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E. Niemeyer-Moxter

aber mein Chef hätte es doch lieber, — nun,
ich gebe jedenfalls auch mein Scherflein dazu."

Bewährungsfrist

„Eigentlich hättest du doch deinen Verteidiger heule einladen müssen.1*

„Ja, das schauen sie auch ganz genau an.
Nicht einmal doppelte Böden sind sicher. Die
Leute haben Finger wie Wünschelruten. Alles,
was verzollbar ist, ziehen sie heraus. Und dann
die Strafen — schrecklich, was die armen Leute,
die man erwischt, bezahlen müssen!"

Jetzt mischten sich auch die beiden letzten
Fahrgäste, die bisher noch stumm in ihren
Winkeln gesessen hatten, ins Gespräch.

„Nun", meinte der eine, „und Sie selber?"

Der kleine Graue rundete seine Augen. —
„Wer sagt, daß ich selber —, das heißt, sehen
Sie, es klingt geradezu lächerlich, so einsach ist
es und trotzdem — es klappt immer —"

„Also was?"

Der Kleine fuhr mit seinen knochigen Händen
seinem Uberrock entlang.

„Da", seufzte er, „da ist sie. Eine Brief-
tasche. Ganz dünn. Und doch, — sie m ft ß

über die Grenze. Ich lege die Brieftasche unter
die Heizung. Nie noch hat sich ein Zollbeamter
gebückt und unter der Heizung nachgesehen."

Der elegante Herr beobachtete interessiert den
anderen, der sich am Boden zu schaffen machte.

„Hören Sie", meinte er nach einer kleinen
Pause, — „ich half Ihnen doch früher, den
Koffer ins Netz bringen. Ich hätte ebenfalls
so eine kleine Sache, Gott, nicht viel, aber
— es muß eben auch —Wenn Sie gestatten,
ich lege meine Tasche dazu -—"

„Ich auch", ries nun der junge Mann, „wir
sind doch sozusagen jetzt eine einzige große
Familie, alle in der gleichen Gefahr, alle mit
demselben Ziel vor Augen."

Und die schöne junge Dame errötete sanft:
„Wenn die Herren nichts dagegen hätten,
möchte auch ich mich anschließen. Es handelt
sich bei mir zwar um keine besonderen Beträge,

Schließlich bargen sich sechs Portefeuilles
friedlich nebeneinander unter der Heizung. Denn
auch die beiden Passagiere, die in ihren Winkeln
lehnten und sich erst als letzte ins Gespräch
gemischt hatten, entpuppten sich als Leute, die
nicht um ihrer selbst, sondern um einer kleinen
„Transaktion" willen von einem Land ins
andere fuhren. Mit den Worten „Du lieber
Himmel, bei den Zeiten!" — schlossen sie den
Ring.

Und da war man auch schon bei der Grenze
angelangt.

Die fünf Herren und das Fräulein unter-
hielten sich angeregt miteinander. Man
plauderte über die Unbeständigkeit des Wetters,
erwog die Möglichkeiten eines Konfliktes
zwischen Japan und Rußland und der junge
Mann bot der jungen Dame, deren kleines
Herzchen vor Aufregung fast hörbar unter der
dünnen Seidenbluse klopfte, Likörbonbons an.
Der Eindruck völliger Harmlosigkeit sollte
unbedingt gewahrt bleiben. — „Selbst die
strengsten Grenzer werden auf nichts darauf-
kommen, wenn wir so unbefangen sind", stellte
der elegante Herr fest.

Im selben Augenblick traten die Zoll-
beamten ein.

„Wollen Sie meinen Koffer sehen?" fragte
der eine Fahrgast bereitwillig auS seinem
Winkel. „Oder vielleicht meine Aktenmappe?"
schloß sich der junge Mann an. — „Mein
Handtäschchen gefällig?" zwitscherte daS Fräu-
lein und hielt eS kokett dem bärbeißigsten
Grenzer hin.

Die drei Beamten musterten die Passagiere.

„Danke!" sagte schließlich der oberste von
ihnen, der den größten Schnurrbart und drei
Sterne am Rockkragen trug. „Es genügt, wenn
ich auf dem Boden nachsehe."

Und schon griff er unter die Heizung.

E i n Schrei des Entsetzens hallte durch das
Kupee.

Der Beamte zog vier Taschen und zwei
Päckchen hervor.

„Wem gehört daS?"

Der kleine Graue hob ein wenig die
Schultern.

„Natürlich uns allen, Herr Oberwacht-
meister!"

Fünf Minuten später standen die armen
Sünder im Zollschuppen.

DaS Geld wurde ihnen konfisziert, ihre Päge
behielt man zurück, bis sie die entsprechende
Geldstrafe für versuchten Valutenschmuggel
erlegten.

Selbst die hübsche junge Dame fand keine
Gnade und mußte telegraphisch von ihrem Chef
ansgelöst werden.

Nur Herr Zolloberkommissär Eduard
Mache, der als nervöser kleiner Herr im grauen
Anzug den Fahrgästen ihre Geheimnisse so klug
zu entlocken verstand, erhielt wieder 10%
Prämie von den abgenommenen Beträgen, Und
natürlich auch seine Brieftasche, damit er nächste
Woche seinen bewährten Trick abermals durch-
führen konnte.

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Elsa Niemeyer-Moxter: Bewährungsfrist
 
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