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VON HANS MARTIN

„Willst du wohl da raus, du Salamander!"
Rob, der alte Matrose, stand auf und ballte
die Faust gegen einen Bengel von vielleicht
zwölf Jahren, der in einer Jolle stand und sich
schaukelte. „Heraus da! Möchst wohl gleich
umkippen, was?"

Der Bengel grinste und schaukelte weiter.
Plötzlich setzte sich Rob mit einer Schnelligkeit
in Bewegung, die wir seinen alten, verwitterten
Knochen nicht mehr zugetraut hätten, und noch
bevor der Junge aus dem Boot auf den hohen

Kai klettern konnte, war Rob mit einem
Sprung neben ihm und packte ihn kräftig beim
Genick.

„blmkippen, und wir dich aus dem Wasser
holen und die Jolle umdrehen und leerschöpfen,
nicht wahr, du SatanSasse? Wir sollen die
ganze Bescherung auf dem Hals haben, weil
du nicht hören kannst! Wenn du naß werden
willst, du Lümmel, sollst du es haben."

Und bevor wir wußten, was geschah, hatte
Rob den Jungen über Bord geworfen, tauchte
ihn tüchtig unter und zog ihn wieder heraus...

„Da, Lausbub! Mach' jetzt, daß du nach
Hause kommst, und sag' deiner Mutter, daß

eS nichts schadet. Los, schnell laufen, sonst holst
du dir eine Erkältung!" blnd der triesendnasse
Junge, heulend vor Schreck und Kälte, bekam
noch einen kräftigen Tritt, als er den Kai hin-
aufkletterte, und rannte dann schimpfend weg.

„Jeder hat mal eine harte Lektion nötig",
sagte Rob philosophisch, „und dazu ist es nie
zu spät. DaS habe ich einmal verteufelt gründ-
lich mitgemacht." Er schwieg einen Augenblick
und begann dann zu erzählen:

„Ihr wart damals noch dumme JungenS
und wißt darum auch sicher nichts davon, wie
eins unserer ersten Torpedoboote bei schwerem
Sturm aus Vlissingen herausfuhr, auf einer
Sandbank auflief und in der steigenden Flut
in zwei Stücke brach, blnkraut vergeht nicht,
— und darum bin ich auch der einzige, der von
der ganzen Bemannung übrigblieb und erzählen
konnte, wie alles geschehen ist. Eine ganze
Nacht und einen halben Tag trieb ich auf einer
Boje umher. Dann fischte man mich auf. Eine
halbe Flasche Genever war nötig, um mich
wieder zum Bewußtsein zu bringen.

Wir waren in einem Sturm abgefahren, daß
man keine Hand vor den Augen sehen konnte.
Eine Welle nach der anderen spülte über das
Schiff und der Gischt schlug uns ins Gesicht,
daß man seine Klüselöcher kaum aufhalten
konnte. Ein Hundewetter war es. bind doch
hatte jeder seine Freude daran, vom Kapitän,
der ein guter Vater für seine Leute war, bis
zum jüngsten Schiffsjungen. Nur Hein nörgelte.
Warum der Kerl jemals Matrose geworden
ist, weiß ich heute noch nicht. Niemals war
ihm etwas recht. Niemals hatte er Freude am
Leben. Das einzige Mal, daß ich ihn habe
lachen sehen, war, als ich mir mit einem
Hammer auf den Daumen geschlagen hatte,
daß das Blut herausspritzte, bind das habe ich
nicht vergessen. Hein nörgelte immer; hatte
immer zu klagen und an allem waS auSzu-.

I N DEM HOF...

VON KURT STEIN

In dem Hof, auf den mein Fenster mündet,
ist deS Nachts das Dunkel eingezwängt,
wenn darüber schon der Himmel höher hängt,
Von dem ersten Morgenlicht entzündet.

Alle Häuser werden Boden, sind belebt:

Hügel die auS tiefem Erdenschoße steigen;
an den Dächern aber ist ein Reigen
heller Wolken an den First geklebt.

Eines Schornsteins schwarze Zacke,
hochgesieilt wie eine Bergesspitze,
aufgewirbelt, aus der Erdballschlacke
hart emporgepreßt durch eine Felsenritze.

Die Garagen, Höfe und Fabriken
die am Tage hohl sind, wirr und faltig
fluten steinern, wuchten urgewaltig
als ein Riesenberg zu meinen Blicken.

In dem Hof, auf den mein Fenster mündet,
ist des Nachts das Dunkel eingezwängt,
wenn darüber schon der Himmel höher hängt,
von dem ersten Morgenlicht entzündet.

Erna Dinklage

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Index
Erna Dinklage: Zeichnungen ohne Titel
Hans Martin: Seine letzte Lektion
Kurt Stein: In dem Hof...
 
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