3 6. JAHRGANG
19 3 1 / NR. 34
DER GENTLEMAN
VON DIETRICH LODER
Es fff zu beachten, daß sich diese Geschichte
viel schneller abspielte, als sie erzählt werden
kann. Der Leser muß über Nebenumstände
ins Bild gesetzt werden, die den Beteiligten
durchaus klar waren.
o blhr 49 Minuten.
Als Mr. Nathanael CalmerS abends gegen
ein Uhr sein Arbeitszimmer betrat, sah er einen
elegant gekleideten jungen Mann ohne Hut,
waS zunächst nicht verwunderlich war, und
ohne Rock, was schon erstaunlich erschien, im
Begriffe, den Schreibtisch auszubrechen, was
vielleicht vom Standpunkt dieses jungen
Mannes weder verwunderlich noch erstaunlich,
für CalmerS aber jedenfalls überraschend war.
Hier muß eingeschaltet werden: Arbeits-
zimmer hieß der Raum nur wegen der Möbel,
die darin standen. Nathanael CalmerS, Boston
Majs., Häute und Felle, befand sich aus einem
längeren Europaausenthalt und arbeitete nichts.
Die Wohnung, das Parterre einer eleganten
Borstadtvilla, hatte er ausschließlich zu dem
Zwecke gemietet, um sich der entzückenden jungen
Frau, die mit ihrem Mann den ersten Stock
innehatte, unauffällig, aber dringlich nähern zu
können. Boston Mass., in der klnion als höchst
puritanisch bekannt, verleugnet sich im Ausland
zuweilen.
Nathanael CalmerS war vielleicht in bezug
auf eheliche und geschäftliche Moral kein ganz
sauberer Charakter, aber er war jedenfalls kein
Feigling. Kaum wurde er des Einbrechers an-
sichtig, packte er, da er feine Pistole nicht in
erreichbarer Nähe hatte, einen jener leichten
Herrenzimmerstühle, die höchstens in solch
exorbitanten Fällen gebraucht werden können
und schrie:
„Hands up, old boy, oder ich schlage ^hnen
den Schädel ein!"
Der junge Mann hatte sich ohne Erregung
umgedreht und sagte nun halblaut und ein-
dringlich:
„Mein Herr, wenn Sie ein Gentleman sind
und die Ehre einer Dame retten wollen, so
laufen Sie bitte sofort auf die Straße und
schreien Sie mit lauter Stimme nach der
Polizei."
CalmerS ließ den Stuhl wieder sinken.
„Die Ehre einer Dame! Sind Sie blöd-
sinnig?"
„blm Gottes willen, Herr, wer Sie auch sein
-v
Hafen
Sigfrid Sebba
530
19 3 1 / NR. 34
DER GENTLEMAN
VON DIETRICH LODER
Es fff zu beachten, daß sich diese Geschichte
viel schneller abspielte, als sie erzählt werden
kann. Der Leser muß über Nebenumstände
ins Bild gesetzt werden, die den Beteiligten
durchaus klar waren.
o blhr 49 Minuten.
Als Mr. Nathanael CalmerS abends gegen
ein Uhr sein Arbeitszimmer betrat, sah er einen
elegant gekleideten jungen Mann ohne Hut,
waS zunächst nicht verwunderlich war, und
ohne Rock, was schon erstaunlich erschien, im
Begriffe, den Schreibtisch auszubrechen, was
vielleicht vom Standpunkt dieses jungen
Mannes weder verwunderlich noch erstaunlich,
für CalmerS aber jedenfalls überraschend war.
Hier muß eingeschaltet werden: Arbeits-
zimmer hieß der Raum nur wegen der Möbel,
die darin standen. Nathanael CalmerS, Boston
Majs., Häute und Felle, befand sich aus einem
längeren Europaausenthalt und arbeitete nichts.
Die Wohnung, das Parterre einer eleganten
Borstadtvilla, hatte er ausschließlich zu dem
Zwecke gemietet, um sich der entzückenden jungen
Frau, die mit ihrem Mann den ersten Stock
innehatte, unauffällig, aber dringlich nähern zu
können. Boston Mass., in der klnion als höchst
puritanisch bekannt, verleugnet sich im Ausland
zuweilen.
Nathanael CalmerS war vielleicht in bezug
auf eheliche und geschäftliche Moral kein ganz
sauberer Charakter, aber er war jedenfalls kein
Feigling. Kaum wurde er des Einbrechers an-
sichtig, packte er, da er feine Pistole nicht in
erreichbarer Nähe hatte, einen jener leichten
Herrenzimmerstühle, die höchstens in solch
exorbitanten Fällen gebraucht werden können
und schrie:
„Hands up, old boy, oder ich schlage ^hnen
den Schädel ein!"
Der junge Mann hatte sich ohne Erregung
umgedreht und sagte nun halblaut und ein-
dringlich:
„Mein Herr, wenn Sie ein Gentleman sind
und die Ehre einer Dame retten wollen, so
laufen Sie bitte sofort auf die Straße und
schreien Sie mit lauter Stimme nach der
Polizei."
CalmerS ließ den Stuhl wieder sinken.
„Die Ehre einer Dame! Sind Sie blöd-
sinnig?"
„blm Gottes willen, Herr, wer Sie auch sein
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Sigfrid Sebba
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