Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
vorbeifuhr. Die großen Schraubenflügel sahen
weit aus bem Wasser.-

Der Wächter Martinsen hatte bie Aussicht
auf ben toten Schiffen. Er war ein älterer,
unfroher Mann, ber nur mürrisch nickte, wenn
sich bie Hanbwerker bei ihm melbeten, bie tags-
über auf biefem unb jenem Dampfer zu tun
hatten. In ber Nacht machte er allein feinen
Runbgang, gewissenhaft unb immer zur glei-
chen Stunbe.

Auf einem bieser Gänge nun war eS, baß
Martinfen an Borb ber „Euböa" langes, kla-
genbeS Hunbeheulen vernahm. Er tappte lange
mit ber Blenblaterne burch baS Schiff, bis er
oben im Kajütgang bas abgemagerte Tier
fanb, wie es mißtrauisch nach ihm herüberäugte
unb zugleich immer wieber an ber Tür ber
KapitänSkabine kratzte. Der Wächter versuchte
es fortzulocken, hielt so, baß ber grelle Lampen-
schein barauf fiel, sein letztes Butterbrot hin.
Der Hunb schnaufte tief, aber er kam nicht.

Martinsen stellte am nächsten Morgen eine
Futterschüjsel aus bas Derbeck ber „Euböa".
Voller Genugtuung sah er nachher, baß sie
leer unb blank auf ihrem Platz stanb. Er hatte
alle Hoffnung, einen brauchbaren Wachthunb
aus ihm zu machen, unb resolut — wie er
tt>ar — begann er noch an biefem Tage mit
einem kleinen Derschlag in seiner Liegerbube.

Aber wie anberS lief alles.

Zurr wehrte sich grimmig gegen jebe An-
näherung; ber ruhige, etwas einfältige Mar-
tinsen erschrak vor bem Flackern, baS in ben
Augen beS Tieres lag. Gebulbig versuchte er

Sprüche zum Jahresanfang

Wenn ein Anfang wirklich ein Anfang

wär'

Und wär' nicht von vielerlei Enden

schwer.

Wenn die Menschen sähen: Alles
dreht sich im Rreise—

Da würde mancher, der laut ist, leise.

-X-

Ein Zahr ist eine Kleinigkeit
Und ist kaum wert, daß man viel

drum schreit.

Die Schreier, sie stecken tief in der Zeit,
Sind weit von Leid und Ewigkeit.

H. A. T.

3

rs am nächsten Tag noch einmal mit ber
Futterschüssel, aber jetzt kam Zurr nicht mehr
nach vorne. Am Abenb stanb baS Futter noch
so unberührt wie am Morgen. Aus ber Brücke

aber hörte Martinsen ihn klagen.-

In einer Nacht würbe auch bie Patrouille
auf ber Polizeibarkasse zum ersten Male auf-
merksam aus ben Hunb. Die Leute sahen oben
an ber Reeling einen Schatten hin- unb her-
huschen; als bann ber weiße Lichtstrom beS
Scheinwerfers über bie toten Schiffe rann, er-
scholl von ber „Euböa" her ein heiseres Bellen.
Der Kegel faßte einen bürren, rauhhaarigen
Hunb, ber sich wie toll gebärbete. Noch lange
barauf, als bie aufgelegten Schiffe schon längst
wieber als eine bunkle Masse am Horizont
stanben, hörten ihn bie Wachtleute. Sie waren
alle sehr schweigsain; nur einer sagte: „Ich
Hab mal so ein Bilb gesehen vom Dreißig-
jährigen Krieg. Da stanb ein Hunb über ber

Branbstätte ... genau so . . ."

*

Der Lieger Martinsen ging nur noch mit
einem geheimen Grauen auf bie „Euböa". Zu-
weilen nämlich stanb baS Tier in einem Nieber-
gang, wo ihn in'emanb vermuten konnte, gab
keinen Laut unb verfolgte ihn nur mit ben
brennenben Augen eines Wolfes. Es schien
^^SEkömNimnier" in

. Mts-

Martinsen oft

/J

einer
Register
Wilhelm Thöny: Pariser Brücke
H. A. T.: Sprüche zum Jahresanfang
 
Annotationen