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Neujahrsgedicht mit irrtümlichem Start

Von Walther C. F. Lierke

Wenn man in das Jahr, das sich erneut,
nehmen wir mal an: bei einer Bowle,
animiert vom drin enthaltnen Alkohole,
optimistisch sich hinüberfreut, —

wenn man — (dieses zweite Wenn ist

Kondition

für das erste) — zu der Jahreswende
einen Gönner für besagte Bowle fände — —
Hier erwürgt'S den Optimismus schon. . .

Also gut, zumindest wird geschehn,

daß die Glocken zwölf blhr nachts gewaltig

läuten,

und das wird ein neues Jahr bedeuten.

Was es bringt, das wird man später sehn.

Vorderhand wird morgen sein wie gestern.
Vorderhand wird an den Wandkalendern
sich die Jahreszahl um eine Nummer ändern.
Vorderhand wird alles weiterlästern,

daß ein solches Leben eine Schweinerei ist.
Morgens, mittags, abends wird es heißen
daß demnächst die Stricke reißen
oder was ansonst die Litanei ist.

Denn der deutsche Mensch braucht klnmutS-

Töne,

daß er ja nicht gar ins Handeln kommt.
Schimpfen, das besorgt er prompt, —
das gehört zur Krisen-Hygiene.

Die „Jugend1* beginnt in dieser Nummer mit der Veröffentlichung von Vorschlägen für

neue Notverordnungen im neuen Jahr:

l.

Eine neue einschneidende Notverordnung zur Hebung der Arbeitslosigkeit: Männer mit Vollbart über
30 cm haben sich in ihren Bart ein Fenster einbauen zu lassen, damit sie zum Tragen von Krawatten
gezwungen werden. (Da nach Feststellung des Stat. Reichsamtes 98% aller Vollbartträger keine Krawatten
tragen, wird durch diese Notverordnung der Arbeitsmarkt In der Krawatten- und Glasindustrie eine

gewaltige Belebung erfahren.)

C^Jaueni&ien=f

COcfce Q^lurnberger —

Gleichviel, man muß immer riskieren, mono-
logte Alfred, der mit langen Sätzen, känguruh-
ähnlich, Schritt zu halten versuchte mit einer
Unbekannten, Hochbeinigen, Pelzumwickelten.
Die Frauen haben es doch viel leichter, sie lassen
alles an sich herankommen und „gewähren"
oder „versagen", tatitata, großartig! Der Mann
muß sich erst Hals über Kopf in seelische bln-
kosten stürzen, riskiert einen Korb, einen Dolch-
stoß mitten in seine Eitelkeit. Ich muß-!

Nein, — nein, eS geht nicht, diesmal geht eS
wirklich nicht, nein, sie nimmt nicht die Spur
einer Notiz von mir, ich bin Luft für sie,
schlechte sogar, sie schwebt ostentativ eilig, nein,
eS wäre ja wie ein Überfall, nein, eS geht nicht.
Gleichviel, man soll immer riskieren! Wie war
das doch damals mit Ellen, mit Grete. Das
schien auch unmöglich zuerst, und dann doch —!
Alfred hätte erlöst aufgeatmet, wenn die Pel-
zerne jetzt vom Erdboden verschluckt, vom Ehe-
gatten beschlagnahmt oder sonst irgendwie durch
korce majeure außer Wunschweite gerückt
würde. Auch Anita, die Strahlende, war an-
fangs eisig — —! Also Mut! Nein, eS geht
nicht. Aber nun packt ihn die Angst vor späte-
ren Selbstvorwürfen, vor der Reue über ver-
säumte Gelegenheit, und, über seinen eigenen
Kopf hinweg, schwindlig vor Aufregung, setzt
er an, hutlüftenderweise: „Gnä —-!"

„Na endlich!" bleibt sie stehen.

II. Rewcild

meviicanijcber iß

unior

Nach statistischen Berechnungen tvird in den
Straßen unserer Großstädte alle zwanzig Minu-
ten ein Mensch von einem Automobil über-
fahren. Man möchte meinen, daß ihm das auf
die Dauer langweilig werden ivürde.

*

blnter „Fußgängern" versteht man Leute,
die heute da und morgen schon im Krankenhaus
sein können.

*

Anthropologen vom Smithson-Jnstitut in
Washington behaupten, daß der Mensch die
Energien seines Gehirns noch zehn- bis hundert-
mal mehr auSnützen könnte. Sie scheinen ihre
Beobachtungen bei den Regierungsstellen ge-
macht zu haben.

*

Wenn Isaak Newton heute leben würde,
dann wäre er beim Beobachten des FallenS
der Börsenpapiere auf die Entdeckung deö
Schwerkraftgesetzes gekommen.

*

An den meisten Verkehrsstörungen sind die
Kleinautos schuld, weil sie mit ihren Reifen an
jedem Stück ausgespucktem Kaugummi kleben
bleiben.



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Register
Josef Geis: Notverordnungen
Walther C. F. Lierke: Neujarsgedicht mit irrtümlichem Start
Hans Rewald: Tauentzien-, Ecke Nürnberger -
[nicht signierter Beitrag]: Amerikanischer Humor
 
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