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JUGEND

36. JAHRGANG 1931 / NR. 4 1

ABENDLEUCHTEN HINTER EINER KLEINEN STADT

VON EITEL KAPER

Zwischen hohen Speicherbauten am Fluß lag
das Fährhäuschen. Da wohnte Edzard Kouve-
laert, der Fährmann. Die Krane und Winden
kreischten vom Fluß, das Fährboot — eine Farce
seit die große Straßenbrücke mit weiten Armen
zu der Fabrikinsel hinübergriss — duckte sich
scheu gegen einen kleinen Wall aus Flußschlamm
und Grünland. Aus der Kopfsteinfahrbahn bis
zum großen Fahrkran, der heute nicht mehr exi-
stierte, von Autogenschneidern in lange Fetzen
gerissen war, waren Steine herauSgerissen.
DuellgraS saß in dicken Haarbüscheln dazwischen.
Es verirrte sich kaum noch ein Mensch zu dem
freien Platz. AuS den Straßen kam das Nähren
der Automobile, das Brüllen des aufgetriebenen
Marktviehs und das eintönige Klappklapp der
Rollwagen herüber. Die Straße drüben war
poesielos wie eine. Grau in grau getüncht mit
ein paar unförmigen Ladenklingeln und Ölzapf-
stellen. An den Markttagen stand Viehgeruch
darin. Aber die Leute verdienten dann und das
machte sie diese TInannehmlichkeit vergessen. Die
innere Stadt freilich war ruhiger und das Fluß-
ufer auf der Stadtseite war hol-
ländisch bunt und idyllisch. Haar-
lem, Leiden und Delft hätten sich
kaum damit messen können. Die
alten Speicher neigten vornüber.

Ein paar Wäscherstege tunkten in
den Fluß. Drüben ragten hinter
der blferweide Fabriken auf, junge
Industrie. Die Brücke prunkte in
neuen Klinkerfarben, mit seltenen
Ziersteinen. Die Brücke . . .

Edzard Kouvelaert, der Alte, saß
auf einem Holztrog und musterte
sie. Er war nicht kindisch, wie
Siebenundsiebziger so oft sind, er
klagte nicht. Die Brücke bestand
zu Recht. So sehr er sich selbst
quälen mußte, sie bestand zu
Recht, sie war notwendig. Tlnd
doch trauerte er um sie. Blickte
feindselig. Vor drei Jahren hatte
sie ihm sein Brot genommen, die
Brücke. Immer und immer wie-
der die Brücke, dieser schillernde
Teufel. Er war wie besessen da-
von.

Sein Leben lag klar genug da.

Er stürmte aus dieser Ecke, war
erst auf Briggs und dann auf

Westküsten-Diermastern gefahren. Dom Vater
Louwrens hatte er den Fährmannsposten ge-
erbt, der Seefahrt aufgesagt. Sein Vlamen-
blut fühlte sich auch hier im Osten des Friesen-
landes in den Winkel am Flußlauf, im Zeichen
der Krane und Schifferhäuser am wohlsten.
Rur eins blieb ihm von der Fahrt durch
Passate und Monsune: ein schwarzer Lackhut,
wie ihn in seiner Jugend die Matrosen der
reijigsten Vollrigger trugen, an Feiertagen, auf
den „Bunds" in Singapur und Schanghai, auf
dem Kai von Valparaiso.

An Sonntagen trug er den Hut im Fähr-
mannsdienjt. Er hatte Bilder, Zauberflaschen
und Seeaffen in seiner schmalen Fährbude. Der
Dunst der Grogs und der Phantastereien stieg
zu den fliegenden Fischen unter der Decke auf.
Frau Grietje gebar ihm die Theda in diesem
kleinen Haus, sein einziges Kind, bind starb ein
Jahr darauf. Er wriggte von blfer zu blfer.
Das kleine Kind hörte er schreien, wenn er mit
vollem Kahn drüben abstieß. Die Hände
krampften sich in den Riemen. Das Blatt

peitschte das Waper. blnd Hoppenmännchen
und Kuchenringel hatte er in der Tasche für
Theda. Er war das Rechnen gewohnt, die
Pfennige kamen schwer zusammen. Aber für
Theda rechnete er nicht.

* *

*

WaS war das? Edzard Kouvelaert kettete
den kleinen Kahn los, setzte die Dollen ein?
Legte die alte Seemannsgeige aus der Hand?
Den Lackhut, heute den Lackhut? ... Es war
abend . . .

Mit einem schwerfälligen Stoß ruckte das
Boot in den Fluß. Die Menschen ratterten
und eilten über die Brücke. Kouvelaert legte
sich ins Zeug. Bei Siemson & Bakker auf dem
Teelager an der Wasserfront legten die Bur-
schen die Zettel auf den Tisch. Die Brecheisen
und Hammer plumpsten vor Erstaunen hin. Der
alte Kouvelaert fuhr spazieren! Die MalerS-
leute, die die Seebäderdampfer in dem Dock für
den nächsten Sommer zurichteten und auf klber-
schichten arbeiteten, lehnten sich über die Stel-
ling. Der Spätzug fauchte über den Damm

von der Fabrikinsel in die Stadt...

* #

-r-

Hier war Theda ertrunken. Beim
Baden im Hafen hatte sie einen
Schlag bekommen. Ihr Vater fuhr
' er sah das .. .

Stund. ' v wieder vor

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»of am

FlAMoi Theda De^ Fähr-
mann sah ihr. - '• r; .

beinahe erstaunt. Er hau n
fertig bekommen, sie der Toten da-
mals zuzudrücken. — Run wäre
sie übrigens auch schon eine ältere
Frau gewesen. Die Hände knirsch-
ten, wie sich Kouvelaert ins Zeug
legte. Am Ufer standen staunend
ein paar Menschen. Ja lebte denn
der alte „Hol'über"-Mann von
dem Speicherplatz noch? Dazu

diesen lächerlichen Kinderlackhut!

* *

*

Die Wolkenmauer zerbrach. Es
war nicht mehr weit bis zum Son-
nenuntergang. Das Boot ruckte
schwerfällig unter der Brücke durch.
Wie eine Last lag sie auf Edzards
Kopf. Das Rumpeln und Rollen

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E. W. Steiger: Enoch Arden
Eitel Kaper: Abendleuchten hinter einer kleinen Stadt
 
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