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T. Wencher-

Generalprobe 1931

„Und nich wahr, Kinners, daß ihr mir nich jleich die Nerven
verliert, wenn heute Abend mal zufällig 'n Zuschauer im
Theater sein sollte!"

„COme Lleine ^jeiöe will ihhh haben-!

VON G. GÜNTHER

Xitti hat einen Daker. Ein Klavier. Eine blonde Greta-Garbo-Frifur.
Eine Freundin. Titti ist siebzehn ^ahre alt. Früher nannte man sie
„Therese".

Titti ist hübsch. Titti ist niedlich. Titti ist ein absolut durchschnittliches
Mädchen. Titti möchte aber gerne über dem Durchschnitt stehen. Sie
möchte mehr sein als die anderen Nlädcheu. Sie will berühmt werden.
Leider ijt sie jedoch gar nicht talentiert. Ganz und gar nicht. Das haben
alle Lehrer und selbst ihr verliebter Vater festgestellt. Aber durch Zufall
ist sie daraufgekommen, daß sie äußerst vorteilhaft als Geigerin wirkt.
Sie hat die Geige ihrer Freundin sachgemäß aus die Schulter gelegt und
sich so in den Spiegel geschaut. Sie war entzückt. Titti war ein sehr eitles
Mädchen, — wie gut ihr Geige und Bogen „steht". Die Geige gehört
der Freundin Lulu, aber Lulu hat weder TittiS schwärmerisch hingebenden
Blick, noch die schmale, feingliedrige Hand, die reizend und reizvoll den
Bogen hält. Lulu ist zwar eine Künstlerin aus der Geige, sie entlockt ihr
die süßesten Töne, wie schade, daß Titti sie nicht fertigbringt, aber
Titti findet sich trotzdem überlegen. DaS bißchen Spielen, das wird
schließlich zu lernen sein, denkt Titti, probt eine Woche lang, aber sie
langweilt sich sehr, kommt nicht vorwärts und gibt es wieder auf.

Wenn sich Titti etwas in den kleinen, eigensinnigen Kops gesetzt hat,
dann gibt sie diesen Gedanken nicht mehr aus. blnbedingt will sie berühmt
werden. Endlich sällt ihr ein Ausweg ein: sie läßt sich mit der kleid-
samen Geige photographieren. Schon der Photograph, der die näheren
Umstände nicht kennt, ist so begeistert von dem Bild, daß er es an
illustrierte Zeitungen verschickt. Diese wieder finden die unbekannte junge
„Geigerin" so besonders hübsch und anziehend, daß sie daS Bild ver-
öffentlichen. Und nun bewerben sich Konzertagenturen und Filmgesell-
schaften um „die junge, bildschöne Geigerin". Titti, die Dielumworbene,
entschließt sich auS guten Gründen für die — Filmgesellschaften.

Ein Talent muß man Titti doch zugestehen: sie schwindelt sehr geschickt.
Man kann sie deshalb beinahe eine „Dichterin" nennen. Den Film-
regisseuren und Zeitungsreportern erzählt sie mit rührender Trauerpose,
daß sie niemals mehr öffentlich spielen wird. „£)!" seufzt sie bezaubernd
und versucht eine Träne herauszupressen. „Ich bin talentiert. Ich bin
begnadet. So sagen meine Lehrer —" Und nun erzählt sie eine höchst
unglaubwürdige Geschichte, wie sie durch ihr Auftreten als Geigen-
künstlerin nicht mehr zum Tode ihrer Mutter zurecht kam, und deshalb
sich schuldig glaubt — — „Nein, ich geige nur mehr, wenn ich ganz
allein bin, wenn niemand mich hört —", so beendet Titti stets ihr
trauriges Märchen und verschenkt am Schluß immer einen ihrer seelen-
vollen Blicke den Zuhörern. Nicht alle glauben, aber sie alle wollen
glauben, denn alle sind von TittiS Reiz gefangen. Ihre Mutter aber
lebt. Sie ist vergnügt und arglos. Sie weiß nichts von ihrem tragischen
Schicksal. Titti ist sehr berühmt geworden, ^ga, man spricht sogar von
dem seelenvollen „Tittiblick". Angehende Geigenkünstlerinnen befestigen
ihr Bild als eine Art Amulett über ihrem Notenpult.

OCü

/«//

Brautwerbung

„Ich schwöre Ihnen, Lilly, ein Leben ohne Sie wäre mir un-
ausdenkbar!"

„Und wieviel Geld müßten Sie haben, damit es Ihnen aus-
denkbar' wird?"

Auf der Straße ging die Hochblondine.

Hinter ihr unbemerkt zwei Männer. Mit je drei Schritt Abstand
voneinander.

Plötzlich klopft der Hintere dem Mittelmann auf die Schultern:

„Laufen Sie gefälligst nicht der Dame nach. DaS ist meine jahre-
lange Freundin."

Der andere dreht sich ruhig um:

„Entschuldigen Sie schon, Sie werden recht haben, aber die Dame
ist außerdem noch meine jahrelange Frau." J. H. R.

SPÄTER HERBST 1 931

Der Herbstwind weht durch leere Hosentaschen
— Der Stoff, aus dem sie sind, ist nämlich auch schon dünn —
Man trägt heut selten mehr ein Portemonnaie darin
und pflegt am Geldbegriff nur negativ zu naschen.

Die Blätter wirbeln... Manches kann nicht mehr
und klebt am Boden, irgendwie dort festgepappt.
Reparationen werden zwar nicht mehr berappt,
und trotzdem geht's im Wirtschaftsleben quer...

Es pfeift ein bißchen oben in der Luft
und Drehkamine sind beinah in Rotation.

Sie kommen nie ganz rum. Wir wissen schon:
das bißchen Drehversuch ist bald verpufft...

Bei uns ist eben alles nur der alte Dreh...

Ach, wie sie jedesmal von neuem hoffen!-

Vielleicht steht hinten doch noch wo ein Türchen offen
für: falls es vorn nicht geht-Bald kommt auch Schnee.

Walther G. F. L i e r k e.


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