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Bei Nacht

M. B a u r

dem schwarz und j übrig spiegelnden venezia-
nischein GlaS erblickt hatte. . .

Ich schreibe Ihnen, vvn dem schweren Alb-
druck dieser Tage erwacht, Ich bin wieder der-
selbe, der ich war, als ich dem davonfahrenden
Zuge nachblickte, bevor ich mich dann aus der
Suche nach dem venezianischen Spiegel dem
Hause der Signora Moricci näherte. Wird es
Sie wundern, daß ich meine Suche nicht zu
dem versprochenen Ende geführt habe? Keiner
der Spiegel wird mir Ihrer würdig erscheinen,
nach dem, den ich in seiner verborgenen Macht

(Übertragung

geheimnisvoll träumend an der Wand sah. Ich
habe an mir diese Macht erfahren und wünsche
Ihnen nicht, sie zu spüren. Möge doch Si-
gnora Moricci, durch den Schrei und die
Flucht des Ausländers erschreckt, das Zauber-
glaS zerschlagen. Möge daS in ihm einge-
jchlossene Antlitz der Leidenschaft und Raserei
unser Herz nicht versuchen. Der bizarre, gol-
dene Nahmen darf den Scherben einer magischen
Welt nicht in der Ruhe Ihres Dorfzimmers
auf der in sommerlichen Lichtern bunten Wand
umschließen.

von M. C h a r o I)

f^Lwet cff3oole auf dem cffJlufl

Von Ernst Handschuch

sperrst er zusammen mit der Spiegelung der
Liebe in diesem Spiegel znm erstenmal er-
blickt hat."

Die Venezianerin erhob sich von ihrem Platz
und zeigte mit der Hand aus den Spiegel. Ich
hörte sie kaum, eine sonderbare Versuchung be-
mächtigte sich meiner. Signora Moricci flüsterte
mir beinahe ins Ohr:

„Die Eigenschaft des Spiegels wurde von
anderen bestätigt. Sie ist von mir mehrfach
nachgeprüst worden. In meinem eigenen Leben,
in meinem stillen Leben als die Frau eines der
besten Venezianer habe ich sie erfahren."

Ich machte einen Schritt und blickte gierig
in die Tiefen des Spiegels. Wie von einer
mächtigen Hand ersaßt, preßte sich mein Herz
zusammen, und ich stieß einen Schrei aus.

Ich stürzte aus dem Hause der Signora
JVoricci, als gelte es, einer Todesgefahr zu
fliehen. Ich konnte mir nicht entkommen. Auf
den Straßen und Plätzen Venedigs rief ich
vergebens nach Ihnen. Ich verfluchte den Tag
Ihres Entschlusses und die Stunde Ihrer Ab-
fahrt. Tausende von absurden Plänen durch-
kreuzten mein Gehirn. Die prachtvolle Stadt
schien mir ein Gefängnis zu sein, auf dessen
Fliesen ich schonungslos geworfen bin. Himmel
und Wasser spiegelten riesig jenes Antlitz der
Verzweiflung und der Leidenschaft, das ich in

Der Fluß, den sie nun schon seit Tagen be-
fahren, ist die Mosel. Ihr Wasser ist schnell-
flüssig, von gelblichgrüner Farbe und kräuselt
sich eben unter einem aus Osten kommenden
Wind. Die beiden Boote fahren an das blfer.
Paul, der Insasse des einen, will im Dörfchen,
das sich engbrüstig an rebenbewachsene Hügel
schmiegt, Nahrung und Wasser holen für den
Mittag, wo sie flußabwärts an einer schattigen

Stelle Rast halten wollen. Es gelingt ihm noch,
sein Boot vor der Strömung an die Landungs-
brücke der Fähre zu bringen. Leicht und kraft-
voll schwingt er sich an Land, tvährend Marie,
seine Frau, das Boot mit dem Paddel festhält.
Der einzige Insasse des zweiten Bootes aber
wird vont Strom ersaßt und in drehenden Be-
wegungen von der Brücke weggesührt. Er pad-
delt zurück und macht an einem Fischerkahn,

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Register
M. Baur: Bei Nacht
Ernst Handschuch: Zwei Boote auf dem Fluß
 
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