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3 7. JAHRGANG

N D

1 9 3 2 / N R. 32

ERLEBEN UND ABLEBEN

Dloif Seyfried befand sich allein in seiner
entzückenden, behaglichen Junggesellenwohnung.
Den Diener hatte er weggeschickt. Das tat er
immer, wenn er LyaS Besuch erwartete, blnd
Rolf war an diesem Nachmittag nervös, wie
immer, wenn Lya kommen sollte. Er haßte
Heimlichkeit; und liebte allerdings Frauen, die
heimlich kamen. Deshalb wurde er seines Le-
bens auch niemals so recht froh ...

DaS Signal der Glocke riß ihn aus seinen
Gedanken. Er öffnete selbst, das gewisse schar-
mante Lächeln um den Mund, das beim
Empfang fast echt aussieht, und beim Abschied
schon ein bißchen gezwungen ist. Aber es war
nicht Lya, die draußen stand. Es war Herr
Biermatzl, den er wohl kannte, aber jetzt um
alles in der Welt nicht erwartete. Biermatzl
hatte sich bemüht, Rolf Seyfried in die Reihen
jener zu bringen, die sich die Erreichung eines
gewissen Alters durch die Auszahlung einer
großen Versicherungssumme versüßen wollen.
Biermatzl war Versicherungsagent.

Rolf wollte ihn schon in der Türe abfertigen:
„Bedaure sehr, lieber Herr Biermatzl, ich kann
Sie jetzt nicht empfangen. Ein andermal bitte,
ein andermal..." — Biermatzl kannte diese
Worte, wie man den Refrain eines Schlager-
liedes kennt, bind wenn er jedesmal gegangen
wäre, als er fortgeschickt wurde, hätte er in
seinem ganzen Leben bestimmt noch kein Ge-
schäft gemacht. Deshalb stellte er jetzt den Fuß
in die Tür, lächelte, wie jemand, der fein bißchen
Brot damit verdient, daß er den anderen Men-
schen die Schattenseiten des Lebens, des Alters,
der Krankheiten, vor Augen hält, und meinte
diskret: „Vielleicht nur fünf Minuten. Ich
bringe nämlich den fix und fertigen Versiche-
rungsvertrag. Sie können ja nicht wissen, waö
bis morgen geschieht und darum..." — Rolf
blickte aus seine Armbanduhr. Lya wollte um
fünf blhr hier sein. Es fehlten noch zehn
Minuten auf fünf. Also ließ er Biermatzl in
Gottes Namen eintreten.

Der Versicherungsagent holte ein paar
Schriftstücke aus seiner etwas schäbigen Akten-
tasche und breitete sie feierlich auf Rolfs
Schreibtisch aus. Sein Wesen hatte jetzt etwas
so absolut Beruhigendes, daß man in seiner
Gegenwart tatsächlich das Gefühl haben konnte,
sein LebenSschifflein endgültig in den sichersten
Hafen gelenkt zu haben. Mit einem gewissen

Von Wilhelm Lichtenberg

Pathos sagte er: „Es handelt sich also nur noch
um Ihre Unterschrift. Ein paar Federzüge und
Sie können den nächsten hundert Jahren ruhig
entgegensehen." Rolf war zwar schon Dreißig,
zweifelte aber bei Biermatzls Worten keinen
Augenblick daran, daß er ohne weiteres ein
Alter von hundertdreißig Jahren erreichen
würde. Mit ruhiger Zuversicht wollte er die
dargebotene Füllfeder ergreifen.

In diesem Augenblick klingelte das Telephon.
Biermatzl erschrak. Er liebte Telephone nicht,
weil er fand, daß sie die Menschheit zu sehr
auf den Augenblick lenken und von der Zukunft
abziehen. Darum war er auch bemüht, die
Unterschrift noch vor der Erledigung dieses
Telephongespräches zu erlangen. „Nur ein paar
Federstriche..." drängte er. Aber Rolf, von
einer dunklen Ahnung getrieben, warf die Füll-
feder hin und stürzte ans Telephon.

„Hallo ... Ach, du ... WaS sagst du ... ?
Dein Mann... ? Donnerwetter... ! Du
glaubst, er schießt... ? Totsicher ... Na,
schöne Bescherung.. ." Langsam ließ er den
Hörer auf die Gabel fallen. Dann wandte er
sich zu Biermatzl. Der aber versuchte, ihm
wieder die Feder in die Hand zu drücken. Er
tat eS mit den freundlichen Worten: „Wenn

Das Kätzchen Bruno Gutensohn

er schon schießt, so soll wenigstens die Ver-
sicherung den Schaden haben und nicht Sie!"

— Rolf drängte ihn beiseite: „Lassen Sie mich
doch in Ruhe! Haben Sie denn nicht gehört,
um was es sich handelt? Ich erwartete eine
Dame. Statt ihrer kommt aber ein Mann.
Mit einem Revolver, Und dieser Mann soll
ein Kunstschütze sein. Ich werde doch mein
Leben nicht versichern lassen, wenn ich die
Aussicht habe, in fünf Minuten nicht mehr zu
leben." — „Aber zu Ihrer Beruhigung..."
meinte Bermatzl ein bißchen fatal. — „Danke.
Ich ziehe es vor, meine letzten fünf Minuten
unruhig zu verbringen." Rolf ging an Bier-
matzl vorbei, zum großen Erkerfenster hinüber
und preßte sein heißes Gesicht an die Scheibe.

Lautlos kam Biermatzl an ihn herange-
schlichen. Plötzlich stand er vor ihm, klein,
armselig, in der zerknitterten Haltung eines
Menschen, der weiß, daß ihm auch die sicherste
Pose nicht mehr helfen kann. Scheu, gedrückt,
fragte er: „Hätten Sie etwas dagegen, wenn
ich diesen Kunstschützen empfange?" — Rolf
wandte sich nach ihm um: „Sie...?" — „Ja.
Ich, als Herr Rolf Seyfried. Kennt er Sie?"

— „Nein, natürlich nicht." — „Sehr gut. Dann
kann er ja ohne weiteres annehmen, daß ich
Rolf Seyfried bin. Nicht wahr?" — „Schön.
Und? Er wird Sie totschießen." — „Kann
sein. Ich habe jetzt zwei Möglichkeiten. Ent-
lveder ich mache ein Geschäft — oder ich werde
totgeschossen. Na, und sehen Sie — offen,
unter uns gesagt — wenn ich dieses Geschäft
nicht mache, kann ich ja ohnehin nicht mehr
weiterleben. Ich war entschlossen, ein Ende
zu machen, wenn der Abschluß mit Ihnen heute
nicht zustande kommt, Und wenn eS dieser Herr
für mich besorgt, erspare ich Mühe und Nerven.
Also? Sie gehen einfach in ein anderes Zimmer
und ich empfange diesen Herrn für Sie. Wie
heißt er? Jetzt hat es doch keinen Sinn mehr,
diskret zu sein ..." — „Purkert", antwortete
Rolf zögernd. Biermatzl nickte: „Schön. DaS
ist alles, was ich zu wissen brauche, bind jetzt
bitte, lassen Sie mich allein."

Rolf blickte sich diesen armseligen Biermatzl
an, schüttelte den Kopf und mußte lächeln.
Aber als er seinen unerschütterlichen, sachlichen
Ernst sah, wandte er sich zur Tapetentür, um
aus dem Zimmer zu gehen. Biermatzl trippelte
mit seinen kleinen Schritten hinter ihm her,
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Bruno Gutensohn: Das Kätzchen
Wilhelm Lichtenberg: Erleben und Ableben
 
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