D
NR. lo
, aber nein, er
er verhaspelte
unrein heraus,
Alles hat nichts
versuchte es mit
bestrafte jeden
inerkte, daß er
Bengels lachten,
legen und kannte
ch, Lemberger!'
ihn mit einigen
ar ja fast dem
war Unglück,
gab's. Bloß der
und der war
- Ich Hab'
Schule, in der
Hilfreichgasse, in einem netten Zimmer beim
Steuersekretär Moslmger gewohnt. Im ersten
Stock war es, grad gegenüber vom Lemberger-
fchen Kurzwarengeschäft. .. Das winzige, ver-
staubte Lädchen war neben einer großen Ein-
fahrt, drüber hausten die LembergerS in kleinen,
muffigen Zimmern. Geschäft ging fast gar nicht.
Arme, miekrige, kribblige Juden -waren die
LembergerS. Niemand beachtete sie sonderlich,
<lber es wollte auch keiner was mit ihnen zu
tun haben. Ich glaub, sie waren die einzigen
Juden im ganzen Viertel und lebten genau so
notig wie die vielen Arbeiter rundherum, die
paar Krämer und Kleinbürger, die Renten-
empfänger und Wirte. Jeden Tag gab eS, wie
der alte Lemberger immer sagte: ,ChaloscheS
mit Ei? ... Chalosches mit Ei? Was ist das?
Irgendein Gemantsch eben! Der Berliner würde
vielleicht sagen: ,Dreck mit Soße? ...
Die LembergerS waren auch keine ganz gläu-
bigen Juden mehr, sie hatten sich schon so halb-
wegs assimiliert. Ladenschluß zum Sabbat gab
es nicht bei ihnen und auch die sonstigen Ge-
bräuche hielten sie nur halbwegs ein ... Wenn
schönes Sonnenwetter war, hat der Lemberger
immer vor seiner Ladentür gestanden, ohne
Käppchen und ohne Kaftan ... Jahraus, jahr-
rein steckte sein auSgedörrter, mittelgroßer Kör-
per in einem grauen, schlissigen Gehrock, in viel
zu weiten Hosen und die abgetretenen, langen
Schuhe waren stets sauber gewichst. Er stand
da mit etwas vorgebeugtem Kopf, in seinem
vollbartumrahmten Gesicht war eine gewisse
-.unlustige Gewecktheit und seine kleinen, lebhaften
Augen sahen alles. Auf seiner glatten Glatze
spiegelte sich die Sonne und wenn ich so von
meinem Zimmer hinunterschaute — die paar
langen, wegstehenden, grauen Haare an der
Schläfe und im Genick hinten haben im Glanz
der Sonne auSgesehen wie silbrige, alttestamen-
tarische Strahlen ... Im Sommer standen
droben in der Wohnung mitunter auch die
niederen Fenster offen. Ich Hab bis in die Küche
hineinsehen können. Immer kam ein fettig-
fischiger, leicht moderiger Duft aus diesen
Fenstern .. . Die Frau Lemberger stand dick und
rotköpsig am Herd. .. Sie war klein und ewig
schmuddelig, schlampig und dreckig, aber ewig
beweglich ...
„Sind Sie Antisemit?" fragte ich Vogelroth
unvermittelt.
blnverlegen schüttelte er den Kopf: „Ich war
es nie und werd es nie fein ... Die Erscheinung
des Antisemitismus ist mir aber bei den Kindern
aufgefallen... Überhaupt — wie wird ein
Mann zum Weiberfeind? Wenn er kein Glück
bei Frauen hat."
„Hm, komisch, bei den Kindern sind Sie auf
den Antisemitismus gestoßen, hmhm?" brüm-
melte ich dazwischen.
„Ja, durch sie bin ich drauf aufmerksam ge-
worden", fuhr Vogelroth fort: „Kinder, Kinder
hat es nämlich in der Hilfreich-Dorstadt ge-
geben, Kinder wie Sand am Meer... Der
Sami Lemberger war der Gescheiteste und —
vielleicht bin ich sogar ein wenig daran schuld
gewesen — und grad deswegen haben ihn seine
Mitschüler nicht leiden können. Abgeschrieben
haben sie von ihm, einsagen haben sie sich lassen,
seine Aufgabenhefte haben sie ihm gestohlen .. .
