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37. JAHRGANG

Bis Oranienburg, die um einen Waldpark
geschlagene, von rauchenden Fabrikschloten
überhöhte Kreisstadt, fährt noch die elektrische
Schnellbahn, weiter must man die Bummelzüge
benützen, die den Verkehr der kleinen, an der
Ostseebahnstrecke gelegenen Ortschaften unter-
einander vermitteln. An Kreuzungsstellen zweigen
Kleinbahnen in die Landschaft ab, die, wenig
gewellt, sich rund und weit breitet, Wälder von
Hellen Buchen oder ziemlich dünnen Nadel-
bäumen, weistliche und gelbliche Sandslächen,
nicht sehr fette Äcker, mäßig hohe Wiesen,
schöne, hellblaue Flußläufe und kleine Seen.
Die Orte tragen anheimelnde Namen: Birken-
werder, Sachsenhausen, Fichtengrund. Berlin ist
noch keine Bahnstunde entfernt. Die Züge sind
nur aus wenigen Wagen der Holzklasse zu-
sammengestellt, um diese Zeit, gegen den Mit-
tag, dünn besetzt, Frauen mit Markt- und
Einkaufstaschen, die in den Warenhäusern der
großen Stadt oder auf den Frühmärkten ihren
Bedarf gedeckt haben, Kinder, die von der Vor-
inittagsschiile heimkehren, wenige Männer, ein

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Priester, der einen Sterbenden trösten, ein Arzt,
der einem Knaben beistehen, ein Lehrer, der
seinen freien Nachmittag bei seinen Angehörigen
verbringen wird. Sie sitzen breit, behäbig, ein
wenig faul, tauschen Redensarten in einem von
Berlinismen durchsetzten und gemilderten Platt,
sehen zum Fenster hinaus in die dünne, Helle,
von der Sonne durchwärmte Luft, aber zumeist
mit einiger Scheu und Verwunderung auf die
zwischen ihnen sitzende Dame.

Die Dame hat den Zug in Oranienburg
bestiegen, aber die Schnellbahn, mit der alle
anderen ihn dort erreicht haben, nicht benützt,
niemand hat sie jedenfalls darin gesehen. Tat-
sächlich hat sie ihn mit einem Mietauto erreicht,
und eben in der letzten Minute vor seinem
Abgang; die Schaffner schlugen schon die Türen
zu und gaben die Zeichen zur Abfahrt; einer
von ihnen half der Atemlosen, Anmutigen mit
sichtlichem Wohlgefallen über das Trittbrett, sie
setzte sich gleich und ohne Befangenheit zwischen
die anderen, trotzdem jedermann sehen konnte,
daß sie nicht hierher gehörte. Sie sah auS, als

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könne sie eigentlich nur und müsse in ledernen
und stoffenen Fauteuils sitzen, auf dem Eckplah
eines Polsterklassenabteils oder im Fond eines
Autos; sie sah aus wie vom Plakat eines
Schönheitsmittels oder eines Kinodramas herab-
gestiegen, schön, gleichmäßig, ein junges, ge-
pflegtes, in zarten Farben blühendes Gesicht.
Sie hatte kein Gepäck, sondern ein winzig
kleines Köfferchen, das sie auch nicht in das
Netz über sich hob, sondern auf dem Schoß
hielt, es vertrat wohl die Stelle eines Hand-
täfchchenS; sie entnahm ihm dann und wann
einen kleinen Gegenstand, einen Spiegel, in dem
sie sich kurz besah, ihren kleinen, hellen Hut
richtete, bis eine schmale Welle dunklen Haares
sich in einem, den Brauen abgekehrten Bogen
zärtlich in die Stirne schob; einen Stift, mit dem
sie eilig über die Lippen strich, daß sie in einem
noch feuchteren Rot brannten, ein Döschen, aus
dem sie Puder über Nase und Wangen stäubte.
Zwischendurch seufzte sie leise, doch eher glück-
lich, und suchte mit frohen Blicken die vorüber-
ziehende Landschaft aufmerksam und lustvoll ab,

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Heinrich Kley: Theaterbericht
Walter Maria Ullmann: Auf Besuch
 
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