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36. JAHRGANG

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19 3 1 / NR. 9

auerngej chichte

VON K. H. WAGGERL

(Mit Zeichnungen des Verfassers)

An einem stillen, trübselig sanften Märzabend wurde Peter geboren.
Seine Mutter hatte, schon in den ersten Ängsten, noch einen Gang ins
Dorf gewagt. Plötzlich von den Wehen überfallen, flüchtete >ie ungesehen
in die Waschküche des MeSnerhanfeS, und dort, halb erstickt von der
dunstigen Lust, zwischen Sargdeckeln und Waschzubern, in einer Toten-
truhe, die mit schmutziger Wäsche gefüllt war, gebar sie ans eigener,
tierhafter Kraft Peter, den Sohn eines Geschäftsreisenden.

Sie selbst war Viehmagd bei einem entlegenen Bauern und wenig
über zwanzig Jahre alt.

Als man das Kind ans seinem Bade schwarzen Blutes hob, war es
lvie tot. Man goß ihm das Wasser der Nottause über den spitzigen
Schädel und Peter fing zu schreien an.

Da legte inan den Knaben zu seiner Mutter, die aus Schweiß lind
Schmerzen schwach und lieblich lächelte, und so trug inan die beiden
samt dem Sarge hinüber in die leere Sominerstnbe des MeSnerhanfeS.

Leute kamen und gingen. Peter schrie die ganze Nacht. Gegen Morgen
erst biß er sich in seiner Mutter fest, ivie ein kleines, bösartiges Tier.

Anl dritten Tage hatte er sie ausgetrunken. Sie rveinte ein ivenig
und starb.

Peter kam so um seine Wiege, denn die Mutter lvurde darin begraben.
Man hätte auch ihn gerne dazrigelegt. Aber Peter schrie, er wußte so
wenig von toten und gottverlassenen Müttern, wie sein Vater, der im
Lande herumreiste, Manschetten trug, und, weiß der Teufel wo, im
Gasthaus wohnte.

Peter hatte plötzlich ein Dutzend Mütter in den Weibern des Dorfes.
Er lag noch immer in der großen NceSnerstube, ein Wäschekorb lvar
seine Wiege. Die Frauen traten zu ihm,
hoben ihn auS Schmutz und Näße und
einige boten dieser häßlichen, blauroten
Kröte die Brust. Niemand wollte den
kleinen Peter ganz zu sich nehmen, denn
es war ausgemacht, daß er jterben werde.

Warum starb er nicht?

Es wurde allmählich langweilig, sich
Tag für Tag um diesen Balg zu küm-
mern. blnd es ivar Frühling, ein Früh-
ling mit hohen Saaten und dein Segen
der Gärten.

Peter lag stundenlang allein in einer
Wolke von Gestank. Er schrie, das
weitete seine Lungen. Er fror in den
kühlen Nächten und die Kälte härtete
seine dünne, bläuliche Halit. Er wurde
stark und lebte hartnäckig weiter.

Trotzdem, Peter wäre wohl doch noch
verhungert oder im Schmutz erstickt, wenn
nicht der alte MeSner eines Abends be-
trunken nach Hause gekommen wäre, um
seinen Rausch anSznschlafen.

Der alte MeSner kam sehr selten nach
Hause. Er tat seine Pflicht, o ja, und
der Pfarrer lvar ein gefügiger Mann.

Aber untertags soff der MeSner bei d^n
Bauern und nachts schlief er in Haus- Die Mutter

gärigen oder Heuböden, wie es gerade kam. Er war immer betrunken,
schwieg ltnd kümmerte sich um nichts.

Aber nun kam er heim, der kleine Peter erfüllte das ganze Haus mit
seinem Geschrei und der Alte konnte nicht einschlafen. Da nahm er
den eisernen Schürhaken und stieg hinunter, um das still zu machen,
lvaS da schrie.

Peter schlvieg augenblicklich, als sich der MeSner über ihn betigte.
Er war kein schönes Kind, sein Gesicht sah aus wie ein Knäuel schmutzigen
Papiers, — aber die Augen leuchteten heraus wie zlvei große, dunkel-
blaue Steine.

Der MeSner verstand nun von den Dingen dieser Welt nicht viel
mehr als der kleine Peter selbst. Aber trotzdenl, er ging brummend aus
der Stube und begab sich inö Dorf zur Hebamme.

Seit diesem Abend schlief der alte MeSner nicht mehr in HatiSgängen
und Heuböden, sondern, lvenngleich betrunken, in seinem Bett neben
PeterS Wäschekorb, der jetzt mit Stroh gefüllt und mit grobem Linnen
ausgefüttert lvar. Er tränkte ihn ans einer Milchflasche, trocknete die
Windeln und sah mif Staunen, wie der kleine Peter, die elende Kreatur,
auf irgendeine dunkle Weise das Lachen erlernte.

Ein jlinger Hund lief zu, nistete sich in PeterS Wäschekorb ein und
leckte dem Kinde zuweilen begütigend die glänzende Nase.

Der alte MeSner war zu stumpfsinnig, das Tier zu verjagen, er hätte
Krokodile in feinem Hause groß werden lassen. Er rief den Hund Peter,
weil er sich nicht um einen neuen Nainen bemühen lvollte, und Peter
lvnchs mit seinem Nulchbruder, Peter dein Kinde, stattlich heran.

Peter der Hund war von Natur atiS
glücklicher veranlagt als Peter das Kind.
Er war, als dieser eben sitzen lernte und
zuin erstenmal aus dem Wäschekorb fiel,
schon so groß, daß er ihn am Hemde
durch die ganze Stube schleifen konnte.
Peter der Hund hatte Phantasie und
erdachte die großartigsten Spiele. Er
setzte sich hinter den Kasten, und lveun
sein Bruder ahnungslos nachgekrochen
karn, fuhr er heraus lvie ein Seeräuber
und zeigte mit lvunderbar gespielter Wut
die weißen Zähne. Aber Peter das Kind
verstand ihn nicht, er fing zu schreien an.
Er war ganz erstaunlich dunlin und
eigentlich zu nichts zu gebrauchen. Peter
der Hund rollte ihn beküminert auf den
Rücken und leckte fein Gesicht, bis die
v \ Tränen versiegt waren.

Allmählich wuchs der kleine Peter
heran, er lernte stehen und gewann die
Oberhand. Er schlug seinen Gefährten
mif dem Löffel auf die Nase, er fiilg
seinen Kopf zwischen den Beinen und
blieS ihm in die Ohren c^der bohrte init
den Fingern in seinen Augen. Peter der
Hund winselte, erfreut über so viel In-
telligenz, llnd liebte ihn mit aller Kraft
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Karl Heinrich Waggerl: Illustration zum Text "Die Mutter"
Karl Heinrich Waggerl: Die Mutter
 
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