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N D

193 1 / NR. 48

PSYCHO M )E T IR II IE

Etwas stimmte nicht in der ForschungS-
anstalt für Psychometrie. Die bisherigen For-
schungsergebnisse standen in einem bedauerns-
wert kläglichen Verhältnis zur Höhe der
Kosten, die die Anschaffung der teuren Appa-
rate verursacht hatte. Wunderbar waren sie
— diese psychometrischen Apparate, wahre
Gefühlsseismographen: Das Erröten, das über
die Wangen eines Mädchens huschte, sollte
genügen, um den großen Zeiger des Seelen-
messerS aus seiner Ruhelage im Nullpunkt zu
bewegen. Darum erhoffte man auch so Außer-
ordentliches von dieser Apparatur, die eine Er-
findung des bekannten Experimentalpsycho-
logen Professor Donnerhall war. Man er-
hoffte außer den nächsten theoretischen Resul-
taten eine ungeheure, praktische Nutzanwen-
dung. Jeder Mensch würde von nun an seine
Gefühlsstärke wissen, einwandfrei festgesiellt
durch eine vorurteilslose und unparteiische Ma-
schinerie, — er würde verpflichtet sein, sie bei
amtlichen Eintragungen ebenso anzugeben wie
Berus, Alter und Religion. Der Vermerk
35 ps. bedeutete in dem Falle 35 psychometrische
Einheiten. Heiratsgesuche würden künftig etwa
auSsehen: „Witwe in vorgeschrittenen Jahren,
68 ps., sucht gleichwertigen Lebensgefährten."
Die bedauerlichen Jrrtümmer früherer Zeiten,
die so oft zu Katastrophen führten, nämlich
daß ein gefühlsüberschäumender Casanova einer
frigiden bindine kopuliert wurde, waren in Zu-
kunft völlig ausgeschlossen.

Darüber hinaus würde die psychometrische
Methode bei der Berufsauswahl unschätzbare
Dienste leisten. Seelische Energien konnten so-
zusagen mit geringsten Verbrennungsrückstän-
den rationell verfeuert werden. Es durfte keine
Nebenprodukte mehr geben, bzw. keine Neben-
produktiven mehr: Ein Mann durfte nicht im
Hauptberuf Darmspezialist sein und nebenher
überschüssige Gefühle in vaterländischen Dramen
deponieren. „Der rechte Mann an den rechten
Platz!" — das war die simple Lehre von Pro-
fessor Donnerhall, und seine Apparate schienen
zu verbürgen, daß diese schlichte Doktrin bald
zum Gesetz werden würde. Es gab dann keine
Berufswahl und keine Berufssorgen inehr. Ein
Mann von 1 ps. z. B. mußte Staatsanwalt,
90—100-ps.Menschen mußten Künstler wer-
den. So allein war eine rationelle Wirtschaft
möglich. „Hemmung", „Komplexverdrängung"
würden in einem Menschenalter unbekannte

VON N. DYMION

Begriffe sein. Kunst war nicht mehr Abfalls-
produkt, sondern die voll umgesetzte Energie
subtilster lind dabei stärkst empfindender Seelen.

So dachte Professor Donnerhall, und diesem
Gedanken gab er bei der Eröffnung der ersten
psychometrischen Versuchsanstalt, — der in
wenigen Jahren Hunderte von gleichen An-
stalten in allen, auch den kleinsten Städten
folgen sollten — beredten Ausdruck. Das große
Auditorium war entzückt und erschüttert 311-
gleich von der neuen Wahrheit, — und nie-
mand bemerkte zum Glück, daß, als Professor
Donnerhall mit zitternder Stimme, mit den
Tränen kämpfend, von dem „Hochgefühl"
sprach, das ihn in diesem hehren Moment be-
seele, der Zeiger des Psychometers hinter ihm
langsam auf 0,4 stieg und dann wieder zurück-
sank.

Schon in den nächsten Tagen ging nian mit
Eifer an die Versuche heran — und, wie ge-
sagt, die Erfolge waren kläglich. Junge Braut-
leute, die zur Trauung gehen wollten, stellte
inan vor „des Lebens schönster Feier" an die
psychometrische Apparatur — der Zeiger

*

Klatschsucht H. Eisbein

wackelte ein bißchen, aber er bewegte sich nicht
vom Nullpunkt. Man holte die Diva, mit der
keine Lebensversicherung einen Kontrakt schließen
wollte, weil sie als Desdemona allabendlich so
erschütternd echt starb, daß das Publikum
jedesmal das Schlimmste befürchtete und auf-
atmete, wenn sie, für den Beifall dankend, vor
dem Vorhang erschien. Man legte die Diva
vor das Psychometer. Sie starb aus Leibes-
kräften. Die Seelenkräfte waren knapp 7 ps.
— Man holte den Tenor, von dem inan keine
Schallplatten anfertigen konnte, weil beim
Klang seiner Stimme die härtesten Platten
weich wurden und auSeinanderflosfen. Er sang
vor dem Psychometer „Ich glaub nie mehr an
eine Frau . .." so herzinnig, daß Schweiß und
Tränen in trauter Eintracht über sein Gesicht
rannen, lind daß die 200 Meter vom Tatort
entfernte Klosettfrau des Instituts den Gedan-
ken faßte, fürderhin den Welt- und LokuS-
freuden zu entsagen und als Nonne ihr Dasein
zu beschließen. Als man den Sänger ohn-
mächtig davontrug, zeigte der unbarmherzige
Apparat die Ziffer 2,3 ...

Professor Donnerhall war ratlos und ver-
zweifelt. Wo waren die starken Gefühle? Erst
bei 70 ps. begannen die wahren Hochgefühle
von O—10 ps. zeigte die Skala den umfassen-
den Vermerk „Primitivgefühle". Ein treuer
Hund mußte auf solche Ziffern kommen, wenn
er bei der Wiederkehr seines Herrn schweif-
wedelnd bellte. Donnerhall fühlte seine Lehre
lind damit sein Leben, das einzig ihr geweiht
war, auf dem Spiele stellen.

Aus Mitleid mit dem Alten versuchten seine
Assistenten in stillen Stunden, mit stärkeren
Mitteln stärkere Effekte zu erzielen. In einer
Nacht, als der Chef abwesend war, griffen jic
zum stärksten Mittel: Sie fuhren Sekt auf
und feierten eine Orgie, eine „Zweckorgie" so-
zusagen. Revuegirls wurden engagiert — jie
tillerten, daß die Muskeln knirschten. Aber wie-
wohl die Bekleidung der JNädchen bequem in
einem Brillenfutteral Platz gefunden hätte, stieg
der Zeiger der Gefühle matt und lustlos auf

16,9-

Die Lage war schier hoffnungslos, und eS
schien, als sollten ewig sich Casanovas mit
blndinen paaren — und als sollten ewig zum
Generalsuperintendanten bestimmte Männer als
Forstgehilfen im Nebenfach Lyrik produzieren.
Da kam Professor Donnerhall ein letzter ret-

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Register
H. Eisbein: Klatschsucht
N. Dymion: Psychometrie
 
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