Da war beispielsweise irgendwo ein jüdisches
Hilfswerk. Der Sami hat Kleider davon ge-
kriegt und war immer propper beisammen...
Waö haben die Bengels getan? Sie verspritzten
ihn mit Dreck oder schnitten ihm die Hose auf.
Er hat sich mitunter wohl gewehrt, aber, mein
Gott, was sollt er machen gegen soviel...
Zwei Vorfälle waren besonders schlimm. Sami
hat immer zum jüdischen Religionsunterricht
weg müssen. In dem Viertel gab es meist
Katholiken. Er hat stets in die Stadt hinein
müssen. Das ist nun von den andern Schülern
so ausgelegt worden, als hätt' der Bub einen
besonderen Vorzug. Sie ärgerten sich, weil sie
glaubten, Sami könnte da schön „schwänzen"
und in der Stadt spazieren laufen. .. Dann
ist mir selber einmal eine recht dumme Sache
passiert. Ich weiß nicht mehr ganz genau, eS
war grad um die Zeit, in der meine Klasse
zur ersten Kommunion kam. Da erscheint eines
Morgens Frau Lemberger mit ihrem Sami
vor dem Schulanfang bei mir und jammert und
weint: „Mein Goldjüngelchen, meinen . Sami,
Herr Lehrer! . . . Ham Sie gesehen, Herr
Lehrer, ham Sie gesehen, was sie Ham gemacht
mit ihm!" Sie schlotterte um und um. Der
Sami hat wirklich schrecklich auSgeschaut. Sein
Gesicht war zerkratzt und zerschnnden, seine
Hände zeigten Stiche, Striemen und Kratz-
wunden.
„bind so ist sein ganzes gebenschtes Kör-
perchen! Gesund soll er sein bis hundert Jahr!"
klagte die Frau keuchend und wandte sich an
den stummen Sami: „Aber so red' doch, Sami-
leben, nu red' schon! Sag dem Herrn Lehrer,
mein Goldjüngelchen, sag, wer hat dich so
geschlagen! . .. Auf der Stelle will ich blind
sein, wenn er gehabt hat a einziges Pinkelchen!"
Sami sagte keinen Ton.
i t c h
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, aber nein, er
er verhaspelte
unrein heraus,
Alles hat nichts
versuchte es mit
bestrafte jeden
inerkte, daß er
Bengels lachten,
legen und kannte
ch, Lemberger!'
ihn mit einigen
ar ja fast dem
war Unglück,
gab's. Bloß der
und der war
- Ich Hab'
Schule, in der
Hilfreichgasse, in einem netten Zimmer beim
Steuersekretär Moslmger gewohnt. Im ersten
Stock war es, grad gegenüber vom Lemberger-
fchen Kurzwarengeschäft. .. Das winzige, ver-
staubte Lädchen war neben einer großen Ein-
fahrt, drüber hausten die LembergerS in kleinen,
muffigen Zimmern. Geschäft ging fast gar nicht.
Arme, miekrige, kribblige Juden -waren die
LembergerS. Niemand beachtete sie sonderlich,
<lber es wollte auch keiner was mit ihnen zu
tun haben. Ich glaub, sie waren die einzigen
Juden im ganzen Viertel und lebten genau so
notig wie die vielen Arbeiter rundherum, die
paar Krämer und Kleinbürger, die Renten-
empfänger und Wirte. Jeden Tag gab eS, wie
der alte Lemberger immer sagte: ,ChaloscheS
mit Ei? ... Chalosches mit Ei? Was ist das?
Irgendein Gemantsch eben! Der Berliner würde
vielleicht sagen: ,Dreck mit Soße? ...
