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Friesingbauern hin. Sie galt als ein Friejing-
kind von da an; kein Wort dürft inan reden
von Dudenholt. Selbstmörder scharrt man hier
wie Hunde an der Mauer ein. . .

Da liegt auch so einer, rechts von der
Pforte, es ist kein Kreuz daraus: Hinnerk
Wedekind liegt da, der seinen Hos verjuxt hat.
Die Wedekinde sind seit dem Herzog Heinrich
hier im Land, immer aus einem Hos. Der hätte
auch nicht in die Stadt gepaßt, und Taglöhner
werden, das lag dem Hinnerk nicht. So schoß
er sich tot. Das war am Ende ganz richtig
so, mögen die Leute auch reden. Aber Blumen
hat er aus seinem Stück Erde wie jeder andere,
Herr, das können sie mir nicht verbieten ...

Gesche Dudenholt hals mir pflanzen, aber ich
habe ihr nicht gesagt, wer darunter liegt. „Das
ist ein Garten, Gesche, habe ich ihr gesagt. Da
wollen wir alle Blumen ausprobieren, die es
gibt, und so haben wir Rosen gepflanzt und
Schneeglöckchen und Reseda, wie es gerade an
der Zeit gewesen ist.

Auch in die Kirche durste Gesche Dudenholt
nicht mit mir. Kennen Sie die Kirche, Herr?
Warten Sie, ich schließe aus. . . Ja, das ist
ein großer Schlüssel, 400 Jahre steht die
Kirche an diesem Fleck. Hier haben sie schon
gesessen, die Bauern von Wilsede und EgeStors
und den anderen Dörfern herum, als die
Schweden im Land gewesen sind und die Katho-
lischen, die haben ja beide in den Dörfern ge-
brannt. Mit bcm Wulssbauern sind sie nicht

alle mitgegangen von hier, der damals im Cellc-
schen sich mit den Soldaten herumgeschlagen
hat. Es gibt auch Vorsichtige unter den Dick-
köpsen hier im Land. Aber von den FriesingS
steht's im Kirchenbuch, die zogen alle Monat
aus und kamen mit neuen Sachen zrück, mit
Lederwämsen und eisernen Hüten — und ein
Becher steht noch heute bei den FriesingS aus
der DönS, er ist inan nur auS Zinn, aber der
stammt auS dieser Zeit... Einer der hieß wie
ich, Barken Hofs, von Timmerloh her, von
meinem blrgroßvater vielleicht der Urgroßvater
wieder, den haben sie in Soltau ausgehängt,
weil er einen Marodeur vom Hofe schmiß...
Ja — sie haben einen Hos gehabt die Hosss
von meinem Anhang her . ..

Wie ich dann zu den Toten gekommen bin?
— Ich bin gerne bei den Toten, junger Herr —
genügt das nicht? Das ist nun 30 Jahre, ja ...

Vor 13 Jahren war Gesche Dudenholt noch
hier...

Ich habe das Geschekind gern gehabt, Herr,
glauben Sie das einem alten Mann ...

Und sie haben geredet, i ch habe schuld ge-
habt. Was ist das für ein Unsinn! Aber so
sind sie, die Leute hier im Land, und waS mit
den Toten zu tun hat, da lassen sie die Finger
von weg...

„Er hat sie immer aus den Kirchhof geholt,
der Barken Hoff", haben sie gesagt, „daS
durste nicht angehen — was hat ein Kind auf
dem Kirchhof zu tun? Er ist ja so ein kölni-

scher Kauz, der Barken Hoss, rein Angst und
bange wird den Kindern vor ihm — nun hat
er auch die Gesche Friesing ganz daasig ge-
macht ... Wißt ihr, waS er gemacht hat mit
der Gesche, haben sie gesagt: I e t a n z t hat
er mit ihr, i n d e r Kirche — er ist ja wohl
ganz verrückt, der alte Kerl — daS ist ja bei-
nahe wie eine Beleidigung für den Pastor und
den lieben Gott..." Das hätt nicht sollen sein,
haben sie gesagt...

Aber sie haben mir mein Amt gelaßen, eö
findet sich so leicht keiner dafür.

Ja, Herr: Sie sollen das wissen!

Die Gesche hat sehen wollen, wie es in der
Kirche aussah. WaS sollte ich ihr sagen, daß
sie nicht hineingedurft hat mit inir ...

Es ist sehr schön drin, Herr, ich habe hier
selber oft gesessen, oben auf der Galerie, wenn
die Sonne abends durch das große Fell,rer
kommt. Das Licht fällt dann hier herein, als
wenn man es anfassen könnte, so ganz hell
und still.

An so einem Tag habe ich die Kirche aus-
geschlossen — und als das Geschekind die Sonne
gesehen hat, da hat es mich losgelassen und ist
auf die Galerie gegangen — und hat in dein
Licht von dem Fenster angefangen zu tanzen.
Nur ein paar Schritte, hierher und dorthin ein
paar Schritte — glauben Sie mir, junger
Herr, daß ich ihrS nicht Hab verbieten können?

Ganz leise hat daS Geschekind von oben zu
mir gesagt: „Onkel...", hat eS gesagt, wenn
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Hermann Holthoff: Gulliver
P. Erkens: Materialismus
Kurt Miethke: Dreihundert Mark Belohnung
 
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