laden geht gut, er kann sich solche
Sprüche leisten. Den ganzen Tag sitzen die
Kunden bei ihm in einer Reihe vor der großen
Spiegelwand, lesen Zeitungen oder witzeln mit
der Bedienung und lassen sich rasieren, frisieren
und die Haare schneiden. Die Firma ist als fein
bekannt, Sartorius gilt als tüchtiger Mann, er
unterhält auch nebenbei Beziehungen zu einem
Zahnarzt, einem Dermatologen, einem Woh-
nungsmakler und zwei Vergnügungsetablisse-
ments; von allen diesen kriegt er Provisionen
für die Kunden, die er schickt. Wer je mit ihm
zu tun hatte, rühmt seinen Stil und seine
Kulanz, ^gelegentlich auch seine Geschicklichkeit;
Sartorius ist mit einem Wort ein Kavalier, er
kann es noch zu Großem bringen.
Run hat er einen neuen Gehilfen eingestellt,
der seine Sache zu verstehen scheint; Sartorius
hat sich mit ein paar Blicken überzeugt. Der
VON RUDOLF SCHNEIDER-SCHELDE
Neue ist nur ein wenig nobel für ein Friseur-
geschäft, fast nobler als die Kundschaft. Soeben
schneidet er einem Baron die Haare — Baron
vermutlich, da eine Krone sehr sichtbar in sein
Taschentuch eingestickt ist —, der diffizil zu sein
scheint. Er hat eine Ünmenge von Wünschen
betreffs des Haarschnittes angegeben; vor allem
darf eine Strähne am Schopf nur um fünf
Millimeter gekürzt werden, weil sie sonst ab-
steht. „Ich werde rasend, wenn sie absteht",
betont der Baron verschiedentlich, „verstanden?"
Der Neue lächelt zuvorkommend, dann nimmt
er seine Schere und schneidet von der Strähne
am Schopf etwa drei Zentimeter ab; er macht
das mit kühler Überlegenheit. Die Strähne steht
jetzt wie ein Pinsel in die Luft.
ARME LEUTE ZIEHEN UM . . .
Ein Wagen hält vor dem Haus.
Hier müssen Leute ziehen.
Die Möbel sehen nach gar nichts aus.
Der Wagen ist geliehen.
Die Möbel sind ja wirklich nichts wert.
Doch schimpft jemand: Vorsichtig tragen!
Mißtrauisch äugt das einzige Pferd
Vor dem hochbepackten Wagen.
Man bleibt ein bißchen neugierig stehn
bind bedauert die armen Leute.
In den Spiegel hat schon die Großmutter gesehn.
Nur die Lampe, die ist von heute.
Die Bettstelle ist aus rohem Holz.
Der Mann hat sie selbst gezimmert.
Auf den Schrank, der jetzt kommt, ist die Frau
aber stolz.
Sie trägt einen Säugling, der wimmert...
Die Frauen blicken zum Fenster hinaus.
Sie schätzen die Fracht auf dem Wagen.
Bald schafft man das letzte Stück aus dem Haus.
Dann kann man Aufwiedersehn! sagen.
Sie kommen aber niemals zurück.
Wer weiß, wo die Leute wohnen!
Vielleicht haben sie Pech, vielleicht haben sie Glück
In den neuen, fremden Zonen.
KURT RUDOLF NEUBERT
a u s e n
:2l.zD7Tann, der mit
erlaubtet Ißort ge-
l, bei der dreihundert
i eine geheim-jüdische
-i gefauffe jüdische
en Dankeslieder und
Krach der Explosion
Traume auf ... die
te es. Ächzend und
?te ich mich in den
'ingeworfen ...
53