Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
J U G E

3 6. JAHRGANG

N D

19 3 1 / NR. 16


angcui — nava

VON RICHARD HULDSCHINER

„Das ist so gekommen", sagte Planck und
setzte sich bequemer in seinem Sessel zurecht.
„Eö scheint, daß unsere Naturforscher immer
noch wenig Grund zum Übermut haben; denn
ganz geklärt ist eö ja noch nicht. Diese eine
Schlange, einen Meter lang und nicht dicker
als ein guter Aal, gibt ihnen eine schwere
Nuß zu knacken.

Was aber den armen Tilliach anlangt, so
hat er ja immer gehandelt, als stünde er unter
einem Fluch, der sich unbedingt erfüllen mußte.
Ihr kanntet ihn ja auch; er hielt nicht viel
vom Leben; es schien ihm sogar zum Weg-
werfen zu gering; er spielte damit wie ein
großer Herr."

Planck schwieg nachdenklich. Die andern
sahen ihn erwartungsvoll an, in ihren Gedanken
mit Tilliach beschäftigt, den die meisten von
ihnen in der Zeit seiner dichterischen und gesell-
schaftlichen Erfolge gut gekannt hatten. Sie
sahen ihn jetzt gleichsam vor sich; es war
ihnen, als säße er noch in einem der Stühle
am Kamin, die Beine lang ausgestreckt,
die glänzenden Augen auf das Feuer
gerichtet, lachend, mit seinem hellen,
liebenswürdigen Lachen, das zwei Reihen
der schönsten Zähne enthüllte.

Planck begann von neuem: „Ihr wißt,
daß wir die große Reise um die Welt
zusammen machten. Über Neuyork nach
Westen. Eine dieser Gesellschaftsreisen,
vor denen man übrigens nicht genug
warnen kann, ünd Tilliach unterhielt
sich ausgezeichnet über die Sucht dieser
kleinen Millionäre, Barone und Schrift-
steller, in jedem Hafen die Sehenswürdig-
keiten wie bunte Schmetterlinge einzu-
fangen, auf eine Nadel zu spießen, in
einen Glaskasten zu tun und feierlich zu
registrieren, ünd sie schnatterten, regten
sich auf oder langweilten sich, je nach-
dem. ünd es war im Grunde gleich, ob
es ein großer Buddha, ein Bauchtanz
oder ein rauchender Vulkan war.

In Sabang, auf der kleinen Insel
Weh vor Sumatra, nahmen wir am
6. April Kohlen. Der Ort ist unbe-
deutend, erst in den letzten fahren ent-
standen, an einer kreisrunden Bucht, die
von niedrigen Höhenzügen eingefaßt ist.
Vielleicht ein von Wasser ausgefüllter
Krater. Es stehen ein paar weiße
Häuser da, von Europäern, Malaien
und Chinesen bewohnt. Natürlich fehlt

auch das japanische TeehauS nicht, in dem ein
paar melancholische Mädchen des Abends auf
ihren SamisenS und Kotos spielen, Besucher
erwarten, gleich flügellahmen Schmetterlingen,
die matt am Boden kleben.

ünser Schiff war in Kohlenstaubwolken ge-
hüllt. Es herrschte eine abscheuliche Schwüle,
ünd Tilliach und ich nahmen unsere Flinten und
den Boy, der sie tragen sollte, und gingen auf
die Jagd. Es gibt da Affen und wilde Schweine.

Wir sahen übrigens nicht viel davon, ließen
Büchse Büchse sein und schlugen uns auf einem
schmalen Weg durch den ürwald auf die Höhe
des Hügelkranzes, um einen Blick auf die Meer-
enge und die blauen Berge von Atjeh zu ge-
winnen, wo die Kopfjäger Hausen, die den
Holländern so viel zu schaffen machen. Dabei
entdeckten wir weiter draußen einen kreisrunden
See, der nach Kühlung aussah. Übrigens er-
innerte ich mich, daß der Agent unserer Gesell-
schaft in Sabang von diesem Süßwasserbecken
gesprochen hatte. Wir machten uns also wieder

auf den Weg. Es ging hügelauf und hügelab,
immer unter den herrlichsten Bäumen hin, in
deren Kronen es von winzigen Nektarinen
wimmelte. An den Stämmen blühten Orchideen.
Wir waren wie verzaubert und spürten kaum
die schwere Schwüle, die unter den Bäumen lag,
bis auf einmal die Wildnis sich lichtete, in eine
Bananenpflanzung überging, und wir an den
See hinaustraten, der, ringsum von Königs-
palmen umstanden, feierlich still und blau, in
der Sonne zitternd, im Grunde seiner üm-
wallung lag.

„Da bläst jemand auf einer Flöte", sagte
Tilliach. Wir gingen vollends hinunter und
sahen einen Eingeborenen im weißen Leinen-
anzug mit braunem Turban und ein weibliches
Wesen, das in rosa, gelb und grüne Seiden-
stoffe so bunt gekleidet war, daß sie wie eins
dieser Vögelchen aussah, die im Walde ihr
Wesen getrieben hatten. Sie hatte große, dunkle
und wunderschöne Augen, war zart und schmal,
vielleicht vierzehn Jahre alt, aber reif, ein
Weib. Die beiden saßen einander gegen-
über am üfer, zwischen ihnen aber be-
wegte sich etwas, als wir näher kamen,
sahen wir, daß es eine Schlange war,
die, fast auf dem Schwanz stehend, den
breiten Kopf nach den Klängen der Flöte
hin und her bewegte. Das Mädchen
begann zu zittern, als es uns kommen
sah; diese Leute sind so zart, so elfenhaft!
Übrigens war auch der Mann mit seinem
weißen Lendenrock und dem auf dem
Wirbel zum Knoten zusammengelegten
Zopf wie ein Weib.

Wir grüßten und blieben stehen, um
zuzusehen, was da weiter geschehen
würde. Die Schlange war ein besonders
schönes Exemplar einer sehr gefährlichen
Art, grün, mit rötlicher Zickzacklinie auf
dem Rücken, breiten, hautartigen Aus-
wüchsen zu beiden Seiten des Kopfs, und
einer Art Haube, die bei jeder Bewegung
leicht erzitterte wie die Brust eines jungen
Mädchens unter dünner Seidenbluse.

Während ich mich für die Schlange
interessierte, bemerkte ich, daß Tilliach
nur noch Augen für das Mädchen hatte.
Er setzte sich neben sie und redete auf jie
ein, obschon er wissen mußte, daß sie ihn
nicht verstand.

„Vorsicht!" sagte ich zu ihm, „schau
dir den Mann an! Er wird noch die
Schlange auf dich hetzen."

Unsong Pai Selbstbildnis
Register
Unsong Pai: Selbstbildnis
Richard Huldschiner: Mangali - nava
 
Annotationen