J u
3 6. JAHRGANG
G E N D
19 3 1 / NR. 32
Es ist kein Vergnügen, Versicherungsagent
zu sein, lind auch die Fünfzig überschritten zu
haben, ist kein Vergnügen; überhaupt ist das
ganze Leben eine ekelhafte Sache, die durch
das Dasein der anderen Menschen nur noch
ärger wird. Besonders durch die Existenz weib-
licher Wesen. Das zumindest war die Ansicht
Friedrich Beberichö. Wenn er abends in seinem
Zimmer in der großen Mietskaserne saß, spann
er diese unerfreulichen Gedanken aus und
steigerte das Gefühl der Abneigung gegen alles
und alle bis zu dem tobsüchtiger Feindschaft.
Rechts von ihm wohnte ein ewig streitendes
Ehepaar, links eine Verkäuferin aus einem
Käseladen, die sich anscheinend, dem Geruch nach
VON HERMYNIA ZUR MÜHLEN
zu schließen, hauptsächlich von den in ihrem
Laden feilgebotenen Erzeugnissen nährte. Ober
ihm Menschen, unter ihm Menschen; eS war
nicht auszuhalten, bind dabei plagte Friedrich
Beberich die Einsamkeit. Er sehnte sich nach
einem Wesen, das ihm Gesellschaft leiste, ohne
zu sprechen, ohne Wünsche zu äußern, ohne
Bedürfnisse zu haben. Ein Hund kam, der
Steuer wegen, nicht in Frage. Katzen mochte
er nicht. Vögel sangen und machten viel
Schmutz. Wo sollte er das Geschöpf finden,
das ihn vor der Einsamkeit rettete, ohne gleich-
zeitig seine Ruhe zu stören? An einem schönen
Sommernachmittag fand er endlich die Antwort
auf diese Frage. In einem Laden, wo Tiere
verkauft wurden, sah er einen Laubfrosch. Einen
schönen kleinen grünen Laubfrosch mit weißem
Bauch und großen freundlichen Glotzaugen.
Friedrich Beberich kam es vor, als zwinkerten
ihm diese Augen liebevoll zu: Kauf mich, nimm
mich mit. Ich singe nicht, ich belle nicht, ich
mache wenig Schmutz, und die paar Fliegen,
die ich täglich brauche, sind leicht zu beschaffen.
Außerdem bin ich ein guter Wetterprophet.
Friedrich Beberich kaufte den Laubfrosch. Er
taufte ihn Rudi, zur Erinnerung an einen früh-
verstorbenen Bruder, vielleicht den einzigen
Menschen, dessen er noch hin und wieder mit
Liebe gedachte. Ilnd etwas von diesem Gefühl
schien sich auf den Laubfrosch zu übertragen.
498
3 6. JAHRGANG
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Es ist kein Vergnügen, Versicherungsagent
zu sein, lind auch die Fünfzig überschritten zu
haben, ist kein Vergnügen; überhaupt ist das
ganze Leben eine ekelhafte Sache, die durch
das Dasein der anderen Menschen nur noch
ärger wird. Besonders durch die Existenz weib-
licher Wesen. Das zumindest war die Ansicht
Friedrich Beberichö. Wenn er abends in seinem
Zimmer in der großen Mietskaserne saß, spann
er diese unerfreulichen Gedanken aus und
steigerte das Gefühl der Abneigung gegen alles
und alle bis zu dem tobsüchtiger Feindschaft.
Rechts von ihm wohnte ein ewig streitendes
Ehepaar, links eine Verkäuferin aus einem
Käseladen, die sich anscheinend, dem Geruch nach
VON HERMYNIA ZUR MÜHLEN
zu schließen, hauptsächlich von den in ihrem
Laden feilgebotenen Erzeugnissen nährte. Ober
ihm Menschen, unter ihm Menschen; eS war
nicht auszuhalten, bind dabei plagte Friedrich
Beberich die Einsamkeit. Er sehnte sich nach
einem Wesen, das ihm Gesellschaft leiste, ohne
zu sprechen, ohne Wünsche zu äußern, ohne
Bedürfnisse zu haben. Ein Hund kam, der
Steuer wegen, nicht in Frage. Katzen mochte
er nicht. Vögel sangen und machten viel
Schmutz. Wo sollte er das Geschöpf finden,
das ihn vor der Einsamkeit rettete, ohne gleich-
zeitig seine Ruhe zu stören? An einem schönen
Sommernachmittag fand er endlich die Antwort
auf diese Frage. In einem Laden, wo Tiere
verkauft wurden, sah er einen Laubfrosch. Einen
schönen kleinen grünen Laubfrosch mit weißem
Bauch und großen freundlichen Glotzaugen.
Friedrich Beberich kam es vor, als zwinkerten
ihm diese Augen liebevoll zu: Kauf mich, nimm
mich mit. Ich singe nicht, ich belle nicht, ich
mache wenig Schmutz, und die paar Fliegen,
die ich täglich brauche, sind leicht zu beschaffen.
Außerdem bin ich ein guter Wetterprophet.
Friedrich Beberich kaufte den Laubfrosch. Er
taufte ihn Rudi, zur Erinnerung an einen früh-
verstorbenen Bruder, vielleicht den einzigen
Menschen, dessen er noch hin und wieder mit
Liebe gedachte. Ilnd etwas von diesem Gefühl
schien sich auf den Laubfrosch zu übertragen.
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