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J U G

3 7. JAHRGANG

END

193 2 / NR. 19

GEFÄLSCHTE TRÄUME

Nie mehr werde ich solch einen Frühling erleben, nie mehr werden die
Kirschbäume blühen wie in jenem Jahr und nie mehr werden die Lerchen
so in das Blau hinausjubeln — denn niemals mehr werde ich wieder
zwanzig Jahre alt sein. Hnd nie mehr werde ich die Wege wiedersinden,
die mich damals mein älterer Freund geführt hat, der seiner jungen Frau
und mir die verborgensten Schönheiten der Boralpen zeigen wollte.

Die Erde war noch weich vom Tauwasser, das kurze Gras dämpfte
zart den Schritt, die lichten Wiesen wanderten mit goldenen Primeln in
den dunklen Wäldern hinan, das Schattengitter umkreiste die blühenden
Obstbäume und die Berge verblauten in ahnungsreicher Ferne.

Wir legten uns unter einen Kirschbaum und blickten durch den Blüten-
schnee in den blauen Himmel. Mit dunkler Stimme sprach der Baum
durch seine Bienen zu uns, Hummelgebrumm von der Wiese her ant-
wortete und der Wind wehte einen Zitronenfalter vorbei.

Versunken in Schauen, hingegeben dem Glück der Stunde, war es mir
entgangen, daß die Frau meines Freundes eingeschlafen war. Mein
Freund rollte seinen Rock, schob ihn Herta behutsam unter das-Haupt
und blickte vom blauen Himmel in dieses schmale, in tiefstem Frieden
liegende Antlitz und von diesem Gesicht wieder in den blauen Himmel und
in die weißen Blüten. „Still", rief mein Freund, als ich mich rührte, un-
willig, „sie schläft!"

Als ich nun auch in dieses leicht umschattete Gesicht der schlafenden
Frau blickte, lösten sich — nicht anders als das Summen der Bienen
aus den Blüten — von den roten Lippen verschwebende Worte: „Die
Welt — wie schön — der Frühling — die Blüten, der Baum, und da-
heim Annemarie, unser liebes Kind!"

Mein Freund faltete die Hände und auch mir schnürte es die Kehle
zusammen.

Tiefe Ruhe lag über dem schlafenden Gesicht, bind wieder schwebten
leise Worte in die Stille des Mittags: „Vielen Dank, Dank für immer
— du bist so gut, du hast mich so reich beschenkt."

Ich schlug die Augen nieder, denn man soll einem Freund, wenn er
ganz glücklich ist, nicht in die Augen sehen; man muß ein wehrloses Ge-
sicht in Schmerz und Freude schonen.

Die Schmetterlinge hingen an den Blüten, der Schatten des Baumes
zog unmerklich seinen Kreis, der Tag stand still, die Frau schwieg, mein
Freund erhob sich, suchte Blumen und streute sie der Schläserin in den
Schoß.

„So ist sie", flüsterte er mir zu, „so ist sie. Sie, die immer verschweigt,
was in ihr vorgeht, verrät im Traume ihr reines Herz."

Ob Herta öfter im Traume spreche, fragte ich scheu, aber mein Freund
zögerte lange, bis er mir Antwort gab. „Gut — der Zufall hat dir mein
Geheimnis verraten", sagte er endlich, „nun bewahre es auch. Herta soll
nichts davon wissen. Manchmal spricht sie so schön, daß ich mir all'
ihre Träume aufzeichne. Mein Freund faßte mich beim Arm. „Still!
Still! Sie erwacht!"

„Gut geschlafen, Liebste?" begrüßte er seine Frau; „etwas Schönes
geträumt?"

„Geträumt?" erwiderte die Frau, „ich habe nichts geträumt. Ich war
nur tief glücklich — glücklich, wie man es nur im Traum sein kann."

Wir schulterten die Rucksäcke und brachen aus. Mein Freund ging
etwas gebückt voraus, denn er gehörte zu den Wanderern, die am lieb-
sten Mühlsteine einpacken würden, um nur ja keinen leichten Rucksack zu
haben, seine Frau und ich folgten mit leichteren Schritten. Ein Habicht-
paar zog über uns seine Kreise und verlor sich liebeschreiend in der Ferne.
Das Winterlaub der Wälder raschelte unter unsern Füßen, das Abend-
licht hing in den Wolken, als könne und könne die Sonne an diesem
Tage von ihrer schönen Erde nicht scheiden. Spät abends kamen wir zu
einem Wirtshaus, alles war besetzt, wir trotteten müde weiter, bis wir
endlich ein Ouartier fanden, ein Zimmer für drei.

Vor dem Schlafengehen führten wir die müden Füße in den leichten
Kletterschuhen noch ein wenig spazieren, wir ließen die Zehen nach der
Türschwelle und nach dem Brunnenrand greisen — ad), das tat gut.
Erst als uns fröstelte, gingen wir hinein. Mein Freund und seine Frau
legten sich in dem breiten Doppelbett zur Ruhe, ich, mit hochgezogenen
Füßen auf dem zu kurzen, ächzenden Diwan.

„Geschnarcht wird nicht!" ermahnte mich mein Freund.

„Bitte, nicht schnarchen", wiederholte die liebe, verehrte Frau.

Da lag ich nun still, wagte mich kaum zu rühren und hätte um keinen
Preis den sanften Schlaf der Frau durch das Knarren deS Diwans
gestört. Die Kerzen wurden gelöscht, durch die Fensterläden drang daS
Mondlicht in das Zimmer.

(2v — jetzt streckte ich langsam daS eine und dann das andere lange
Bein aus, vorsichtig, nur vorsichtig, damit der Diwan nicht ächzt. Ja,
wirklich, solche Wege, wie wir heute gegangen waren, die wußte nur
mein Freund, der verstand die Kunst des WandernS und des FührenS.

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Bruno Brehm: Gefälschte Träume
Walter Busch: Zeichnung ohne Titel
 
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