Dreihundert Mark Belohnung
Von KurtMiethke
Die „Blaue Gans" in Hamburg ist ein gutgehendes Lokal und Martin
Keez ein Wirt, der sein Geschäft versteht. Von der Abenddämmerung
bis in die Morgendämmerung steht er hinter seiner Theke und verkauft
Bier, Rum und Kähm. Aber nachmittags hat er seine Ruhe. Da
kommen nur selten mal Gäste, viel zu tun und viel zu verdienen gibt
eS dabei nicht.
Neulich, gegen drei blhr nachmittags, kam einer, der einen Leberfleck
hatte, ln die „Blaue Gans". Er sah so nervös und verdattert aus, daß
Martin Keez am liebsten laut aufgelacht hätte. Der Gast setzte sich hin,
nicht ohne vorher den Wirt mit einer kleinen Verbeugung begrüßt zu
haben, und sah nach der Uhr, die über dem Schanktisch hing.
„Geht Ihre Uhr richtig?" fragte er.
„Ja, es ist genau drei Uhr und zwei Minuten."
„Dem Himmel sei Dank", seufzte der Gast erleichtert, „dann habe ich
ja noch Zeit. Wie rveit ist eS denn noch bis zu den Landungsbrücken?"
„Na, so fünf, sechs Minuten."
„Gut, gut. Dann geben Sie mir bitte ein großes Helles. Ich muß
nämlich um fünf Uhr auf dem Dampfer sein, ich wandere nämlich
aus, ja."
„Wo soll's denn hingehen?" fragte Keez, als er das Glas vor seinen
Gast stellte.
„Nach Chile, ja, nach Chile. ,Jettchen MaczinSk? heißt der Dampfer,
komischer Name, nicht wahr?"
Der Gast zündete sich eine Zigarre an, und als er die Streichhölzer
wieder in seine Rocktasche versenkte, machte er plötzlich: „Dh!". Und
zog ein seltsames Ding daraus hervor, das er auf den Tisch legte. „Das
habe ich in der Hetzerei ganz vergessen, na, so was Blödes."
Er paffte aufgeregt an seiner Zigarre und murmelte: „Was mache
ich nur damit? DaS ist aber doch dämlich."
Martin Keez war herangetreten und betrachtete das Ding. „Was
ist denn das?" fragte er neugierig.
„DaS habe ich gefunden", sagte der Gast, „gestern abend in der
Mönkebergstraße. Ich wollte eS heute früh aufs Fundbüro bringen,
habe aber überhaupt nicht mehr daran gedacht. Zu dumm!"
Martin Keez hatte das Ding in seine Hand genommen und beäugte
eS kritisch. „Sieht chinesisch aus, oder jedenfalls riecht's nach Asien."
„Ja, das wird wohl japanisch oder sowas sein. Wer daS wohl ver-
loren hat!"
Martin Keez meinte: „DaS scheint Elfenbein zu sein. Geschnitztes
Elfenbein. Die Figur da in der Mitte ist — glaube ich — einer, den
sie Buddha nennen. Der sitzt unter einem Baum voller Blüten. Sie
— das Ding geht ja auf!"
Der Gast stand auf und streckte seinen Kopf vor. „Wahrhaftig",
sagte er. „Was ist denn da drin? Visitenkarten? Ach, das ist wohl bloß
ein Disitenkartentäschchen. Zeigen Sie mal her, was draufsteht!"
„Enrico di Medici, New Aork", las Keez vor.
„Schade", sagte der Gast, „wenn ich Zeit hätte, könnte ich von dem
Medizinmann sicher eine Belohnung für das Ding kriegen. Wissen Sie
was — haben Sie nicht eine Zeitung? Vielleicht steht schon eine Anzeige
drin!"
Martin Keez holte die Morgenblätter und sah sie durch. Plötzlich hieb
er auf den Tisch und sagte: „Alle Wetter! Wissen Sie was? Sie
haben Glück gehabt. Hier steht dreihundert Mark Belohnung! Ver-
loren wurde ein Visitenkartenbehälter aus Elfenbein, mit einer Schnitzerei,
die Buddha unter dem Lotusbaum darstellt. Abzugeben bei Enrico di
Medici, Hotel Aldebaran."
