Das Märchen vom kleinen Luxus
Kavalier der Zeit
„Ansprechen würde ja schließlich nischt
kosten, aber wie leicht kann so wat in 'ne
Tasse Kaffee ausarten!"
Tristan Bernard sitzt mit einem Freunde vor
dem Cafe de la Paix, als eine bekannte Pariser
Schriftstellerin vorübergeht.
„Ah, die N.!" flüstert der Freund, „sie ist
nicht schön, aber sie schreibt herrlich."
„Sie schreibt herrlich!" nickt Bernard, „waö
ich am meisten bewundere, ist ihre fabelhafte
Lebensunkenntnis."
ngeige
Im „.... er Tageblatt" stand folgende An-
zeige:
„Das schönste Geschenk ist die
Vergrößerung Ihrer Familie.
Für saubere und prompte Ausführung sorgt
R. 3£., Photograph."
ALLGEMEINER ÜBERBLICK
VON P. SCHAAF
Zuerst ist alles schön und gut.
Dann kommen die Krankenkassen.
Dann kommt, was in der Wiege ruht.
So entstehen die Menschenmassen.
Die Menschenmassen gehn fürbaß,
verbrauchen ihre Gehälter,
die einen für dies, die andern für das,
im Winter wird es kälter.
Im Sommer wird es wieder warm,
im Herbst schon etwas minder.
Fest steht und treu der Feldgendarm
und achtet auf die Kinder.
Es war einmal ein reicher Mann, der hatte
in jenen Jahren, wo die wundersame Fee In-
flation ihren ganzen Zauber walten ließ und
das Vermögen der Leute bis auf Heller und
Pfennig erriet, genau so viel Geld, wie er besaß,
verloren. Don da an träumte der Mann, der
nicht nur arm, sondern auch alt und grau ge-
worden war, in mancher Nacht von einem
grünen Zweig, und am Tage versuchte er, auf
den grünen Zweig zu kommen, der nachts in
seinen Träumen da war; aber er sah bald ein,
daß er damit kein Glück haben würde.
Nur seine Frau, die mit ihm weiß geworden
war, wollte die Hoffnung nicht aufgeben, und
sie sagte manchmal, wenn sie im Winter die
Hände an den kalten Ofen hielt: „Nur einen
kleinen Luxus, einen ganz kleinen Luxus — den
sollten wir uns noch einmal gestatten können,
das möcht' ich noch erleben."
Der arme alte Mann strich dann über ihr
Haar und sagte: „Es ist doch schon ein kleiner
Luxus, daß wir in einer Zweizimmerwohnung
wohnen dürfen und niemand weiß, wie schlecht
es uns geht."
Heimlich aber fuhr er, wenn er im schwarzen
Wachstuchumhang auf seinem klapprigen Fahr-
rad Botengänge machte und ein paar Pfennige
verdiente, zu den Wohlfahrtsämtern und ver-
suchte, um eine Unterstützung zu betteln. Aber
wohin er kam und so oft er kam, all die langen
Jahre hatte man ihn abgewiesen und ihn aus-
gelacht: „Aber Sie sind doch der reiche Mann
mit der Zweizimmerwohnung!" hatte man zu
ihm gesagt, „ja, wo denken Sie hin! Da gibt
es noch viel Ärmere als Sie!"
So kam der November des Jahres 1931
und am frühen Abend eines kalten Tages saß
der arme alte Mann an seinem Schreibtisch
und rechnete. Er kritzelte eilig auf dem Papier
herum, denn sein Licht, die Sonne, wollte auS-
gehen. Die Kohlen vom vorvorigen Winter
waren noch nicht bezahlt; den Wintermantel
auf dem Leihamt auszulösen, kostete vierzehn
Mark und fünfzig Pfennig mehr, als er hatte,
und die Miete für den verflossenen Monat war
auch noch nicht beglichen. Die dunklen Zahlen
begannen in der Dunkelheit zu verschwimmen.
Da stand der arme alte Mann auf, ging zu
seiner Frau, strich ihr über daS dünne silberne
Haar und sagte: „Ich glaube, den kleinen
Luxus werden wir nicht mehr erleben. Ich
glaube, die Hoffnung dürfen wir uns für immer
aus dem Sinn schlagen."
Aber als er dies gesagt hatte, läutete es an
der Tür, und der gute Alte wußte mit einmal,
daß jetzt etwas geschehen würde. Er ging zur
Tür und öffnete sie, und da stand ein Mann
und reichte ihm ein Schreiben, darin hieß eS:
„Laut Regierungsbeschluß hat jeder Mieter
(Fortsetzung Seite 728)
Diskretion
„Aber sagn's es um Gott's willen net weiter, Frau Huaber, i hab' ja selber dem,
der sei Ehrenwort d'rauf geb'n hat, mei Ehrenwort geb'n, daß dös diskret bleibt.
