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J U G E

3 7. JAHRGANG

N D

1 93 2 / NR. 21

Die Sonne sticht auf Abn al Äir herunter
und die Kakteen stechen zur Sonne empor.
Bauchig weitet stch die Meeresbucht zwischen
hohen Kapklippen. Die schmutzig-gelbe Sand-
wüste wird von einigen Felsen durchbrochen,
an deren Fuß windschiefe Lehmhütten kleben.
Nur eine einzige Behausung zeigt europäischen
Anstrich: regelrechte Fenster und Türen, ein

Schieferdach und sogar Jalousien.

Bor diesem Hause, dem Palast von Abn al
Kir, sitzt Mister Ouiant und raucht eine Pfeife.
Er steht mißmutig über die Bucht hin und stellt
— seit einem halben Jahre täglich — fest,
daß sich kein Dampfer in diese versteckte Ecke
des Roten Meeres verirrt.

„Der Teufel soll diese ,Watson & Co?
holen!" brummt er vor stch hin.

„Wen soll er holen?" schrillt eine Frauen-
stimme aus dem Haus.

„Watfon k Co!"

„Dich soll er holen, ^zack!" ist die Antwort.

„Beruhige dich doch, Olympia!"

Die vorgeschlagene Beruhigung tritt in son-
derbarer Form ein: statt einer Antwort fliegt
an Ouiant's Kopf eine leere Flasche vorbei und
vergräbt stch im schmutzig-gelben Sand Abn al
Kir's. Dann wird die Tür zugeschlagen
und Mister Ouiant kann die Beobach-
tungen, ob stch nicht doch vielleicht ein
Dampfer dieser Blicht nähern könnte,
ungestört fortsetzen-—

Jack Ouiant war vor einem Jahr
nach Abn al Kir gekommen. Ein Damp-
fer hatte ihn auSgespien. Einen Monat
lang kamen die Araber aus allen Distrik-
ten, um dieses Wunder zu bestaunen.

„Hier wird das HauS und das Ma-
gazin gebaut!" befahl der ewig pfeifen-
rauchende Engländer mit napoleonischer
Kürze und deutete auf eine Stelle. Die
Araber grinsten verständnislos und sahen
interessiert zu, als er an die bezeichnete
Stelle einem knorrigen Tamarinthenzweig
legte, um sie nicht zu vergessen.

Wenige Tage später spie ein kleiner
Dampfer alle Utensilien aus, die zu
einem kleinen Hausbau nötig sind und
dampfte wieder in die schmutzig-gelbe
Ferne. In weitem Umkreis von Abn al
Kir trägt alles dieselbe Farbennliance
und selbst die Poesie des Horizontes er-
trinkt in ihr. Als Ouiant die Stelle
suchte, wo er das Haus bauen wollte,

konnte er sie nicht finden. Es ließ sich nicht
genau feststellen, ob der Tamarinthenast als
kostbares Brennmaterial gestohlen oder von
dem respektlosen Sandwind zugedeckt worden
war.

Drei Wochen später bezog Mister Ouiant
das Gebäude, das faule Araber fluchend und
schimpfend erbaut hatten. Die Leistung mußte
aus ihnen mit verwässertein Gin und ver-
schimmeltem Ugari-Tabak erpreßt werden.

Eines Tages zog Mister Ouiant die britische
Flagge auf und lief zur Bucht herunter, denn
wieder war ein Dampfer in Sicht gekommen.
Zuerst schloß er mit wenig Interesse eine Frau
mit wallendem Schleier — es war Olympia
Ouiant — in die Arme, um stch dann mit
ganzem Interesse den Kisten zuzuwenden, die
stch bald zu hoher Mauer stallten und den
Aufdruck trugen: „Rubber. — Watson & Co."
Als die Nacht hereinfiel — in Abn al Kir geht
das sehr schnell —, dampfte daS Schiff in die
Ferne und Mister Jack Ouiant war mit seiner
Gattin Olympia und den Kisten allein zurück-
geblieben.

Wie war dieser Ouiant eigentlich in diese
gottverlassene Gegend gekommen? DaS ist die

Der Dichter Wilhelm von Scholz G. Katzke

selbstverständlichste Sache und doch wieder eine
ganz unverständliche Sache gewesen. Die
Moral davon ist: der Mensch kann niemals
genug haben!

Mister Ouiant saß in London und hatte
Kapital. Nicht viel, aber immerhin. „Watson
& Co." erzeugte den „Rubber". Das war ein
Fleckputzmittel, das jeder Engländer schimpfend
lvegwarf, denn bei der Anwendung gesellte sich
zu dem ersten Fleck noch ein zweiter. „Rubber",
verschmäht von den undankbaren Europäern,
sollte nun die Welt erobern, und zwar Süd-
asien, das Land der weißen Burnusse. Ouiant
und „Watson & Co." fanden sich. Beide
waren voneinander entzückt, und nach dem
dritten Glas Whisky war ein Vertrag ge-
schlossen, der nichts anderes beinhaltete, als
daß Ouiant das Geld bei „Watson & Co."
anlege, dafür aber die Generalvertretung für
Persien und Indien erhalte und in Abn al Kir
— der Generaldirektor zeigte salbungsvoll aus
einen winzigen Punkt auf der riesengroßen
Landkarte — eine Zwischenstation zu errichten
habe.

TagS darauf dampfte Ouiant vergnügt und
mit mächtig viel Selbstbewußtsein ab. So ist

er in diese Gegend gekommen-

Abn al Kir war da, HauS unb Ma-
gazin war da, Olympia und die Kisten.
Alles, was Mister Ouiant sich wünschen
konnte, um ein reicher Mann zu werden.

Tage vergingen. Wochen. Monate.
Ein halbes Jahr war um. Nichts rührte
sich. Die Kisten waren nur bis Abn al
Kir gekommen und der Generalvertreter
für das Fleckputzmittel „Rubber" saß in
einem arabischen Küstennest fest, daS
inan auf der Landkarte gar nicht finden
konnte. Alle Hoffnungen waren geschwun-
den, denn „Watson & Co." waren in
Ausgleich gegangen, von der Bildfläche
verschwunden, und daS Kapital OuiantS
war der Einfachheit halber gleich mit-
verschwunden. Eine ganz selbstverständ-
liche, alltägliche Sache also! ^

Ouiant sitzt vor dem Haus und die
Sonne sticht auf den Tropenhelm um
in die erloschene Pfeife hinein. Was \o^
er bloß mit dem verdammten „Rubber
an fangen?

Ein Araber steht vor ihm. Die Be-
grüßung ist langatmig. Ouiant schweig
und wünscht den auSgemergelten Ker

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Günter Katzke: Der Dichter Wilhelm von Scholz
Per Boll: Das Rubber-Phänomen
 
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