„Wieviel Belohnung?" fragte der Gast.
„Dreihundert Mark, MenschenSkind! Die können Sie noch gebrauchen.
Nun aber los, ins Hotel Aldebaran!"
„Nein, nein, das mache ich nicht. Dann komme ich nicht mehr recht-
zeitig zum Dampfer, eS ist ja schon gleich halb vier. Wollen Sie nicht
mal im Hotel Aldebaran anrufen und dem Mann Bescheid sagen?"
Martin Keez tat ihm den Gefallen und erfuhr, daß der Herr di
Medici ausgegangen sei und vermutlich nicht vor Mitternacht zurück-
kommen würde.
„Na, sehen Sie! Wie gut, daß ich nicht gleich losgelaufen bin!"
seufzte der Gast erleichtert.
„Wie wollen Sie denn nun zu Ihrem Gelde kommen?" fragte
Martin Keez lauernd.
„Wenn ich eS nur schon wüßte!"
„Ich weiß", sagte er dann freudestrahlend. „Ich gehe sofort zur
Hafenpolizei und gebe eS da ab."
„Sie Idiot!" schrie Keez. „Nehmen Sie mir's nicht übel, aber das
wäre dumm. Bilden Sie sich vielleicht ein, die Hafenpolizei gibt Ihnen
die dreihundert Mark? Im günstigsten Falle kriegen Sie das Geld nach
ein paar Monaten nachgeschickt. Nein, das Geld müsten Sie noch
kriegen."
Er ging einige Male in der Wirtsstube auf und ab, dann hellte sich
fein Gesicht auf. „Will Ihnen einen Vorschlag machen. Sie lassen
mich an der Geschichte was verdienen, und ich besorge den Kram."
„Wie meinen Sie das?" (Fortsetzung Seite 713>
P. E rkens
Materialismus
„Net wahr. Gnädige, so a paar Roserln verschönern glei
a ganz' Zimmer!"
„Freili, aber a Kalbshax'n tat's halt no mehr!"
710
Von KurtMiethke
Die „Blaue Gans" in Hamburg ist ein gutgehendes Lokal und Martin
Keez ein Wirt, der sein Geschäft versteht. Von der Abenddämmerung
bis in die Morgendämmerung steht er hinter seiner Theke und verkauft
Bier, Rum und Kähm. Aber nachmittags hat er seine Ruhe. Da
kommen nur selten mal Gäste, viel zu tun und viel zu verdienen gibt
eS dabei nicht.
Neulich, gegen drei blhr nachmittags, kam einer, der einen Leberfleck
hatte, ln die „Blaue Gans". Er sah so nervös und verdattert aus, daß
Martin Keez am liebsten laut aufgelacht hätte. Der Gast setzte sich hin,
nicht ohne vorher den Wirt mit einer kleinen Verbeugung begrüßt zu
haben, und sah nach der Uhr, die über dem Schanktisch hing.
„Geht Ihre Uhr richtig?" fragte er.
„Ja, es ist genau drei Uhr und zwei Minuten."
„Dem Himmel sei Dank", seufzte der Gast erleichtert, „dann habe ich
ja noch Zeit. Wie rveit ist eS denn noch bis zu den Landungsbrücken?"
„Na, so fünf, sechs Minuten."
„Gut, gut. Dann geben Sie mir bitte ein großes Helles. Ich muß
nämlich um fünf Uhr auf dem Dampfer sein, ich wandere nämlich
aus, ja."
„Wo soll's denn hingehen?" fragte Keez, als er das Glas vor seinen
Gast stellte.
„Nach Chile, ja, nach Chile. ,Jettchen MaczinSk? heißt der Dampfer,
komischer Name, nicht wahr?"
Der Gast zündete sich eine Zigarre an, und als er die Streichhölzer
wieder in seine Rocktasche versenkte, machte er plötzlich: „Dh!". Und
zog ein seltsames Ding daraus hervor, das er auf den Tisch legte. „Das
habe ich in der Hetzerei ganz vergessen, na, so was Blödes."
