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J U G E

3 7. JAHRGANG

N D

1 9 3 2 / N R. 25

ANDER

RAS

Von Boris Pilniak

I.

Ganz zufällig lernte ich in Tokio den Schrift-
steller Tagaki-San kennen, ich habe mit ihm
einige Worte gewechselt, die ich längst vergessen
habe — mir blieb nur in Erinnerung, daß seine
Frau eine Russin war und daß ein Roman, in
dem er die europäische Frau beschreibt, ihn be-
rühmt gemacht hat. Er wäre längst aus meinem
Gedächtnis ausgewischt, wie andere zufällige
Begegnungen, wenn.. .

Wenn ich nicht in der japanischen Stadt K.
in dein Konsulararchiv aus die Papiere von
Sophia Wassiljewna Gnedych-Tagaki gestoßen
wäre, die sich um ihre Wiedereinbürgerung be-
mühte.

II.

Sophia Wassiljewna war in Wladiwostok
geboren und ausgewachsen, hatte dort die
Schule absolviert, um Lehrerin zu werden —
und war ein Mädchen, wie eS ihrer zu Tausen-
den im alten Rußland gab.

Tagaki-San war Generalstabsossizier der
japanischen Okkupationsarmee, die 1920 in
Sibirien gelandet war, und wohnte in Wladi-
wostok in derselben Wohnung, in der sie ein
Zimmer gemietet hatte.

Hier folgen Auszüge aus ihrer Auto-
biographie:

„... man nannte ihn nicht anders als
Makaka ... alle wunderten sich sehr, daß er
zweimal täglich badet, Seidenwäsche trägt und
zur Nacht ein Pyjama anzieht... an den
Abenden saß er immer zu Hause und las laut
rustische Bücher, Gedichte und Erzählungen mir
unbekannter zeitgenössischer Dichter. Er hatte
eine gute russische Aussprache, nur mit einem
Fehler, statt l sagte er r.' Das war der Anlaß
zu unserer Bekanntschaft. Ich ging an der Tür
vorbei, als er Gedichte rezitierte, konnte nicht
an mich halten und lachte laut auf. bind er
öffnete die Tür lind sagte: ,Verzeihung, unhöf-
rich, mademoisere, einraden. Gestatten mir, Sie
visitieren?

Ich wurde sehr verlegen, verstand nichts,
sagte: ,Pardons und ging auf inein Zimmer.
Am andern Tag kam er zu niiu zu Besuch,
schenkte mir eine große Dose Konfekt und sagte:
,Jch bitte, ErraubniS besuchen. Bitte, Schoko-
rade. Wie finden Sie das Wetter? ..?"

Sie beschreibt in ihrer Autobiographie genau,

wie eines Abends das Gesicht des Offiziers
plötzlich blutrot wurde, wie seine Augen sich mit
Blut füllten und er sofort das Zimmer verließ
— sie begriff, daß in ihin die Leidenschaft
erwacht war und weinte lange ins Kisten in
dem Gefühl, daß ihr dieser Japaner physisch
schrecklich sei, ein Mensch von anderer Rasse.

„Aber dann begann gerade dieses Aufflackern
der Leidenschaft, die er so gut beherrschen
konnte, meine, weibliche Neugier zu erhitzen. Ich
begann, ihn zu lieben."

Der japanische Offizier war ein Mann mit
ernsten Absichten. Den Antrag machte er in
blniform, in weißen Handschuhen, an einem
Sonntagmorgen, in Gegenwart der Wohnungs-
inhaber — nach allen europäischen Regeln.

„Er sagte, daß er in einer Woche nach Japan
fährt und mich bittet, ihm zu folgen. Nach der
Dienstordnung dürfen japanische Offiziere keine

Ausländerinnen heiraten, und die Offiziere des
Generalstabs dürfen sich überhaupt nicht voc
einer gewissen Zeit verheiraten. Deshalb bat er
mich, unsere Verlobung, bis er seinen Abschied
genommen haben wird, streng geheim zu halten
und solange bei seinen Eltern in einem japa-
nischen Dorf zu leben. Er ließ 1550 Pen als
Pfand zurück und damit ich zu seinen Eltern
fahren kann. Ich gab ihm mein Jawort..

III.

Ich war nicht in Suruga, aber ich weiß,
was japanische Polizei ist. Polizisten, die die
Japaner selbst „Jnu" — Hunde — nennen.
Sophia Wassiljewna schreibt über das Verhör
ganz kurz:

„Man hatte mich verhaftet. Ich saß den
ganzen Tag in Haft. Man verhörte mich die
ganze Zeit darüber, welche Beziehungen ich zu
Tagaki habe und warum er mir eine Empfeh-
lung gegeben hat. — Ich gestand, daß ich seine
Braut bin, weil die Polizei mir sagte, daß,
wenn ich nichts gestehe, man mich mit demselben
Schiff zurückschicken wird. Sobald ich es ge-
standen hatte, ließ man mich in Ruhe, brachte
mir Reis..."

Am selben Abend kain Tagaki-San, ihr
Bräutigam, nach Suruga. Man fragte ihn
nach diesem Mädchen. Er handelte mutig, er
sagte — ja, sie ist seine Braut. Man schlug
ihm vor, sie zurückzuschicken, er lehnte eS ab.
Man sagte ihm, daß er auS der Armee aus-
gestoßen und verbannt wird — er wußte es.
Da ließ man ihn und sie frei. Er küßte ihr
galant die Hand, machte ihr mit keinem Wort
Vorwürfe. Er setzte sie in den Zug und sagte
ihr, daß sein Bruder sie in Osaka erwarten
wird und er selbst „ein wenig beschäftigt ist .

In Osaka kam ein Mann in braunem Tuch-
kimono auf sie zu, verneigte sich bis zum Gürtel,
reichte ihr seine Visitenkarte, gab ihr aber nicht
die Hand. Er berührte ihre Schulter und zeigte
auf den Ausgang. Sie stiegen in ein Auto und
fuhren durch die Stadt. Dann stiegen sie wieder
in einen anderen Zug, den sie erst gegen Abend
verließen, er setzte sie in eine Rikscha, sie fuhren
aus der Stadt heraus über Pfade, Alleen, an
das Meer. In einer Bucht im Schatten von
Bäumen stand ein Häuschen, vor dem sie
hielten. Aus dem Häuschen kamen ein alter
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