726
Kavalier der Zeit
„Ansprechen würde ja schließlich nischt
kosten, aber wie leicht kann so wat in 'ne
Tasse Kaffee ausarten!"
Tristan Bernard sitzt mit einem Freunde vor
dem Cafe de la Paix, als eine bekannte Pariser
Schriftstellerin vorübergeht.
„Ah, die N.!" flüstert der Freund, „sie ist
nicht schön, aber sie schreibt herrlich."
„Sie schreibt herrlich!" nickt Bernard, „waö
ich am meisten bewundere, ist ihre fabelhafte
Lebensunkenntnis."
ngeige
Im „.... er Tageblatt" stand folgende An-
zeige:
„Das schönste Geschenk ist die
Vergrößerung Ihrer Familie.
Für saubere und prompte Ausführung sorgt
R. 3£., Photograph."
ALLGEMEINER ÜBERBLICK
VON P. SCHAAF
Zuerst ist alles schön und gut.
Dann kommen die Krankenkassen.
Dann kommt, was in der Wiege ruht.
So entstehen die Menschenmassen.
Die Menschenmassen gehn fürbaß,
verbrauchen ihre Gehälter,
die einen für dies, die andern für das,
im Winter wird es kälter.
Im Sommer wird es wieder warm,
im Herbst schon etwas minder.
Fest steht und treu der Feldgendarm
und achtet auf die Kinder.
Es war einmal ein reicher Mann, der hatte
in jenen Jahren, wo die wundersame Fee In-
flation ihren ganzen Zauber walten ließ und
das Vermögen der Leute bis auf Heller und
Pfennig erriet, genau so viel Geld, wie er besaß,
verloren. Don da an träumte der Mann, der
nicht nur arm, sondern auch alt und grau ge-
worden war, in mancher Nacht von einem
grünen Zweig, und am Tage versuchte er, auf
den grünen Zweig zu kommen, der nachts in
seinen Träumen da war; aber er sah bald ein,
daß er damit kein Glück haben würde.
Nur seine Frau, die mit ihm weiß geworden
war, wollte die Hoffnung nicht aufgeben, und
sie sagte manchmal, wenn sie im Winter die
Hände an den kalten Ofen hielt: „Nur einen
kleinen Luxus, einen ganz kleinen Luxus — den
sollten wir uns noch einmal gestatten können,
das möcht' ich noch erleben."
Der arme alte Mann strich dann über ihr
Haar und sagte: „Es ist doch schon ein kleiner
Luxus, daß wir in einer Zweizimmerwohnung
wohnen dürfen und niemand weiß, wie schlecht
es uns geht."
Heimlich aber fuhr er, wenn er im schwarzen
Wachstuchumhang auf seinem klapprigen Fahr-
rad Botengänge machte und ein paar Pfennige
verdiente, zu den Wohlfahrtsämtern und ver-
suchte, um eine Unterstützung zu betteln. Aber
wohin er kam und so oft er kam, all die langen
Jahre hatte man ihn abgewiesen und ihn aus-
gelacht: „Aber Sie sind doch der reiche Mann
mit der Zweizimmerwohnung!" hatte man zu
ihm gesagt, „ja, wo denken Sie hin! Da gibt
es noch viel Ärmere als Sie!"
So kam der November des Jahres 1931
und am frühen Abend eines kalten Tages saß
der arme alte Mann an seinem Schreibtisch
und rechnete. Er kritzelte eilig auf dem Papier
herum, denn sein Licht, die Sonne, wollte auS-
gehen. Die Kohlen vom vorvorigen Winter
waren noch nicht bezahlt; den Wintermantel
auf dem Leihamt auszulösen, kostete vierzehn
Mark und fünfzig Pfennig mehr, als er hatte,
und die Miete für den verflossenen Monat war
auch noch nicht beglichen. Die dunklen Zahlen
begannen in der Dunkelheit zu verschwimmen.
Da stand der arme alte Mann auf, ging zu
seiner Frau, strich ihr über daS dünne silberne
Haar und sagte: „Ich glaube, den kleinen
Luxus werden wir nicht mehr erleben. Ich
glaube, die Hoffnung dürfen wir uns für immer
aus dem Sinn schlagen."
Aber als er dies gesagt hatte, läutete es an
der Tür, und der gute Alte wußte mit einmal,
daß jetzt etwas geschehen würde. Er ging zur
Tür und öffnete sie, und da stand ein Mann
und reichte ihm ein Schreiben, darin hieß eS:
„Laut Regierungsbeschluß hat jeder Mieter
(Fortsetzung Seite 728)
Diskretion
„Aber sagn's es um Gott's willen net weiter, Frau Huaber, i hab' ja selber dem,
der sei Ehrenwort d'rauf geb'n hat, mei Ehrenwort geb'n, daß dös diskret bleibt.
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