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Es war klar, daß mit diesen Ausführungen
eine entscheidende Lebensfrage der versammelten
berührt war. Ein ungeheurer Sturm erhob sich.
Plötzlich ragte wie ein Riese ein Pfosten von
Bleistift über die Köpfe der Umsitzenden empor.
Er war mindestens dreimal so diek und viermal
so lang wie die Kollegen und trug mit schwar-
zen Lettern auf rotein Grund die Worte: „Bio-
malz erhält gesund." Mit donnernder Stimme
rief er in den Saal: „Zu Reklamezwecken wer-
den wir immer Verwendung finden!"

„bind die Kunst! Oie heilige Kunst!" rief
jemand von der anderen Seite des Saales.
Dort faßen die Zeichenstifte. Man sagte ihnen
auch nach, daß sie weich seien, allzu weich, und
daß ihre Schwärze allzu leicht zu verwischen
sei. Aber nun schien ihr Gemüt so aufgewühlt,
wie es eben vorzukommen pflegt, wenn man
sonst ein wenig leichtsinnig alle Fünfe gerade
sein läßt und dann plötzlich gewichtigen Ereig-
nissen gegenübersteht —. „Und die Kunst?"
riefen sie immer wieder, „die göttliche Ein-
gebung? Die Impression? Die Offenbarung
der Künstlerhand in der Skizze?"

Ein schlanker Herr in Gelb stand da, man
kannte ihn sehr gut, er trug seinen Namen

nach einem der größten Edelsteine der Welt,
dem Koll-i-noor: „Meine Herren", sagte er
ein wenig nachlässig, „ich bitte Sie: Dualität
wird sich immer behaupten."

Hinten aber bei den ZimmermannSbleististen
wurde laut gelacht: „Ach möchte sehen", sagte
der Wortführer, „wie jemand init einer Schreib-
maschine Balken anzeichnen will."

Der Tumult war so arg geworden, daß der
Herr Borsitzende eingreifen mußte, Und eS
zeigte sich, wie recht man daran getan hatte,
gerade den Crayon zum Präsidenten zu be-
stellen, denn kaum sah man, daß er sich aus
seinem Platz ausgerichtet hatte, da ebbte der
Lärm in ein Gemurmel zurück und bald war
eS ganz still.

„Meine Herren!" sagte er, „ich begreife
Ihre Erregung vollkominen. Das Bild, das
uns unser verehrter Herr Berichterstatter ent-
worfen hat, ist nur zu geeignet, die schwersten
Befürchtungen zu erwecken. Aber eben darum
wollen wir den Kops nicht verlieren, sondern
aus Abhilfe sinnen. Wir wollen uns ein Bei-
spiel an den Menschen nehmen — ein Beispiel,
wie man eS nicht machen soll. Anstatt zu toben,
einander zu mißtrauen nnd jeder an seinem

Strang zu ziehen, wollen wir einig nnd ge-
schlossen Vorgehen. Es liegt ein Antrag vor,
der mir sehr geeignet scheint, der augenblicklichen
Notlage entgegenzuwirken, und ich bitte Sie,
den Redner mit Ruhe anzuhören. Ach erteile
Herrn Faber das Wort!"

Es war ein ganz gewöhnlicher Faberftift,
der sich daraufhin erhob, bereits ziemlich kurz
abgeschrieben und also im Besitz genügender
Erfahrungen, aber Außerordentliches war nicht
an ihm. Als er jedoch dastand, gedrungen und
ein wenig abgegriffen, tind seinen Blick über
die Versammlung schweifen ließ, da fühlte doch
jeder den zwingenden Bann einer starken Per-
sönlichkeit tind wartete gespannt aus daS, waS
er zu sagen hatte.

„Ach möchte mich Ahnen zunächst einmal
vorstellen", begann er gelassen, „damit Sie
wissen, mit wem Sie eS zu tun haben. Ach
im Besitz eines SchreibmediumS, das ist, einet'
Menschen von der weiblichen Gattung, der in
einen Zustand der Bewußtlosigkeit versetzt
wird und dann mit mir niederschreibt, waS ihm
von einem Geist diktiert wird. Sie werden also
zugeben, daß ich unmittelbare Beziehungen zur
vierten Dimension habe, denn ich gehorche

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Carl Eduard Schuch: Stilleben
 
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