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Durchschnittsbürger von den Sorgen und
Mühen seiner Mitmenschen weiß, bind in
diesem Fall war meine Arbeit besonders schwie-
rig gewesen. Kassenboten sind im allgemeinen
erprobte, zuverlässige Leute, die sich auf ihren
Dienstgängen mit keinem Fremden einlassen.
Hätte ich sie nicht Abend für Abend an ihrem
Stammtisch in dem kleinen Vorstadtgasthaus
ausgesucht und mich so langsam mit ihnen an-
gebiedert, mein Plan wäre von vornherein un-
ausführbar gewesen. So freilich durfte ich dar-
auf rechnen, daß sie am Sage des beabsichtigten
Überfalls meine Begleitung nach „zufälligem"
Treffen auf der Straße ruhig dulden würden;
alles andere sollte sich dann in der kleinen
Seitengasse, durch die sie auf dem Rückweg
von der Bank gehen mußten, blitzschnell ab-
spielen. Zwei lautlose Schläge mit dem Sand-
sack oder besser noch mit dein kurzen Gummi-
knüppel, ein schneller Griff nach der Geldtasche
und eine Sekunde später würde mich das bereit-
stehende Auto in Sicherheit bringen, Ja, ja,
das klingt alles recht einfach; aber was für eine
bin summe von Einzelheiten in Wirklichkeit zu
berücksichtigen ist, mit was für Möglichkeiten

gerechnet werden muß, das weiß eben doch nur

der Eingeweihte.

„Stellen Sie sich also vor, meine Herren",
setzte ich meine Erklärungen fort, „daß am
fraglichen Tag alle Vorbereitungen muster-
gültig getroffen waren. Mit Mühe und Not
hatte ich die schweren, verdienstlosen Wochen
durchgehalten, in denen ich an meinem Plan
arbeitete. Jetzt endlich war die Beute in er-
reichbare Nähe gerückt, endlich sollten wieder
die Scheine, die die Welt bedeuten, meine Brief-
tasche füllen. In begreiflicher Erregung machte
ich mich am frühen Morgen auf, um noch
einmal den Schauplatz meines beabsichtigten
Angriffs abzuschreiten. Hier würden die beiden
Boten auf dem Weg von der Bank um die
Ecke biegen, an dieser Stelle mußte unsere Be-
gegnung erfolgen und dort sollte dann die Tat
selbst vollbracht werden. So muß Napoleon
seine Schlachtaufstellung geprüft, sein Kampf-
gelände eingeteilt haben. Konnte ich wissen,
daß es mein Waterloo werden sollte?"

Kein Mensch gesteht gern eine Niederlage
ein. Aber hier handelte . es sich doch darum,
meinen langjährigen Arbeitskollegen Rechen-

schaft zu geben über die Gründe, die mich zur
Trennung von einem liebgewordenen Beruf
zwangen, blnd schließlich, einen solchen Fehl-
schlag konnte ich nicht voraussehen; das war
nicht tadelnswerte Fahrlässigkeit oder stümper-
hafte blnfähigkeit, das war ...

„Um zehn Uhr durfte ich nach meinen
früheren Beobachtungen die beiden Boten mit
dem Geld an der vorherbestimmten Ecke er-
warten. Wirklich trafen sie sogar noch ein paar
Minuten vor der Zeit an dem beabsichtigten
Platz ein; richtig, die schwarze Mappe, die daS
Geld enthalten mußte, hatte einer von ihnen
unterm Arm. Alles weitere war das Werk
weniger Augenblicke; kaum fünf Minuten
später raste ich im Auto die Straße hinunter,
die begehrte Mappe neben mir auf dem
Führersitz. Mit ruhiger Hand steuerte ich den
Wagen aus der Stadt heraus; kein Mensch
batte sich zu meiner Verfolgung gezeigt. End-
lich hielt ich einen Augenblick in der Nähe des
Flusses; jetzt schnell das Geld in die Rocktasche
gesteckt und die verräterische Botenmappe ins
Wasser geworfen. Diese grenzenlose Ent-
täuschung! Die Mappe war leer? Leer, biö
auf einen einzigen bedruckten Zettel
in der Form eines Briefbogens.
Mit welchen Gefühlen ich schließ-
lich ganz mechanisch die Schrift
auf dem Zettel las, kann man
sich nur in seinen schwärzesten
Träumen auSmalen."

Ich habe schon gesagt, ich bin
Spezialist für Überfälle auf Kas-
senboten. ünd auch zu alt, um
heute noch einen anderen Zweig
unseres Gewerbes mit der nötigen
Geschicklichkeit zu erlernen; das
braucht Jahre. Womit ich in Zu-
kunft meinen ünterhalt verdienen
will, weiß ich noch nicht; aber
meinen jetzigen Beruf gebe ich auf.
In diesen Zeiten kenne ich mich
einfach nicht mehr aus ...

„Sie wollen noch wissen, meine
Herren, wie dies alles geschehen
konnte?" schloß ich meine An-
sprache. „Warum die Mappe
leer sein konnte? Was auf dem
gedruckten Zettel stand? Nun,
ich bin kein Bankfachmann; aber
den Inhalt habe ich doch ver-
standen. Er begann mit,An unsere
Kunden und Einleger! Mit dem
heutigen Tage sieht sich die Kredit-
bank leider zur Schließung ihrer
Schalter und Einstellung der Zah-
lungen gezwungen ...‘ und endete
mit der Aufforderung, Ruhe zu
bewahren."

Ruhe bewahren? blnd meine
ruinierte Laufbahn? Bin ich denn
etwa nicht ein Opfer der Wirt-
schaftskrise?

Ach, diese Zeiten ...

„Ja, ja, wann s koa Fleisch net z fressen hab’n, dö notigen Schlawiner, nacha müassen s es halt
wenigstens mal' n /“

(Berechtigte Übertragung von
Frank A n d r e w)

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Register
Marcel Frischmann: Ersatz
 
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