Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
J u

3 7 JAHRGANG

N D

1 9 3 2 / N R. 4

VON MAURICE DEKOBRA

Ich hatte zufällig in einer Loge der Music*
hall die schöne MrS. Shotwell getroffen. Sie
hatte mir den Sessel neben sich angeboten, und
während zwei gelb gekleidete Neger nach den
Rhythmen des Charleston Schritte improvi-
sierten, gab sie ihrer Freude Ausdruck, mich
wiederzu finden.

Denn Lilian Shollvell und ich, wir sind reine
Freunde. Lilian ist eine Engländerin aus sehr
guteni und vornehmem Hause. Ihre Haut ist
zart wie olympische Goldcream, und ihre Augen,
hellgrün unter tizianrotem Haar, verliehen ihr
halb diabolisches, halb puritani-
sches Aussehen. Ich hatte Lilian
einst in Neapel kennengelernt. Sie
reiste mit ihrem jungen Gatten.

Dann habe ich sie in Biskra und
in Saint Raphael wiedergefunden.

Wir sind aufrichtige Freunde und
doch treffen wir uns nur dreimal
im Jahr. Die Leidenschaft hat uns
eines Abends in Cannes gestreift,
aber wir waren klug genug, ihr
nicht zu erliegen. Als aufrichtige
Kameraden sprechen wir offenen
Herzens miteinander, verschwinden,
und fünf Monate später nehmen
wir den Faden unserer gegen-
seitigen Konfidenzen wieder auf.

Beim Weggehen aus dem Thea-
ter sagte nun Lilian: „Es ist drei-
viertelzwölf... Gehen wir eine
Erfrischung nehmen. DaS Schick-
sal hat Sie diesen Abend aus
meinen Weg geführt. Ich werde
Sie um einen Rat fragen."

Zehn Minuten später saßen wir
vor zwei Sherry-CoblerS. Lilian
bot mir eine Zigarette mit ihrem
Monogramm ,,malle in Lonll-
8treet" an und begann: „Lieber
Freund, ich habe die Absicht, mei-
nen Mann heute um halb ein Uhr
nachts zu betrügen."

„Oh!"

„Stellen Sie sich vor, daß ich
beim Golf in La Boulie einen ent-
zückenden Spieler kennengelernt
habe, der die Golfschläger mit der
Geschicklichkeit eines jungen Gottes
verwendet.... Wenn ich „ent-
zückend" sage, so ist eS nicht
der richtige Ausdruck, denn dieser
Bursche ist muskulös wie die Dis- Trauern

kuSwerfer und männlich wie Milon von Croton.
Er ist ein Baske."

„Und?"

„Nun ja. Mein Mann hat ihn mir vor
einem Monat vorgestellt und seither haben er
und ich oft Golf miteinander gespielt. Zwischen-
durch haben wir vom Golfspiel und vom Zufall
gesprochen. Mein Baske hat mich durch seine
Auffassung über die Liebe geseßelt. Er wurde
immer dringlicher. . . Vorgestern hat er mich
während des Spieles leidenschaftlich umarmt. . .
Kurz, er hat mir ein Versprechen entlockt, und

dieses Versprechen ist, ihn heute nacht um halb
eins zu besuchen ..."

„Teufel!"

„Nicht wahr? Das ist recht genau."

„Aber Sie werden doch nicht hingehen?"
„Warum nicht? Vor allem, mein Lieber,
vergessen Sie, daß man den Rübicon vom User
aus betrachten kann, ohne seine prophetischen
Fluten überqueren zu müssen."

„Ach was! Wenn eine Frau wie Sie mitten
in der Nacht zu einem muskulösen und männ-
lichen Basken geht, um mit ihm zu plaudern,
so kann man das Ende voraus-
fehen."

„Ich versichere Ihnen, daß ich
gar nicht entschlossen bin."

„Vielleicht, aber um 12.^,
nachdem Sie Ihre Lippen in ein
Glas Likör getaucht haben, wer-
den Sie eine Sammlung von fri-
volen Stichen betrachten. Um ein
Uhr werden Sie die Stiche weg-
legen, um die NippeSsachen in
seinem Zimmer zu bewundern. Um
ein Uhr zehn werden Sie sich der
Form halber sträuben: »Aber, mein
Lieber, bleiben Sie doch ruhig! ..
Um ein Uhr fünfzehn werden Sie
glucksen .Ruhig'. .. Um ein Uhc
fünfundzwanzig werden Sie flü-
stern: ,Es ist toll, was wir da
machen.' Und um ein Uhr dreißig
werden Sie rufen .Liebling!' Ein-
fach nur mehr Liebling!'"

„Oh! Sie sind fürchterlich!"
„Nein... All das ist vollkom-
men sicher ... Aber, meine liebe
Lilian, überlegen wir ein bißchen
alle beide. Sie werden Ihren
Mann mit diesem Basken be-
trügen. Warum? Um sich eine
Sensation zu verschaffen? Wiegt
die Gefahr, die Sie lausen, wenn
ich mich so auödrücken darf, das
Getändel auf? Sie wissen, wie
sreidenkend ich bin. Ich verhindere
nie, daß man sich links und rechts
umarmt. Troßdem, in meiner Eigen-
schaft als aufrichtiger und uninter-
essierter Freund, bin ich gezwun-
gen, Ihnen zuzurufen: ,Feuer!

Feuer!' Ich kenne Ihren Gatten
nur sehr wenig, aber er scheint
Ernst Flessa mir ein ausgezeichneter Mensch z"

50
Register
Ernst Flessa: Trauernder Tod
Maurice Dekobra: Die bestrafte Tugend
 
Annotationen