Die LembergerS waren auch keine ganz gläu-
bigen Juden mehr, sie hatten sich schon so halb-
wegs assimiliert. Ladenschluß zum Sabbat gab
es nicht bei ihnen und auch die sonstigen Ge-
bräuche hielten sie nur halbwegs ein ... Wenn
schönes Sonnenwetter war, hat der Lemberger
immer vor seiner Ladentür gestanden, ohne
Käppchen und ohne Kaftan ... Jahraus, jahr-
rein steckte sein auSgedörrter, mittelgroßer Kör-
per in einem grauen, schlissigen Gehrock, in viel
zu weiten Hosen und die abgetretenen, langen
Schuhe waren stets sauber gewichst. Er stand
da mit etwas vorgebeugtem Kopf, in seinem
vollbartumrahmten Gesicht war eine gewisse
-.unlustige Gewecktheit und seine kleinen, lebhaften
Augen sahen alles. Auf seiner glatten Glatze
spiegelte sich die Sonne und wenn ich so von
meinem Zimmer hinunterschaute — die paar
langen, wegstehenden, grauen Haare an der
Schläfe und im Genick hinten haben im Glanz
der Sonne auSgesehen wie silbrige, alttestamen-
tarische Strahlen ... Im Sommer standen
droben in der Wohnung mitunter auch die
niederen Fenster offen. Ich Hab bis in die Küche
hineinsehen können. Immer kam ein fettig-
fischiger, leicht moderiger Duft aus diesen
Fenstern .. . Die Frau Lemberger stand dick und
rotköpsig am Herd. .. Sie war klein und ewig
schmuddelig, schlampig und dreckig, aber ewig
beweglich ...
„Sind Sie Antisemit?" fragte ich Vogelroth
unvermittelt.
blnverlegen schüttelte er den Kopf: „Ich war
es nie und werd es nie fein ... Die Erscheinung
des Antisemitismus ist mir aber bei den Kindern
aufgefallen... Überhaupt — wie wird ein
Mann zum Weiberfeind? Wenn er kein Glück
bei Frauen hat."
„Hm, komisch, bei den Kindern sind Sie auf
den Antisemitismus gestoßen, hmhm?" brüm-
melte ich dazwischen.
„Ja, durch sie bin ich drauf aufmerksam ge-
worden", fuhr Vogelroth fort: „Kinder, Kinder
hat es nämlich in der Hilfreich-Dorstadt ge-
geben, Kinder wie Sand am Meer... Der
Sami Lemberger war der Gescheiteste und —
vielleicht bin ich sogar ein wenig daran schuld
gewesen — und grad deswegen haben ihn seine
Mitschüler nicht leiden können. Abgeschrieben
haben sie von ihm, einsagen haben sie sich lassen,
seine Aufgabenhefte haben sie ihm gestohlen .. .
Da war beispielsweise irgendwo ein jüdisches
Hilfswerk. Der Sami hat Kleider davon ge-
kriegt und war immer propper beisammen...
Waö haben die Bengels getan? Sie verspritzten
ihn mit Dreck oder schnitten ihm die Hose auf.
Er hat sich mitunter wohl gewehrt, aber, mein
Gott, was sollt er machen gegen soviel...
Zwei Vorfälle waren besonders schlimm. Sami
hat immer zum jüdischen Religionsunterricht
weg müssen. In dem Viertel gab es meist
Katholiken. Er hat stets in die Stadt hinein
müssen. Das ist nun von den andern Schülern
so ausgelegt worden, als hätt' der Bub einen
besonderen Vorzug. Sie ärgerten sich, weil sie
glaubten, Sami könnte da schön „schwänzen"
und in der Stadt spazieren laufen. .. Dann
ist mir selber einmal eine recht dumme Sache
passiert. Ich weiß nicht mehr ganz genau, eS
war grad um die Zeit, in der meine Klasse
zur ersten Kommunion kam. Da erscheint eines
Morgens Frau Lemberger mit ihrem Sami
vor dem Schulanfang bei mir und jammert und
weint: „Mein Goldjüngelchen, meinen . Sami,
Herr Lehrer! . . . Ham Sie gesehen, Herr
Lehrer, ham Sie gesehen, was sie Ham gemacht
mit ihm!" Sie schlotterte um und um. Der
Sami hat wirklich schrecklich auSgeschaut. Sein
Gesicht war zerkratzt und zerschnnden, seine
Hände zeigten Stiche, Striemen und Kratz-
wunden.
„bind so ist sein ganzes gebenschtes Kör-
perchen! Gesund soll er sein bis hundert Jahr!"
klagte die Frau keuchend und wandte sich an
den stummen Sami: „Aber so red' doch, Sami-
leben, nu red' schon! Sag dem Herrn Lehrer,
mein Goldjüngelchen, sag, wer hat dich so
geschlagen! . .. Auf der Stelle will ich blind
sein, wenn er gehabt hat a einziges Pinkelchen!"
Sami sagte keinen Ton.
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