Er paffte aufgeregt an seiner Zigarre und murmelte: „Was mache
ich nur damit? DaS ist aber doch dämlich."
Martin Keez war herangetreten und betrachtete das Ding. „Was
ist denn das?" fragte er neugierig.
„DaS habe ich gefunden", sagte der Gast, „gestern abend in der
Mönkebergstraße. Ich wollte eS heute früh aufs Fundbüro bringen,
habe aber überhaupt nicht mehr daran gedacht. Zu dumm!"
Martin Keez hatte das Ding in seine Hand genommen und beäugte
eS kritisch. „Sieht chinesisch aus, oder jedenfalls riecht's nach Asien."
„Ja, das wird wohl japanisch oder sowas sein. Wer daS wohl ver-
loren hat!"
Martin Keez meinte: „DaS scheint Elfenbein zu sein. Geschnitztes
Elfenbein. Die Figur da in der Mitte ist — glaube ich — einer, den
sie Buddha nennen. Der sitzt unter einem Baum voller Blüten. Sie
— das Ding geht ja auf!"
Der Gast stand auf und streckte seinen Kopf vor. „Wahrhaftig",
sagte er. „Was ist denn da drin? Visitenkarten? Ach, das ist wohl bloß
ein Disitenkartentäschchen. Zeigen Sie mal her, was draufsteht!"
„Enrico di Medici, New Aork", las Keez vor.
„Schade", sagte der Gast, „wenn ich Zeit hätte, könnte ich von dem
Medizinmann sicher eine Belohnung für das Ding kriegen. Wissen Sie
was — haben Sie nicht eine Zeitung? Vielleicht steht schon eine Anzeige
drin!"
Martin Keez holte die Morgenblätter und sah sie durch. Plötzlich hieb
er auf den Tisch und sagte: „Alle Wetter! Wissen Sie was? Sie
haben Glück gehabt. Hier steht dreihundert Mark Belohnung! Ver-
loren wurde ein Visitenkartenbehälter aus Elfenbein, mit einer Schnitzerei,
die Buddha unter dem Lotusbaum darstellt. Abzugeben bei Enrico di
Medici, Hotel Aldebaran."
„Wieviel Belohnung?" fragte der Gast.
„Dreihundert Mark, MenschenSkind! Die können Sie noch gebrauchen.
Nun aber los, ins Hotel Aldebaran!"
„Nein, nein, das mache ich nicht. Dann komme ich nicht mehr recht-
zeitig zum Dampfer, eS ist ja schon gleich halb vier. Wollen Sie nicht
mal im Hotel Aldebaran anrufen und dem Mann Bescheid sagen?"
Martin Keez tat ihm den Gefallen und erfuhr, daß der Herr di
Medici ausgegangen sei und vermutlich nicht vor Mitternacht zurück-
kommen würde.
„Na, sehen Sie! Wie gut, daß ich nicht gleich losgelaufen bin!"
seufzte der Gast erleichtert.
„Wie wollen Sie denn nun zu Ihrem Gelde kommen?" fragte
Martin Keez lauernd.
„Wenn ich eS nur schon wüßte!"
„Ich weiß", sagte er dann freudestrahlend. „Ich gehe sofort zur
Hafenpolizei und gebe eS da ab."
„Sie Idiot!" schrie Keez. „Nehmen Sie mir's nicht übel, aber das
wäre dumm. Bilden Sie sich vielleicht ein, die Hafenpolizei gibt Ihnen
die dreihundert Mark? Im günstigsten Falle kriegen Sie das Geld nach
ein paar Monaten nachgeschickt. Nein, das Geld müsten Sie noch
kriegen."
Er ging einige Male in der Wirtsstube auf und ab, dann hellte sich
fein Gesicht auf. „Will Ihnen einen Vorschlag machen. Sie lassen
mich an der Geschichte was verdienen, und ich besorge den Kram."
„Wie meinen Sie das?" (Fortsetzung Seite 713>
P. E rkens
Materialismus
„Net wahr. Gnädige, so a paar Roserln verschönern glei
a ganz' Zimmer!"
„Freili, aber a Kalbshax'n tat's halt no mehr!"
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