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37. JAHRGANG

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WIE WIIMID MAN MILLIO'NÄR?

DaS sollte eine Überraschung für meinen
Chef werden! Ein Interview mit Mister Pier-
pont DawS, dem amerikanischen Multimil-
lionär, der sich ganz inkognito in unserer Stadt
aufhielt. Na, mein Chef würde Augen machen,
wenn ich plötzlich ein Interview mit Mister
Dawö brächte! Kein Mensch, kein Reporter,
hatte eine Ahnung, daß Dawö hier ist. Ich
hatte es vor einer Viertelstunde erfahren und
in einer weiteren halben Stunde würde er viel-
leicht auch schon wieder über alle Berge sein.

Ünd den Titel dieses Interviews hatte ich
auch schon: „Wie wird man Millionär?"
Fabelhaft! Wer anders als Mister DawS
wüßte auf diese Frage erschöpfend Auskunft
zu geben.

Wie ich zu Pierpont DawS vorkam, über-
springen wir bitte. Es würde den Nahmen
meines kleinen Berichtes sprengen; denn eS ist
ein Nom an für sich.

Genug, plötzlich stand ich vor ihm. blad
fand, daß er wundervoll aussah! Alles war
da. Die gewisse gesunde Röte im Gesicht, made
in U.S.A., die in Europa nicht nachgeahmt
werden kann, daS weiße volle Haar, die Füll-
federbatterie in der rechten oberen Tasche, und
das Keep smiling, das allen amerikanischen
6u8inellmen als Stammkapital dient, fehlte
natürlich auch nicht.

Ich beschloß, gleich in mellias re8 zu gehen.
„Mister DawS", begann ich, „beantworten Sie
mir die Frage: Wie wird man Millionär? Ich
glaube, daß sich unsere Leser sehr dafür interes-
sieren werden."

Mister Pierpont DawS lachte und seine
weißen, starken Zähne blitzten vorschriftsmäßig.
Es war das denkbar kompletteste Gebiß, in
dem nur der Zahn der Zeit fehlte. „Wie man
Millionär wird?" fragte er gutgelaunt. „Keine
Ahnung. Da müssen Sie schon emen armen
Teufel fragen. Bei uns in Amerika gab eS
einen Schriftsteller, der ein sensationelles Buch
mit dem Titel ,Wege zu Nracht und Reichtum'
veröffentlichte. Zwanzig Millionäre danken
seinem ausgezeichneten Buche ihre Karriere. Er
selbst starb vor vier Wochen an Unterernäh-
rung. Der arme Teufel verdiente nicht genug,
um stch sattessen zu können."

Von Wilhelm Lichtenberg

Ich ließ nicht locker. Scheinbar wollte der
Amerikaner sein Geheimnis nicht preisgeben.
„Verzeihen Sie, Mister DawS, ich erwarte
von ihnen keine Theorie, wie man Millionär
wird. Nur ihre praktischen, gewissermaßen am
eigenen Leibe gemachten Erfahrungen."

Er schien meine Worte zu überhören und
fragte urplötzlich: „Sie spekulieren natürlich
auch an der Börse?"

Jetzt mußte ich lachen. „Ich? Aber, Mister
Dawö! Ein Reporter! Einmal, ja einmal habe
ich ein Papier gehabt. Delta-Aktien. Ich kaufte
es natürlich zum Höchstkurs und verkaufte zum
TiefstkurS. Inzwischen höre ich, daß Delta-
Aktien wieder nach aufwärts gehen sollen. Aber
ich habe kein rechtes Vertrauen zu der Sache.
Ich habe den Mut verloren."

„Soso", sagte DawS. Und sonst nichts.
Nach einer Weile fragte er dann: „Welche

Automarke fahren Sie denn?"

Bierzelt

Ich starrte ihn an. „Ich ... ? Eine Auto-
marke ...? Mister DawS, ich fahre die Marke
,BuS'. Ach, ich bin nicht so glücklich wie Kollege
Pinter, der mit einer Operette riesigen Erfolg
gehabt hat und sich jetzt eine achtzylindrige
Luxuslimousine kaufen will. Und ein Schloß.
Und eine Gemäldesammlung." Aber nun be-
schloß ich, etwas dringlicher zu werden. Mein
Interview mit dem Titel „Wie wird man
Millionär" wollte ich haben, mußte ich haben.
Etwas energischer sagte ich: „Und jetzt, Mister
DawS, bitte ich Sie..."

Er unterbrach mich sofort: „Sie wohnen im
eigenen Hause?"

Perplex antwortete ich: „Nein, Mister

Dawö! Ich weiß nicht, wie Sie dazukommen,
mich so zu überschätzen! Ich wohne in einem
riesigen Miethause, in der Deinhartsteingasse l\,
das einem gewissen Roland gehört. Aber auch
Herr Roland wird nicht mehr lange Besitzer
dieses prachtvollen Objektes sein. Seine Hypo-
thekargläubiger bedrängen ihn und sein Haus
wird um ein Butterbrot versteigert werden."

„Ah, sehr interessant!" sagte der Amerikaner
mit leicht zusammengekttiffenen Augen. „Warum
bedrängen ihn seine Gläubiger so?"

„Es ist ein Konsortium, das aus den Hypo-
thekarsorderungen atissteigen will, um mit dem
Geld das Palace-Hotel zu erwerben, das jetzt
gerade in einem unerhörten Aufschwung be-
griffen ist."

„Warum befindet sich daS Palace in einem
Aufschwung?"

„DaS liegt an dem neuen Direktor, der ein
wahrer Wundermann fein soll."

„So? Ein Wundermann? Welche Wunder
vollbringt er denn?"

„Herr Grothe? Er hat vor allem eine neue
Organisation geschaffen, die dem reisenden
Publikum das Unerhörteste an Behaglichkeit
bietet. Dann hat er eine Diensteinteilung deö
Personals getroffen, die so rationell ist, daß
sie fast dreißig Prozent Betriebsersparnis aus-
macht."

„Wer hat dem Palace diesen Mister Grothe
empfohlen?"

„Herr Doktor Stelzhammer, dessen Assistent
Grothe war. Grothe kommt nämlich von der

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Julie Hahn: Bierzelt
Wilhelm Lichtenberg: Wie wird man Millionär?
 
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