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Steffi Kohl

Neujahrsmorgen

„Das ist wohl der tiefere Sinn der Sil-
vesterfeier, daß man durch den körper-
lichen Kater den seelischen gar nicht
merken soll."

Bahnhof zu bringen, ich wollte gleich Weiter-
reisen. Er verabschiedete sich erst von mir, dann
bat er Johanna, doch auch künftighin manch-
mal mit ihm zusammen zu sein, und Johanna
niekte Gewährung.

Ich sah die beiden, wie ihre Hände sich hiel-
ten und lösten, und wie sie verbunden waren
in der Freundschaft für mich, blnd ich fühlte
diese große Freundschaft zweier Menschen, die
gütig zu mir gewesen waren, wie einen Regen
aus mich niedergehen und alles lösen, was hart
Ln mir war, und mein Herz war voll von
einer großen, unaussprechlichen Freude, daß es
das gibt: Freundschaft.

Als ich dann fuhr, zwischen Nacht und
Wald raste der Zug, kein Schlaf befiel mich,
ich gedachte der Frau, deren dunkelblonde
Haare, deren helle Augen und deren wunder-
schöneS Gesicht ich über alles liebte und die ich
meiner Fehler wegen verlassen mußte, da ge-
dachte ich ihrer ohne Bitterkeit, nur voll Trauer.

Der Justizminister greift ein

Von Stefan Kat

Zum erstenmal passierte es vor einem Jahr.
Da stellte sich, an einem nassen Novembertag,
der arbeitslose Hilfsarbeiter Johann K. vor
dem elegantesten Herrenmodegeschäft Wiens
auf, wartete geduldig, bis ein Polizist daher-
kam, und schlug dann mit dem Ellbogen eine

Aufgelöstes

Silvester^ Sonett

DaS ist statistisch festgestellt:

Daß auch in der Nacht vom ZI. zuin i.

DeS Jahres mancher von den leersten

Der Hungerleider auf Flucht ins Jenseits ver-
fällt.

Die Gesellschaft ist imnier wieder von Mitleid
geschwellt

Für jeden von ihnen, bis zum Bersten;

Denn gerade in der Silvesternacht fällt eS
sicher am schwersten,

Daß einer die herrlich begonnene Laufbahn
hinter sich stellt.

blnd doch — wir werden daS Fest auch dies-
mal feiern!

Wenn ein Schuß fällt, ein Schrei gellt, ein
Ertrinkender bellt,

Wir werden die alten Sprüchlein des weiteren
leiern.

Du aber und du, ihr schleicht euch davon auö
der Welt,

Fort von Champagner und Hummer und
russischen Eiern —

Macht leise, seid leise — damit ihr den andern
das „Prost!" nicht vergällt.

Hansale

Auslagenscheibe ein. Blieb freundlich lächelnd
stehen und ließ sich bereitwilligst arretieren.

Vor Gericht gab er an, er hätte schon
wochenlange so sehr gehungert, daß er zwei
Tage vor der Tat obdachlos geworden sei, und
nun habe er das mit dem schönen Fensterglas
angestellt, um im Gefängnis Kost, Wärme und
neues LebenSgefühl zu erhalten. Er bedaure
nur, daß — wie ihm sein Pflichtverteidiger
mitgeteilt hätte — sein Delikt bloß aus knappe
vier Wochen lange.

Diese Geschichte kam in die Zeitung, blnd
weil eS unter den Arbeitslosen bekanntlich viele
schwelgerische Naturen gibt, häuften sich mit
der Zeit Fälle wie jener des Johann K. Faß
jede Woche ereignete sich irgendein Delikt, daS
eingestandenermaßen nur deswegen verbrochen
wurde, weil die Delinquenten sich nach dem
behaglichen Milieu des Wiener LandeSgerichtö
sehnten.

Als die Zahl solcher offenkundig mutwilliger
Derbrechen so sehr angewachsen war, daß die
blnterbringung der rechtmäßigen Delinguenten
ernsthafte Schwierigkeiten zu bereiten begann,
entschloß man sich in RegierungSkreisen, nun
endlich etwas gegen den offenkundigen Not-
stand zu unternehmen.

blnd so erschien eine Bei ordnung deö Justiz-
ministeriums:

„Mit Rüeksicht aus die sattsam bekannten
Mißbräuche (siehe .Mitteilungsblätter des
Justizministeriums', EZ XXXVI / ex 31 / A—B)
wird hiermit verfügt: Arrest- und Gefängnis-
strafen dürfen in Hinkunst nur gegen jene ver-

hängt werden, die ein einpsehlendes Wohlver-
haltenSzeugniS seitens der kompetenten Polizei-
behörde beizubringen in der Lage sind."

• 7/1 l*er ODniöleift

ungen

Dr. Hjalmar Schacht war von seinem Auto-
unfällchen genesen. Es liefen schon wieder zahl-
reiche Einladungen von Landadligen ein, die sich
das Rückenmark von dem Spezialisten für
Markstühung stärken lassen wollten. Aber
Dr. Schacht sagte ab.

„Woher diese Wendung?" fragte jemand
einen Kenner der Verhältnisse und fügte bos-
haft hinzu: „Ich will nicht sagen, diese Wen-
dung durch Gottes Fügung?" — „Herr Dr.
Schacht hat vorläufig noch eine unüberwind-
liche Scheu vor längeren Autofahrten." —
„Aber er könnte doch Eisenbahn fahren." —
„Da fürchtet er Entgleisungen." — „Na, an
die ist er doch längst gewöhnt!" T—s

02

eraniworl

Der Dresdner Astrologe Hüter hat verschie-
denen Großen der Welt ihr Schicksal für 1932
aus den Sternen gelesen. Dabei sagt er von
Adolf Hitler: „Noch eins darf Hitler nicht ver-
geben: er ist nicht zum König und nicht zum
Regenten geboren; denn der düstere Saturn
steht im 10. Feld für Würden und Ehren."

— Aber selbstverständlich kann der Führer
einer s 0 großen Partei für das, was in den
Sternen geschrieben steht, nicht a u ch noch ver-
antwortlich gemacht werden. Ths.

„Willst im neuen Jahr a immer recht
brav sei, Buaberl?"

„Dös kommt ganz auf dö politischen Ver-
hältnisse an!"

6
Register
T-s.: Über Entgleisungen
Stephan Kat: Der Justizminister greift ein
Ths.: Verantwortlichkeit
Steffi Kohl: Neujahrsmorgen
Erwin v. Kreibig: Nachwuchs
 
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