etwas sanderbar, er ist so gut und so schlecht
wie wir alle, so zuverlässig und so unzuver-
lässig wie wir alle, aber er ist treu und be-
ständig. Er ist eben ein Freund.
Ich war müde, müde von der Fahrt, müde
vom Leid, so war ich froh, daß ich erwartet
wurde.
Der Bahnhof hat zwei Auögänge und er
erwartete mich zweifellos am HauptauSgang;
ich aber, als ich ankam, ging durch den Seiten-
auSgang und um das Gebäude herum, ich
wollte sehen, wie er mich erwartete.
Ich sah ihn sofort, da stand er, etwas ab-
seits von den anderen Wartenden. Seine große,
hagere Gestalt war leicht vornübergeneigt, der
Hut ein wenig aus der Stirn geschoben, die
Hände hielt er in den Taschen; ich sah gerade
sein Profil, die Augen konnte ich selbstverständ-
lich nicht sehen. Seine ganze Haltung drückte
hige, aufmerksame, bestimmte Erwartung
ru
auS; so also, überkam es mich, ist das: er-
wartet werden. Ich war voll Dankbarkeit,
ging auf ihn zu und berührte seinen Arm.
Ach, wir sind nicht reich an Gebärden und
so hilflos, wenn uns die Worte versagen. Auch
jemandes Arm berühren, ist nur wenig, aber
ich tat eS, ich versuchte meine ganze Zärtlich-
keit in diese Berührung zu legen, ich weiß
nicht, ob er eS empfand, er wandte sich um,
wir gaben uns die Hände und sagten Worte
deS Grußes, ich war voll einer großen, dank-
baren Freude darüber, daß ich erwartet wurde.
Wir schritten eine Weile durch die Straßen
und sprachen, dann verließ er mich und ich
ging zu Johanna, die von meiner Ankunft
wußte; mein Freund hatte sie verständigt, auch
das hatte er für mich getan. Ich kannte. Jo-
hanna seit vielen Jahren, ich weiß nicht, ob
wir befreundet sind, wir verabreden uns nie
und begegnen uns selten, aber jedeSmal, wenn
uns der Zufall zusammenführt, sind wir sehr
froh. Johanna ist schon, ich sehe gern in ihr
Gesicht, sie ist nicht mitteilsam, aber eS ist gut,
neben ihr zu schweigen. Sie ist viel jünger als
ich, ich betrachte sie so wie eine Schwester. Ich
habe keine Schwester, aber Johanna entspricht
der Vorstellung davon, wie es wäre, eine
Schwester zu haben; ich empfinde sie als hilf-
reich, obzwar ich bis dahin noch niemals ihre
Hilfe in Anspruch genommen hatte. Ich bin
voll Vertrauen zu ihr.
An diesem Tage sprach sie mehr als sonst,
sie redete mir zu, vielleicht ohne eS zu wissen
und zu wollen, sicherlich fühlte sie, wie eS um
mich stand. Es war beruhigend, ihre Stimme
zu hören, wir saßen an einem Tisch, aber nicht
gegenüber, ich sah sie von der Seite an und
horchte, und endlich, als ich nicht mehr davon
loskam, daß sie ja auch eine Frau ist, fragte
ich sie. Ich fragte sie ganz einfach, wie das
sei, wenn sie jemanden liebe und dieser Jemand
Spruch
Das alte Zahr stolpert und fällt in den
Dreck,
Das junge hüpft munter darüber hin-
weg.
Das alte feufzt, das junge fchreit:
Nennt man das Anfang neuer Zeit?!
Th.
Fehler hätte, jedermann hätte doch Fehler, wie
sie diese Fehler ertrüge.
Sie wandte mir ihr Gesicht zu, ihre Augen
waren groß, ihre Stimme blieb ganz unver-
ändert, als sie mir ohne Zögern erwiderte, daß
sie ja, wenn sie jemand liebe, ihn mit seinen
Fehlern liebe, so, wie er eben sei, und daß sie
seine Fehler gar nicht als Fehler sähe.
Es überkam mich wie eine Welle von Glück;
ich saß stumm lind vermochte erst nichts zu
sagen, dann sprachen wir von anderem, viel
später erst, ganz unvermittelt, nahm ich ihre
Hand tind dankte ihr, vielleicht wußte sie gar
nicht, wofür ich ihr dankte, aber ich lvar von
einer großen, stürmischen Freude erfüllt dar-
über, daß so verziehen werden konnte.
Des Abends begleitete Johanna mich, wir
trafen uns mit meinein Freund und blieben zu
dritt. Der Freund kannte Johanna nur flüch-
tig, sie hatten sich ein einziges Mal in einer
Gesellschaft getroffen. Johanna hat ihren eige-
nen Kreis, den sie ungern verläßt und der
ganz verschieden von dem meinen ist, und da-
her kennt sie wenige von meinen Freunden. Ich
neige dazu, Menschen, die ich liebe, mitein-
ander bekannt zu machen, und man hat mich
oft davor gewarnt, das zu tun; ich gebe zu,
daß meine Neigung ein Fehler ist, sie hat mir
schon viele blnannehmlichkeiten bereitet, sie hat
mir manchen Menschen entfremdet und viele
habe ich auf diese Weise verloren; aber ich bin
nun einmal ohne Mißtrauen und kann von
meinen Neigungen nicht lassen, so haben die
Warnungen nichts gefruchtet.
Wir hatten einander nicht viel zu sagen,
aber wir saßen einträchtig, niemand war nie-
mandem fremd, als wir ausbrachen, ließ mein
Freund Johanna den Vorrang, mich zum
5
wie wir alle, so zuverlässig und so unzuver-
lässig wie wir alle, aber er ist treu und be-
ständig. Er ist eben ein Freund.
Ich war müde, müde von der Fahrt, müde
vom Leid, so war ich froh, daß ich erwartet
wurde.
Der Bahnhof hat zwei Auögänge und er
erwartete mich zweifellos am HauptauSgang;
ich aber, als ich ankam, ging durch den Seiten-
auSgang und um das Gebäude herum, ich
wollte sehen, wie er mich erwartete.
Ich sah ihn sofort, da stand er, etwas ab-
seits von den anderen Wartenden. Seine große,
hagere Gestalt war leicht vornübergeneigt, der
Hut ein wenig aus der Stirn geschoben, die
Hände hielt er in den Taschen; ich sah gerade
sein Profil, die Augen konnte ich selbstverständ-
lich nicht sehen. Seine ganze Haltung drückte
hige, aufmerksame, bestimmte Erwartung
ru
auS; so also, überkam es mich, ist das: er-
wartet werden. Ich war voll Dankbarkeit,
ging auf ihn zu und berührte seinen Arm.
Ach, wir sind nicht reich an Gebärden und
so hilflos, wenn uns die Worte versagen. Auch
jemandes Arm berühren, ist nur wenig, aber
ich tat eS, ich versuchte meine ganze Zärtlich-
keit in diese Berührung zu legen, ich weiß
nicht, ob er eS empfand, er wandte sich um,
wir gaben uns die Hände und sagten Worte
deS Grußes, ich war voll einer großen, dank-
baren Freude darüber, daß ich erwartet wurde.
Wir schritten eine Weile durch die Straßen
und sprachen, dann verließ er mich und ich
ging zu Johanna, die von meiner Ankunft
wußte; mein Freund hatte sie verständigt, auch
das hatte er für mich getan. Ich kannte. Jo-
hanna seit vielen Jahren, ich weiß nicht, ob
wir befreundet sind, wir verabreden uns nie
und begegnen uns selten, aber jedeSmal, wenn
uns der Zufall zusammenführt, sind wir sehr
froh. Johanna ist schon, ich sehe gern in ihr
Gesicht, sie ist nicht mitteilsam, aber eS ist gut,
neben ihr zu schweigen. Sie ist viel jünger als
ich, ich betrachte sie so wie eine Schwester. Ich
habe keine Schwester, aber Johanna entspricht
der Vorstellung davon, wie es wäre, eine
Schwester zu haben; ich empfinde sie als hilf-
reich, obzwar ich bis dahin noch niemals ihre
Hilfe in Anspruch genommen hatte. Ich bin
voll Vertrauen zu ihr.
An diesem Tage sprach sie mehr als sonst,
sie redete mir zu, vielleicht ohne eS zu wissen
und zu wollen, sicherlich fühlte sie, wie eS um
mich stand. Es war beruhigend, ihre Stimme
zu hören, wir saßen an einem Tisch, aber nicht
gegenüber, ich sah sie von der Seite an und
horchte, und endlich, als ich nicht mehr davon
loskam, daß sie ja auch eine Frau ist, fragte
ich sie. Ich fragte sie ganz einfach, wie das
sei, wenn sie jemanden liebe und dieser Jemand
Spruch
Das alte Zahr stolpert und fällt in den
Dreck,
Das junge hüpft munter darüber hin-
weg.
Das alte feufzt, das junge fchreit:
Nennt man das Anfang neuer Zeit?!
Th.
Fehler hätte, jedermann hätte doch Fehler, wie
sie diese Fehler ertrüge.
Sie wandte mir ihr Gesicht zu, ihre Augen
waren groß, ihre Stimme blieb ganz unver-
ändert, als sie mir ohne Zögern erwiderte, daß
sie ja, wenn sie jemand liebe, ihn mit seinen
Fehlern liebe, so, wie er eben sei, und daß sie
seine Fehler gar nicht als Fehler sähe.
Es überkam mich wie eine Welle von Glück;
ich saß stumm lind vermochte erst nichts zu
sagen, dann sprachen wir von anderem, viel
später erst, ganz unvermittelt, nahm ich ihre
Hand tind dankte ihr, vielleicht wußte sie gar
nicht, wofür ich ihr dankte, aber ich lvar von
einer großen, stürmischen Freude erfüllt dar-
über, daß so verziehen werden konnte.
Des Abends begleitete Johanna mich, wir
trafen uns mit meinein Freund und blieben zu
dritt. Der Freund kannte Johanna nur flüch-
tig, sie hatten sich ein einziges Mal in einer
Gesellschaft getroffen. Johanna hat ihren eige-
nen Kreis, den sie ungern verläßt und der
ganz verschieden von dem meinen ist, und da-
her kennt sie wenige von meinen Freunden. Ich
neige dazu, Menschen, die ich liebe, mitein-
ander bekannt zu machen, und man hat mich
oft davor gewarnt, das zu tun; ich gebe zu,
daß meine Neigung ein Fehler ist, sie hat mir
schon viele blnannehmlichkeiten bereitet, sie hat
mir manchen Menschen entfremdet und viele
habe ich auf diese Weise verloren; aber ich bin
nun einmal ohne Mißtrauen und kann von
meinen Neigungen nicht lassen, so haben die
Warnungen nichts gefruchtet.
Wir hatten einander nicht viel zu sagen,
aber wir saßen einträchtig, niemand war nie-
mandem fremd, als wir ausbrachen, ließ mein
Freund Johanna den Vorrang, mich zum
5